Meurer: Sind Sie zufrieden mit der großen Zustimmung gestern im deutschen Bundestag?
Gertz: Ja, ich bin zufrieden mit der Zustimmung, aber ich bin nicht ganz zufrieden damit, dass die Politik vor dieser Entscheidung so getan hat, als ob wir nach 30 Tagen aus Mazedonien wieder draußen sein werden, obwohl Jedermann vorher bereits prognostiziert hat, dass es ein Mandat werden wird oder sich zu einem Mandat entwickeln wird, das uns auf Dauer bindet. Und genau das tritt jetzt ein!
Meurer: Stören Sie sich nur daran oder haben Sie Zweifel, ob die Bundeswehr für diese Führungsaufgabe bereit ist?
Gertz: Die Bundeswehr ist sicher für eine solche Führungsaufgabe bereit. Daran habe ich nicht den allergeringsten Zweifel. Das gehört zu den Fähigkeiten, die wir wirklich besitzen. Der entscheidende Punkt ist, dass auch für diesen Einsatz keine Perspektive vorhanden ist. Er ist zunächst auf drei Monate befristet. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass nach drei Monaten die ethnischen Spannungen beseitigt sind und dass man das Land sich selbst überlassen kann, ist nicht sehr hoch.
Meurer: Aber das lag ja an der mazedonischen Regierung. Die wollte zunächst kein längeres Mandat für die NATO?
Gertz: Das ist völlig richtig. Das lag aber auch daran, dass man im Grunde die Lage bei Abschluss des Friedensvertrages nur unvollkommen gewürdigt und beurteilt hat.
Meurer: Die UCK, die Albaner-Armee, hat sich aufgelöst, sagt sie jedenfalls. Wie gefährlich ist noch der Einsatz der deutschen Soldaten in Mazedonien?
Gertz: Ich denke es ist weiter so, dass die UCK auch wenn sie sagt, sie sei aufgelöst, nach wie vor über den Großteil ihrer Waffen verfügt. Die abgegebenen Waffen sind sicher nur ein Bruchteil dessen, was die UCK besessen hat oder zu besitzen vermag. Von daher ist sie auch weiterhin nach meiner Einschätzung zur Fortsetzung des Bürgerkrieges mit militärischen Mitteln befähigt, wenn sie das will. Das heißt: die latent immer noch vorhandenen Spannungen können in jeder Situation in offene Feindseligkeiten umschlagen. Da kann man, wenn man zwischen den Fronten von zwei großflächig verteilten Bürgerkriegsparteien steht, durchaus in eine sehr unangenehme Rolle zwischen den Feuern geraten.
Meurer: Sind dann insgesamt 1000 Soldaten dort zu wenig?
Gertz: Ich denke für den Schutz der OSZE-Mission ist das zunächst der richtige Rahmen. Man wird sehr aufmerksam verfolgen müssen, wie sich die Lage entwickelt, und wird gegebenenfalls sehr schnell auch entsprechende Veränderungen anbringen müssen.
Meurer: Wenn die mazedonische Regierung nicht damit einverstanden ist, dass aufgestockt wird, was dann?
Gertz: Selbstverständlich kann das nur im Einvernehmen mit der mazedonischen Regierung geschehen, es sei denn es ergäbe sich eine Situation, in der beispielsweise ein UN-Mandat Grundlage eines Einsatzes werden kann.
Meurer: Ist das Mandat für die NATO-Truppe und für die Bundeswehr ausreichend?
Gertz: Ich denke das Mandat reicht aus, denn es schließt diesmal selbstverständlich - und das war notwendig - auch das Recht ein, dass deutsche Soldaten sich nicht nur selbst verteidigen und die OSZE-Beobachter verteidigen dürfen, sondern auch dann eingreifen dürfen, wenn in ihrem Beisein Menschen angegriffen und verletzt werden.
Meurer: Ein zweites Srebrenica wie in Bosnien soll nicht möglich sein, wo unter den Augen von UNO-Blauhelmen ein Massaker geschah?
Gertz: Das war eine der Lehren, die man aus diesem Ereignis ziehen musste. Deswegen ist das Mandat so auch richtig beschrieben.
Meurer: Dass die Bundeswehr, Herr Gertz, die Führung in Mazedonien bei der NATO übernimmt, war das ein Deal, wie spekuliert wird? Die Deutschen kümmern sich um Mazedonien und dürfen sich dafür aus Afghanistan heraushalten beziehungsweise man hält zum Beispiel den Briten den Rücken frei.
Gertz: Ich denke das ist wirklich Spekulation. Die Briten haben sich in der Vergangenheit schon immer dadurch ausgezeichnet, dass sie sehr schnell bereit waren, Führungsrollen bei solchen Aufgaben zu übernehmen, dann aber nur eine gewisse Zeit präsent waren und ihre Präsenz nach relativ kurzer Zeit zumindest sehr stark zurückgefahren haben, weil auch sie in ihrer Armee an Grenzen stoßen was die Belastbarkeit angeht. Deswegen ist dies eigentlich eine ganz logische Entwicklung. Auf der anderen Seite ist klar, dass die Bundeswehr mit ihren derzeit noch unvollkommen ausgebauten Fähigkeiten zur Beteiligung an Missionen, wie sie die Amerikaner möglicherweise vorsehen, nicht die erste Adresse gewesen wäre, an die sich die Amerikaner zu wenden hätten.
Meurer: Mal anders gefragt: Wenn die Bundeswehr in Mazedonien sich stärker engagiert, sinkt damit die Wahrscheinlichkeit weiter, dass die Bundeswehr in Afghanistan oder andernorts gebraucht wird?
Gertz: Zumindest wird deutlich, dass die Einsatzkräfte, über die wir verfügen, bei einer solchen Aufgabe in Mazedonien und gleichzeitiger Fortsetzung unserer Aufgaben in Bosnien und im Kosovo kaum noch für weitere Aufgaben zur Verfügung stehen können. Oder anders formuliert: Mit diesem Einsatz und den dort gebundenen Kräften sind wir am Rande unserer derzeitigen Möglichkeiten angelangt.
Meurer: Es regt sich wieder Kritik an Verteidigungsminister Scharping. Am 10. September, also einen Tag vor dem schwarzen Terrortag, soll er im Verteidigungsausschuss des Bundestages die Briten kritisiert haben. Jetzt hat er am Mittwochmorgen den Bündnisfall angekündigt. Nachmittags bei der NATO kam es dann aber doch nicht dazu. Macht der Verteidigungsminister in Ihren Augen im Moment eine gute Figur?
Gertz: Ich denke das war eine Fehleinschätzung und er wäre besser beraten gewesen, wenn er wie andere auch geschwiegen hätte.
Meurer: Wie kann so etwas passieren?
Gertz: Die Gründe dafür sind vielfältig. Es passiert eben auch einem Verteidigungsminister, dass er mal nicht auf Ballhöhe ist.
Meurer: Was sagen denn die Soldaten in der Truppe zu der derzeitigen Situation? Mal wird ein Riesenszenario entwickelt und dann sieht es fast so aus, als komme die Bundeswehr doch nicht zum Zuge bei der Anti-Terror-Allianz.
Gertz: Die Soldaten sind der Meinung, dass das Gackern über ungelegte Eier nicht Aufgabe führender Parlamentarier ist.
Meurer: Ist es nicht Aufgabe der Parlamentarier, darüber zu reden was kommen könnte?
Gertz: Sie haben darüber zu reden, aber sie haben bei ihren öffentlichen Äußerungen das Maß an Zurückhaltung zu wahren, das erforderlich ist damit man die eigenen Leute nicht verunsichert.
Meurer: Wer hat denn gegackert?
Gertz: Ich möchte das nicht vertiefen.
Meurer: Ist das Kapitel militärischer Beistand der Bundeswehr für die USA erledigt?
Gertz: Sicherlich nicht vollständig, aber es hängt entscheidend davon ab, welche Operationen die Amerikaner wirklich vornehmen werden und ob sie dazu mit ihren eigenen Kräften auskommen, oder ob sie Unterstützung benötigen. Und wenn sie Unterstützung benötigen, dann kommt es entscheidend darauf an, welche Fähigkeiten für diese Unterstützung bereitgestellt werden können. Da könnte es Fähigkeiten geben, die auch die Bundeswehr bereitstellen kann, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Amerikaner solche Fähigkeiten in Anspruch nehmen werden, halte ich für denkbar gering.
Meurer: Wird es letztlich bei logistischer Unterstützung bleiben?
Gertz: Ich nehme stark an, dass es letztlich dabei bleiben wird.
Meurer: Das war Oberst Bernhard Gertz, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. - Herr Gertz, ich bedanke mich bei Ihnen und sage auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio