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Ist die Affäre Koch politisch beendet?

Nutz: Für Roland Koch, den hessischen Ministerpräsidenten, war die Angelegenheit gestern, wie er sagte, gestern nicht nur juristisch, sondern auch politisch erledigt. Frage an ihn: Warum eigentlich auch politisch?

    Koch: Nun, ich denke, dass die Wählerinnen und Wähler im vergangenen Jahr beobachten konnten, was die CDU in der Konsequenz eines Fehlers, der 1982 begonnen hat, getan hat. Und ich denke, dass in dem Laufe des Jahres deutlich geworden ist: Erstens - wir haben das, was aufzuklären war, aufgeklärt, zweitens - wir haben Konsequenzen gezogen, und drittens: Wir haben uns mit der Sacharbeit für die Wählerinnen und Wähler uns in Hessen beauftragt haben, so beschäftigt, dass offensichtlich sehr viele Menschen damit zufrieden sind. Denn wenn die Umfragen dieser Tage sagen, dass das Vertrauen der hessischen Landesregierung, das sie bei den Bürgern hat, deutlich höher ist als das der Bundesregierung, dann zeigt das, dass wir nach einem schwierigen Jahr offensichtlich gute Arbeit geleistet haben. Und das macht mich optimistisch, dass neben den juristischen Fragen, die gestern geklärt worden sind, eben unsere Bildungs- und Wirtschafts- und Innenpolitik die Menschen so überzeugt, dass sie der CDU für die Zukunft eine gute Chance geben.

    Nutz: Herr Koch, auch wenn Sie es wahrscheinlich nicht mehr hören können, aber sollte die brutal möglichste Aufklärung allein den Juristen vorbehalten bleiben, wie es nun geschehen ist?

    Koch: Nein, die Juristen haben ja nur sozusagen den letzten Teil der Diskussion zu führen. Die Aufklärung im vergangenen Jahr war eine schwierige Aufgabe. Die hessische CDU ist in der günstigen Situation, dass wir bezüglich der Vorfälle, die immerhin 20 Jahre ja zurückgehen, nahezu lückenlos alles darlegen, aufklären und offenlegen konnten, dass jedermann weiß, um welche Gelder es sich gehandelt hat. Das ist eine Bilanz, auf die ich nach wie vor sehr stolz bin. Insofern ist klar in der Öffentlichkeit, worum es sich handelt, und deshalb ist auch klar, wie wir uns neues Vertrauen erwerben müssen.

    Nutz: Ist denn auch für Sie das Rechtsempfinden eines Wählers klar? Die Finanzierung eines Wahlkampfes mit Schwarzgeld mag vor Gericht nicht allzu sittenwidrig sein, auch nicht die Tarnung von Geldern aus der Schweiz als jüdische Vermächtnisse. Im Rechtsempfinden eines Wählers vielleicht schon.

    Koch: Ich glaube, dass der Wähler unterscheiden kann zwischen einer politischen Partei und Fehlern von einzelnen Menschen in einer Partei, und dass deshalb die CDU in ihrer Zukunft - und das war mein Bestreben im letzten Jahr, das sicherzustellen, und ich denke, das ist gelungen -, dass nicht die CDU mit ihren politischen Ideen am Ende nicht mehr zur Verfügung steht für Wählerinnen und Wähler als eine politische Alternative in Deutschland, weil einige wenige in dieser Partei Fehler gemacht haben. Und ich denke, diese Überzeugung hat sich bei den Bürgerinnen und Bürgern durchgesetzt. Wir wollen den Fehler, den es gegeben hat, nicht ungeschehen machen und können das auch nicht tun. Aber der Versuch, eine Partei in Misskredit zu bringen - insgesamt auf Dauer -, weil einige in ihr einen Fehler gemacht haben, der, denke ich, ist gescheitert.

    Nutz: Das heißt, einzelne Personen, auch wenn sie so gewichtig sind wie zum Beispiel der Altkanzler Kohl, machen diese Partei dann nicht aus.

    Koch: Ja, wenn wir beschließen würden, dass wir eine Partei sind, in der einzelne Personen die Partei ausmachen, dann wären wir ja nicht mehr in der Demokratie. Außerdem sind die Unterschiede des Fehlverhaltens sicher ganz gewaltig, und ich denke, dass die Staatsanwaltschaft eine kluge Entscheidung bei Helmut Kohl getroffen hat, nämlich die, auch nüchtern zu sagen, dass dieser Fehler sicher nicht sein Lebenswerk prägen wird, und dass deshalb die CDU selbstverständlich weiterhin mit den Gedanken und den Ideen und den persönlichen politischen Leistungen von Helmut Kohl werben wird, auch wenn er in einem Punkt einen Fehler gemacht hat.

    Nutz: Die Union ist da bisher insgesamt ganz gut davongekommen, da eben Gesetze auch enorme Lücken aufwiesen. Dennoch, es bleibt eine Belastung. Kann Altkanzler Kohl, wenn er auch jetzt der Einstellung des Ermittlungsverfahrens entgegen sieht, die Spendernamen nennen? Sollte er es tun, um die Partei auch moralisch wieder herzustellen?

    Koch: Ich denke, er wird es nicht tun. Ich habe keine Lust, die Diskussion neu aufzunehmen.

    Nutz: Herr Koch, wieviel Parteipolitik ist denn im juristischen Verfahren in Hessen mit im Spiel? Sie haben dem Wahlprüfungsgericht politische Motive unterstellt. Andererseits war in diesem Verfahren ein Verfassungsrichter als Berichterstatter eingesetzt, der in einer Kanzlei mit dem ehemaligen hessischen Landesvorsitzenden Manfred Kanther tätig ist.

    Koch: Also, zunächst einmal finde ich sehr beachtlich, dass das Bundesverfassungsgericht eine sehr klare Entscheidung getroffen hat, sie einstimmig getroffen hat. Das ist gut für alle solche Fragen und Diskussionen. Und wenn das überall immer so ist, ist es eine prima Sache, weil es das Vertrauen von uns allen in solche juristischen Instanzen erhöht, wenn man nicht Mehrheits- und Minderheits-abstimmungen dann versucht, politisch zuzuordnen. Und insofern denke ich, das ist ein gutes Vorbild für alle.

    Nutz: Sie haben aber meine Frage nicht beantwortet: Wieviel Parteipolitik ist in diesem juristischen Verfahren - sowohl in diesem Wahlprüfungsverfahren als auch in dem Verfahren, wie es vor dem Verfassungsgericht abgelaufen ist - mit im Spiel Ihrer Meinung nach?

    Koch: Ich glaube nicht, dass man das zuordnen kann und sagen kann: ‚Alles was in der Juristerei geschieht, ist Parteipolitik'. Die Frage ist immer: Schaffen es die Beteiligten, sich auf die juristischen Grundsätze zurückzuziehen, auch wenn sie eigene Meinungen haben. Das ist mehr oder weniger umstritten. Bei dem hessischen Wahlprüfungsausschuss sind die beiden Berufsrichter in Bürgerinitiativen oder in öffentlichen Zeitungsanzeigen gegen die CDU im Landtagswahlkampf aktiv geworden. Die Frage, ob das zur Befangenheit führt oder nicht, hat ja eine Rolle gespielt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: ‚Letztlich sind die Abgeordnetenrichter in dieser Wahlprüfungskommission ja auch befangen, und deshalb wird das an dieser Stelle nicht geprüft'. Also, natürlich gibt es diese Fragen immer wieder. Um so wichtiger ist, dass es eine einstimmige Entscheidung war, die offensichtlich macht, dass es nicht um Parteipolitik ging.

    Nutz: Ist denn das Thema ‚Neuwahlen' für Sie gänzlich vom Tisch? Theoretisch besteht ja immer noch die Möglichkeit, sollten Wahlprüfungsgericht und Staatsgerichtshof in Hessen so entscheiden.

    Koch: Ja, natürlich besteht diese Möglichkeit theoretisch. Praktisch werden die Beteiligten sich an den Spruch des Bundesverfassungsgerichts halten und orientieren. Das steht ganz außer Frage. Und das Bundesverfassungsgericht hat eindeutige Kriterien aufgestellt, und ich denke, jedermann kann und konnte beobachten, dass die Grundsätze der Freiheit der Wahl und der Gleichheit der Wahl in Hessen niemals verletzt waren. Und deshalb bin ich sehr sicher: Wir werden die nächsten Wahlen in Hessen im Februar 2003 haben.

    Nutz: Haben Sie denn einmal erwogen von sich aus, Neuwahlen anzuberaumen?

    Koch: Für mich ist und bleibt das Kriterium für Neuwahlen, ob das Parlament handlungsfähig ist. Wenn das Parlament nicht handlungsfähig ist, wenn es keine Regierung mehr bilden oder unterstützen kann, weil Mehrheiten sich blockieren, wie wir das in Parlamenten ja manchmal in der Vergangenheit gesehen haben, dann muss der Wähler erneut das Wort haben. Die hessische Landtagswahl ist korrekt abgelaufen. Die Bürgerinnen und Bürger haben genau gewusst, über was sie abstimmen - von doppelter Staatsbürgerschaft über Schulpolitik bis zur 100-Tage-Bilanz von Schröder war das alles in ihrem Kopf. Und das waren die Motive, warum sie in Hessen der CDU und F.D.P. zu einer Mehrheit verholfen haben. Und jetzt machen wir die Bildungspolitik, die wir versprochen haben - mit der Unterrichtsgarantie und anderen Dingen, die Wirtschaftspolitik - mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens und der Verkehrsinfrastruktur in Nordhessen. Wir machen das so, Punkt für Punkt, wie wir das versprochen haben. Und das ist im Sinne der Wähler, und deshalb wird es diese Wahlen 2003 und nicht früher geben.

    Nutz: Sie haben gestern, Herr Koch, angedeutet, das Wahlprüfungsverfahren bzw. das Gesetz darüber müsse revidiert werden. Warum eigentlich, denn das Bundesverfassungsgericht hat ja gestern das Verfahren und das Wahlprüfungsgericht als Institution ausdrücklich gebilligt.

    Koch: Ja, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es müsse ein Wahlprüfungsverfahren geben. Das gehört ja zur wunderlichen Diskussion des gestrigen Tages, dass irgend jemand geglaubt hätte, die Landesregierung würde erwarten, dass es in Hessen kein Wahlprüfungsverfahren mehr gäbe. Selbstverständlich. Die Frage war, wie es geordnet wird. Und das hat das Bundesverfassungsgericht neu getan. Es hat eine wichtige Vorschrift des Wahlprüfungsgesetzes für nichtig erklärt, für eine Übergangszeit einen Ersatz dafür selbst formuliert und dem Landesgesetzgeber im übrigen den Auftrag gegeben, es selbst neu zu machen. Und deshalb werden wir, nachdem diese Frage abgeschlossen ist im Wahlprüfungsverfahren, weil es nicht anständig und gut wäre - denke ich -, parallel zum Wahlprüfungsgericht ein neues Gesetz über das Wahlprüfungsgericht zu machen. Aber wir werden anschließend gezwungen sein aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Gesetz zu überarbeiten und in eine ordentliche Form zu bringen. Das Wahlprüfungsgericht wird dabei auch in seiner Zusammensetzung sicher zur Diskussion stehen, genau so, wie es das Bundesverfassungsgericht jetzt formuliert hat, nämlich die Zusammensetzung ja in Frage gestellt hat.

    Nutz: Noch ganz kurz, Herr Koch: Kaum war das Urteil gestern ergangen, wurden Sie wieder als Kanzlerkandidat gehandelt. Wie steht es denn heute mit Ihren Ambitionen?

    Koch: Ja, ganz genau so wie vorgestern. Ich bin hessischer Ministerpräsident, ich bleibe das, und ich will als solcher wiedergewählt werden.

    Nutz: Das gilt auch für 2006?

    Koch: Das gilt erst einmal für die nächste Kanzlerkandidatur, und dann werden wir ganz in Ruhe das Leben weiter betrachten. Da müssen die hessischen Wählerinnen und Wähler erst einmal wiederwählen; da habe ich noch ein paar Jahre Zeit, zu regieren. Und wenn Sie mich denn 2005 noch mal fragen, gebe ich Ihnen darauf die Antwort.

    Nutz: Das werde ich tun. Im Deutschlandfunk hörten Sie Roland Koch, den hessischen CDU-Ministerpräsidenten. Wir bedanken uns für das Gespräch. Auf Wiederhören.

    Koch: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio