Spengler: Gelegentlich ist der Dialog der Generationen schwierig, und das gilt offenbar vor allem dann, wenn Politiker beteiligt sind. Wer das Gespräch in der letzten Ausgabe der Wochenzeitung "Zeit" zwischen Bundestagspräsident Thierse und der 21 Jahre jungen Schauspielerin Cosma-Shiva Hagen gelesen hat, der bekommt den Eindruck, dass da zwei Leute völlig verschiedene Sprachen sprechen und aneinander vorbeireden. Die Tochter von Nina Hagen gibt da freimütig zu, dass sie keine Tageszeitungen lese, dass sie auch nicht zur Wahl gehen werde, und dass sie, wenn sie mit irgendwas nicht einverstanden wäre, nie versuchen würde, das Problem mit Hilfe von Politik zu lösen. Antworten, die Wolfgang Thierse ratlos zurücklasen und viele Leser wohl auch. Vielleicht kann uns der Jugendforscher Arthur Fischer helfen, die Ratlosigkeit zu überwinden. Herr Fischer, Sie waren an mehreren Schell-Jugendstudien beteiligt, und Sie leiten das Frankfurter Institut Psydata. Zunächst einmal: Sind solche Äußerungen von Cosma-Shiva Hagen, zum Beispiel nicht wählen zu wollen, überhaupt repräsentativ für einen Großteil der Jugend?
Fischer: Ja, unbedingt. Das zeigen nicht nur alle Umfragen, sondern das zeigt zum Beispiel auch das Wahlverhalten der Jungwähler. Wir haben von Wahl zu Wahl immer größere dramatische Einbrüche.
Spengler: Jetzt gibt es eine Umfrage, die sagt, dass 55 Prozent der 18 bis 24jährigen Wähler sich für die CDU/CSU entscheiden würden. Ist das glaubwürdig? Stimmt das mit Ihren Erkenntnissen überein?
Fischer: Ich kenne jetzt wiederum ganz andere Umfragen, die zu völlig anderen Ergebnissen kommen. Das hat nach meiner Meinung im Moment relativ wenig Sinn, denn wir wissen, dass gerade Jugendliche, wenn sie überhaupt wählen gehen, sich sehr spät entscheiden. Das Entscheidende scheint eine andere Frage zu sein, nämlich die Frage, wie viele werden dieses Mal überhaupt wählen gehen? Denn der Anteil der Nichtwähler unter den Jungwählern steigt von Wahl zu Wahl, und das ist das viel Interessantere. Aber was richtig ist, ist dass das, was vor zehn Jahren der Fall war, dass vor allem die Grünen die Partei der Jugend sind, vorbei ist. Insofern ist das richtig, es gibt wieder einen Trend hin zu den eher größeren, älteren Parteien. Aber 55 Prozent für die CDU kann ich mir nicht vorstellen. Aber wir werden sehen.
Spengler: Womit erklären Sie sich denn die Wahlmüdigkeit der Jugend?
Fischer: Zunächst muss man sagen, dass das keine Entwicklung bei den Jugendlichen allein ist, sondern wir sehen ja, dass also auch bei den Erwachsenen, bei den älteren die Anzahl derjenigen, die wählen gehen, rapide abnimmt.
Spengler: Bei Bundestagswahlen aber nicht.
Fischer: Bei Bundestagswahlen auch. Bei Bundestagswahlen gibt es eine besondere Entwicklung, wenn sie schon sehr stark personalisiert werden, gerade in der Schlussphase. Dann allerdings gibt es manchmal noch eine gewisse Entwicklung. Aber wir sind ja bei Landtagswahlen, Kommunalwahlen schon bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent, und das waren vor 20 Jahren 80, 90 Prozent. Also es gibt da eine Entwicklung, die nicht nur auf die Jugendlichen beschränkt ist. Aber wie immer treten solche Ereignisse bei den Jugendlichen am klarsten in Erscheinung. Welche Gründe hat das? Zunächst darf man eins nicht machen, was leider die Parteien und andere Organisationen machen, die einfach sagen: Die Jugend ist politikverdrossen. Sie will damit nichts zu tun haben. Das ist zwar richtig, aber das heißt nicht, dass die Jugend nicht mehr politisch ist, dass sie mit dem ganzen Bereich nichts zu tun hat - ich weiß von Beispiel von der Cosma-Shiva Hagen, dass sie sich sehr aktiv in Umweltverbänden usw. engagiert -, dass sie nur noch Spaß haben will - das sind billige Erklärungen -, sondern es geht darum, dass also Jugendliche der Meinung sind, dass das Engagement in klassischen Parteien eigentlich zu relativ wenig führt. Und der Grund für diesen Glauben sind eigentlich zwei Aspekte: Jugendliche sind sehr davon überzeugt - gerade die Jugendlichen, von denen wir sagen, dass das der Führungsnachwuchs der nächsten Generation ist, also die relativ gut gebildeten -, dass Parteien und die ganze politische Maschinerie eigentlich keine Ahnung von den Problemen von Jugendlichen hat und sich darum auch nicht kümmert. Also wir haben immer davon geredet, dass nicht die Jugend politikverdrossen ist, sondern dass die Jugendlichen die Politik als jugendverdrossen erleben. Und der zweite Aspekt ist, dass diese Art von Engagement, das zum Beispiel diese Parteien erfordern, lang anhaltendes Engagement ist, das zum Beispiel auch Thierse fordert. Man muss sich länger engagieren, man muss da Netzwerke bilden, man muss Karriere quasi dort machen. Das steht im völligen Gegensatz mit dem, was sonst von den Jugendlichen gefordert wird, nämlich flexibel zu sein, mobil zu sein. Diese Art von Engagement und gleichzeitig die Anforderungen an den Lebenslauf von Jugendlichen sind nicht mehr unter einem Hut zu bringen, und die Jugendlichen richten sich nach dem, was die Wirtschaft von ihnen erwartet.
Spengler: Entsprechend dürfte es dann keine Idole unter den Politikern für Jugendliche geben. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo Leute wie Willy Brandt ein Idol der Jugend waren. Das gibt es heute nicht mehr?
Fischer: Idole können nun ganz andere Funktionen haben. Ich wüsste jetzt keinen, wo man sagen müsste: Er ist ein Idol, weil er Politiker ist. Ich kann höchstens sagen: Er könnte vielleicht ein Idol werden, obwohl er Politiker ist. Das heißt über Politik genieße ich einen bestimmten Bekanntheitsgrad. Mir werden in der Öffentlichkeit vielleicht bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, und so kann es vielleicht mal sein, aber selbst wenn es diese Idolhaftigkeit gäbe - ich wüsste im Moment in Deutschland niemanden, von dem man das sagen könnte -, würde das nicht heißen, dass dann anschließend Jugendliche anfangen, sich für die klassische Politik zu interessieren, sondern es ist dann nur eine Art Event-Charakter, ein gewisses Idol, ein gewisser Popstar-Effekt, aber keineswegs sozusagen eine Versöhnung mit der klassischen Politik.
Spengler: Gibt es andere Idole? Wenn man die Fernsehbilder von dem Auftritt des Papstes in Toronto gesehen hat, dann mag man ja glauben, dass der Papst ein großes Vorbild für die Jugend ist.
Fischer: Das ist er sicher nicht! Es ist auch diese Diskussion, die ich mehrfach aktiv miterlebt habe, wenn es zum Beispiel um Kirchentage. Man sieht dieses Engagement von jungen Leuten an Kirchentagen und sagt: Guck mal, jetzt werden sie wieder religiös, jetzt wenden sie sich wieder der Religion zu und engagieren sich da. Das gibt immer eine große Ernüchterung, wenn sie das nach den Kirchentagen nicht tun. Die Art und Weise, wie junge Leute zusammenkommen, wie sie bestimmte Dinge machen, wie das beim Papstbesuch der Fall war, das sind eigentlich Dinge, die nichts damit zu tun haben, dass man sich anschließend in Religion engagiert. Man darf das nicht miteinander verwechseln. Das ist eine Art und Weise, wie Jugendliche schon immer versucht haben, sich zu treffen, weg von den Erwachsenen, viele Dinge selbst zu bestimmen, auf der Suche nach neuen Formen gehen. Und natürlich wird ein solches Symbol für die Religion dann von den Jugendlichen akzeptiert, und gerade jemand wie der Papst, der trotz Krankheit und Alter noch bereit ist, eine solche Reise auf sich zu nehmen. Aber man darf jetzt nicht sagen, dass er ein Idol ist. Wenn man wüsste, wie wenig die Jugendlichen beispielsweise über den Papst wissen, wie wenig sie bereit sind, sozusagen ähnliche Wege zu gehen wie er, dann würde man das nicht meinen.
Spengler: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Fischer: Ja, unbedingt. Das zeigen nicht nur alle Umfragen, sondern das zeigt zum Beispiel auch das Wahlverhalten der Jungwähler. Wir haben von Wahl zu Wahl immer größere dramatische Einbrüche.
Spengler: Jetzt gibt es eine Umfrage, die sagt, dass 55 Prozent der 18 bis 24jährigen Wähler sich für die CDU/CSU entscheiden würden. Ist das glaubwürdig? Stimmt das mit Ihren Erkenntnissen überein?
Fischer: Ich kenne jetzt wiederum ganz andere Umfragen, die zu völlig anderen Ergebnissen kommen. Das hat nach meiner Meinung im Moment relativ wenig Sinn, denn wir wissen, dass gerade Jugendliche, wenn sie überhaupt wählen gehen, sich sehr spät entscheiden. Das Entscheidende scheint eine andere Frage zu sein, nämlich die Frage, wie viele werden dieses Mal überhaupt wählen gehen? Denn der Anteil der Nichtwähler unter den Jungwählern steigt von Wahl zu Wahl, und das ist das viel Interessantere. Aber was richtig ist, ist dass das, was vor zehn Jahren der Fall war, dass vor allem die Grünen die Partei der Jugend sind, vorbei ist. Insofern ist das richtig, es gibt wieder einen Trend hin zu den eher größeren, älteren Parteien. Aber 55 Prozent für die CDU kann ich mir nicht vorstellen. Aber wir werden sehen.
Spengler: Womit erklären Sie sich denn die Wahlmüdigkeit der Jugend?
Fischer: Zunächst muss man sagen, dass das keine Entwicklung bei den Jugendlichen allein ist, sondern wir sehen ja, dass also auch bei den Erwachsenen, bei den älteren die Anzahl derjenigen, die wählen gehen, rapide abnimmt.
Spengler: Bei Bundestagswahlen aber nicht.
Fischer: Bei Bundestagswahlen auch. Bei Bundestagswahlen gibt es eine besondere Entwicklung, wenn sie schon sehr stark personalisiert werden, gerade in der Schlussphase. Dann allerdings gibt es manchmal noch eine gewisse Entwicklung. Aber wir sind ja bei Landtagswahlen, Kommunalwahlen schon bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent, und das waren vor 20 Jahren 80, 90 Prozent. Also es gibt da eine Entwicklung, die nicht nur auf die Jugendlichen beschränkt ist. Aber wie immer treten solche Ereignisse bei den Jugendlichen am klarsten in Erscheinung. Welche Gründe hat das? Zunächst darf man eins nicht machen, was leider die Parteien und andere Organisationen machen, die einfach sagen: Die Jugend ist politikverdrossen. Sie will damit nichts zu tun haben. Das ist zwar richtig, aber das heißt nicht, dass die Jugend nicht mehr politisch ist, dass sie mit dem ganzen Bereich nichts zu tun hat - ich weiß von Beispiel von der Cosma-Shiva Hagen, dass sie sich sehr aktiv in Umweltverbänden usw. engagiert -, dass sie nur noch Spaß haben will - das sind billige Erklärungen -, sondern es geht darum, dass also Jugendliche der Meinung sind, dass das Engagement in klassischen Parteien eigentlich zu relativ wenig führt. Und der Grund für diesen Glauben sind eigentlich zwei Aspekte: Jugendliche sind sehr davon überzeugt - gerade die Jugendlichen, von denen wir sagen, dass das der Führungsnachwuchs der nächsten Generation ist, also die relativ gut gebildeten -, dass Parteien und die ganze politische Maschinerie eigentlich keine Ahnung von den Problemen von Jugendlichen hat und sich darum auch nicht kümmert. Also wir haben immer davon geredet, dass nicht die Jugend politikverdrossen ist, sondern dass die Jugendlichen die Politik als jugendverdrossen erleben. Und der zweite Aspekt ist, dass diese Art von Engagement, das zum Beispiel diese Parteien erfordern, lang anhaltendes Engagement ist, das zum Beispiel auch Thierse fordert. Man muss sich länger engagieren, man muss da Netzwerke bilden, man muss Karriere quasi dort machen. Das steht im völligen Gegensatz mit dem, was sonst von den Jugendlichen gefordert wird, nämlich flexibel zu sein, mobil zu sein. Diese Art von Engagement und gleichzeitig die Anforderungen an den Lebenslauf von Jugendlichen sind nicht mehr unter einem Hut zu bringen, und die Jugendlichen richten sich nach dem, was die Wirtschaft von ihnen erwartet.
Spengler: Entsprechend dürfte es dann keine Idole unter den Politikern für Jugendliche geben. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo Leute wie Willy Brandt ein Idol der Jugend waren. Das gibt es heute nicht mehr?
Fischer: Idole können nun ganz andere Funktionen haben. Ich wüsste jetzt keinen, wo man sagen müsste: Er ist ein Idol, weil er Politiker ist. Ich kann höchstens sagen: Er könnte vielleicht ein Idol werden, obwohl er Politiker ist. Das heißt über Politik genieße ich einen bestimmten Bekanntheitsgrad. Mir werden in der Öffentlichkeit vielleicht bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, und so kann es vielleicht mal sein, aber selbst wenn es diese Idolhaftigkeit gäbe - ich wüsste im Moment in Deutschland niemanden, von dem man das sagen könnte -, würde das nicht heißen, dass dann anschließend Jugendliche anfangen, sich für die klassische Politik zu interessieren, sondern es ist dann nur eine Art Event-Charakter, ein gewisses Idol, ein gewisser Popstar-Effekt, aber keineswegs sozusagen eine Versöhnung mit der klassischen Politik.
Spengler: Gibt es andere Idole? Wenn man die Fernsehbilder von dem Auftritt des Papstes in Toronto gesehen hat, dann mag man ja glauben, dass der Papst ein großes Vorbild für die Jugend ist.
Fischer: Das ist er sicher nicht! Es ist auch diese Diskussion, die ich mehrfach aktiv miterlebt habe, wenn es zum Beispiel um Kirchentage. Man sieht dieses Engagement von jungen Leuten an Kirchentagen und sagt: Guck mal, jetzt werden sie wieder religiös, jetzt wenden sie sich wieder der Religion zu und engagieren sich da. Das gibt immer eine große Ernüchterung, wenn sie das nach den Kirchentagen nicht tun. Die Art und Weise, wie junge Leute zusammenkommen, wie sie bestimmte Dinge machen, wie das beim Papstbesuch der Fall war, das sind eigentlich Dinge, die nichts damit zu tun haben, dass man sich anschließend in Religion engagiert. Man darf das nicht miteinander verwechseln. Das ist eine Art und Weise, wie Jugendliche schon immer versucht haben, sich zu treffen, weg von den Erwachsenen, viele Dinge selbst zu bestimmen, auf der Suche nach neuen Formen gehen. Und natürlich wird ein solches Symbol für die Religion dann von den Jugendlichen akzeptiert, und gerade jemand wie der Papst, der trotz Krankheit und Alter noch bereit ist, eine solche Reise auf sich zu nehmen. Aber man darf jetzt nicht sagen, dass er ein Idol ist. Wenn man wüsste, wie wenig die Jugendlichen beispielsweise über den Papst wissen, wie wenig sie bereit sind, sozusagen ähnliche Wege zu gehen wie er, dann würde man das nicht meinen.
Spengler: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio