Meurer: Der israelische Ministerpräsident, Ariel Sharon, hat gestern in seiner Fernsehansprache Israel als Opfer eines Krieges des Terrorismus bezeichnet, eines Krieges, für den Palästinenser-Chef, Jassir Arafat, die Verantwortung trage. Als Vergeltung haben israelische Armeeeinheiten gestern Ziele in Gaza-Stadt und im Westjordanland angegriffen. Heute Nacht sind israelische Einheiten in Gaza und in Ramallah vorgedrungen. Das alles als Antwort auf die verheerenden Selbstmordanschläge in Israel am Wochenende, die mindestens 25 Tote und 200 Verletzte gefordert haben. Steuert die Auseinandersetzung auf einen Krieg zu? In Tel Aviv begrüße ich nun Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Guten Morgen, Herr Primor.
Primor: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Halten Sie Sharons Antwort, die er gestern, sowohl verbal als auch militärisch gegeben hat, für angemessen?
Primor: Angemessen, das würde ich nicht sagen. Es herrschen heute Emotionen, sowohl bei uns als auch bei den Palästinensern. Es geht nicht nur um Krieg gegen den Terror, um Selbstverteidigung, sondern - das muss man schon gestehen - teilweise auch um Vergeltungsmaßnahmen. Die Bevölkerung verlangt das, Sharon entspricht es. Natürlich wird es keine Lösung sein.
Meurer: Will Sharon letztlich den Krieg mit den Palästinensern?
Primor: Sie haben schon vorher vom Krieg gesprochen. Es kann kein Krieg zwischen Israel und den Palästinensern entstehen. Die Palästinenser sind viel zu klein und zu schwach dafür. Sie können keinen echten Krieg führen. Deshalb führen sie einen Terrorkrieg, was natürlich ein schrecklicher Fehler, ein Verbrechen ist. Einen Krieg kann man nur gegen die Nachbarstaaten führen und es sieht nicht so aus, als würden die Nachbarstaaten dazu bereit sein.
Meurer: Glauben Sie, wie manche meinen, dass Ariel Sharon die palästinensische Regierung, allen voran Jassir Arafat, letztlich aus dem Amt jagen will?
Primor: Das ist nicht unmöglich. Es gibt schon Stimmen in der Regierung - u.a. Spitzenpolitiker, Spitzenminister der Regierung -, die das ganz klar verlangen, die sagen, man sollte die palästinensische Behörde zunichte machen und Arafat vertreiben. Der Druck ist sehr stark. Ich würde sagen, dass Sharon noch zögert. Außerdem muss er natürlich befürchten, dass Peres mit seiner Arbeiterpartei irgendwann die Koalition verlässt und das könnte für das Überleben der Koalition gefährlich werden. Aber mittlerweile unternimmt er solche Schläge gegen die palästinensische Behörde, so dass diese vielleicht unter dem Druck zerfällt.
Meurer: Was könnte denn ein Ende der Koalition zwischen Arbeiterpartei und Likud für die Situation bedeuten?
Primor: Ich sehe heutzutage so etwas noch nicht vorhanden, aus einem ganz einfachen Grund: ich glaube, dass Peres enttäuscht und verbittert ist und gerne schon die Koalition verlassen hätte. Nur, es ist kein günstiger Moment für ihn, weil die Stimmung in der Bevölkerung derartig falkisch, dass es für ihn nicht günstig sein würde, sollte er wegen dem Krieg gegen den Terror die Koalition verlassen. Also wird er wahrscheinlich noch warten. Sollte er dennoch die Koalition verlassen, könnte das rechte Lager weiter regieren, vorausgesetzt der Druck von außen bleibt weiter so, wie heute, dann halten sie alle zusammen. Das wird aber nur kurzfristig sein und Sharon hat offensichtlich kein Interesse daran.
Meurer: Wie sehr deprimiert Sie die ganze Situation, Herr Primor?
Primor: Die Situation ist sehr deprimierend. Das kommt davon, dass die Bevölkerung bei uns nicht mehr an den Frieden glaubt und besonders dem Gesprächspartner nicht glaubt. Die Bevölkerung hat eine ganz bestimmte Meinung, die in den Meinungsumfragen widersprüchlich aussieht. Einerseits ist die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung zu Zugeständnissen bereit, zu einem Palästinenser-Staat bereit, zur Räumung der Siedlungen bereit usw., andrerseits unterstützen sie Sharon und seine Politik. Das kommt davon, dass die Bevölkerung fest daran glaubt, dass man den Palästinensern voriges Jahr, unter Barak, sehr weitgehende, unerwartete Zugeständnisse unterbreitet hat - man war sogar bereit, die Stadt Jerusalem wieder aufzuteilen, d.h. man hat das Sakrileg angetastet - und die Palästinenser haben mit einem Krieg erwidert. Also, was kann man denn tun, was bleibt uns übrig, außer uns zu verteidigen? Daher diese düstere Stimmung, weil man keine Aussicht hat.
Meurer: Wie sehen Sie die Rolle von Jassir Arafat?
Primor: Ich glaube, dass Jassir Arafat diese Gewalttaten vielleicht nicht wollte, aber er nimmt die Zügel nicht in die Hand. Er ist kein echter Führer, er ist kein echter Staatsmann, er will alle in seinem Lager hinter sich haben und ist nicht bereit, gegen Extremisten zu kämpfen. Entweder will er nicht oder er kann den Terror nicht stoppen bzw. eindämmen. Also macht er das Gegenteil: er schürt den Terror, den Hass, um an der Spitze zu bleiben. Insofern ist er kein echter Spitzenpolitiker.
Meurer: Wäre Arafat überhaupt in der Lage, Hamas und Dschihad in den Griff zu bekommen, wenn er wollte?
Primor: Ja, natürlich. Selbst heute, aber bestimmt vor einem Jahr. Schauen Sie, der Mann ist immer noch, trotz allem, das Symbol seiner Bevölkerung, die historische Gestalt seiner Bevölkerung, der Held seiner Bevölkerung. Er hat Streitkräfte zur Verfügung, er hat verschiedene Sicherheitsbehörden zur Verfügung. Er sollte es nur wagen. Natürlich wird es sehr schmerzhaft sein und möglicherweise auch zu einem Bürgerkrieg führen, aber den Bürgerkrieg kann er gewinnen, sollte er es nur wollen.
Meurer: Was würde ein Bürgerkrieg im palästinensischen Lager bedeuten?
Primor: Da muss er natürlich den Terroristen das Handwerk legen, d.h. auch Terroristen verhaften. Es wird kein richtiger Bürgerkrieg sein, aber es könnte sehr schmerzhaft sein, doch dazu war Arafat noch nie bereit. Insofern glaube ich, dass er kein echter Staatsmann ist.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Primor.
Link: Interview als RealAudio
Primor: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Halten Sie Sharons Antwort, die er gestern, sowohl verbal als auch militärisch gegeben hat, für angemessen?
Primor: Angemessen, das würde ich nicht sagen. Es herrschen heute Emotionen, sowohl bei uns als auch bei den Palästinensern. Es geht nicht nur um Krieg gegen den Terror, um Selbstverteidigung, sondern - das muss man schon gestehen - teilweise auch um Vergeltungsmaßnahmen. Die Bevölkerung verlangt das, Sharon entspricht es. Natürlich wird es keine Lösung sein.
Meurer: Will Sharon letztlich den Krieg mit den Palästinensern?
Primor: Sie haben schon vorher vom Krieg gesprochen. Es kann kein Krieg zwischen Israel und den Palästinensern entstehen. Die Palästinenser sind viel zu klein und zu schwach dafür. Sie können keinen echten Krieg führen. Deshalb führen sie einen Terrorkrieg, was natürlich ein schrecklicher Fehler, ein Verbrechen ist. Einen Krieg kann man nur gegen die Nachbarstaaten führen und es sieht nicht so aus, als würden die Nachbarstaaten dazu bereit sein.
Meurer: Glauben Sie, wie manche meinen, dass Ariel Sharon die palästinensische Regierung, allen voran Jassir Arafat, letztlich aus dem Amt jagen will?
Primor: Das ist nicht unmöglich. Es gibt schon Stimmen in der Regierung - u.a. Spitzenpolitiker, Spitzenminister der Regierung -, die das ganz klar verlangen, die sagen, man sollte die palästinensische Behörde zunichte machen und Arafat vertreiben. Der Druck ist sehr stark. Ich würde sagen, dass Sharon noch zögert. Außerdem muss er natürlich befürchten, dass Peres mit seiner Arbeiterpartei irgendwann die Koalition verlässt und das könnte für das Überleben der Koalition gefährlich werden. Aber mittlerweile unternimmt er solche Schläge gegen die palästinensische Behörde, so dass diese vielleicht unter dem Druck zerfällt.
Meurer: Was könnte denn ein Ende der Koalition zwischen Arbeiterpartei und Likud für die Situation bedeuten?
Primor: Ich sehe heutzutage so etwas noch nicht vorhanden, aus einem ganz einfachen Grund: ich glaube, dass Peres enttäuscht und verbittert ist und gerne schon die Koalition verlassen hätte. Nur, es ist kein günstiger Moment für ihn, weil die Stimmung in der Bevölkerung derartig falkisch, dass es für ihn nicht günstig sein würde, sollte er wegen dem Krieg gegen den Terror die Koalition verlassen. Also wird er wahrscheinlich noch warten. Sollte er dennoch die Koalition verlassen, könnte das rechte Lager weiter regieren, vorausgesetzt der Druck von außen bleibt weiter so, wie heute, dann halten sie alle zusammen. Das wird aber nur kurzfristig sein und Sharon hat offensichtlich kein Interesse daran.
Meurer: Wie sehr deprimiert Sie die ganze Situation, Herr Primor?
Primor: Die Situation ist sehr deprimierend. Das kommt davon, dass die Bevölkerung bei uns nicht mehr an den Frieden glaubt und besonders dem Gesprächspartner nicht glaubt. Die Bevölkerung hat eine ganz bestimmte Meinung, die in den Meinungsumfragen widersprüchlich aussieht. Einerseits ist die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung zu Zugeständnissen bereit, zu einem Palästinenser-Staat bereit, zur Räumung der Siedlungen bereit usw., andrerseits unterstützen sie Sharon und seine Politik. Das kommt davon, dass die Bevölkerung fest daran glaubt, dass man den Palästinensern voriges Jahr, unter Barak, sehr weitgehende, unerwartete Zugeständnisse unterbreitet hat - man war sogar bereit, die Stadt Jerusalem wieder aufzuteilen, d.h. man hat das Sakrileg angetastet - und die Palästinenser haben mit einem Krieg erwidert. Also, was kann man denn tun, was bleibt uns übrig, außer uns zu verteidigen? Daher diese düstere Stimmung, weil man keine Aussicht hat.
Meurer: Wie sehen Sie die Rolle von Jassir Arafat?
Primor: Ich glaube, dass Jassir Arafat diese Gewalttaten vielleicht nicht wollte, aber er nimmt die Zügel nicht in die Hand. Er ist kein echter Führer, er ist kein echter Staatsmann, er will alle in seinem Lager hinter sich haben und ist nicht bereit, gegen Extremisten zu kämpfen. Entweder will er nicht oder er kann den Terror nicht stoppen bzw. eindämmen. Also macht er das Gegenteil: er schürt den Terror, den Hass, um an der Spitze zu bleiben. Insofern ist er kein echter Spitzenpolitiker.
Meurer: Wäre Arafat überhaupt in der Lage, Hamas und Dschihad in den Griff zu bekommen, wenn er wollte?
Primor: Ja, natürlich. Selbst heute, aber bestimmt vor einem Jahr. Schauen Sie, der Mann ist immer noch, trotz allem, das Symbol seiner Bevölkerung, die historische Gestalt seiner Bevölkerung, der Held seiner Bevölkerung. Er hat Streitkräfte zur Verfügung, er hat verschiedene Sicherheitsbehörden zur Verfügung. Er sollte es nur wagen. Natürlich wird es sehr schmerzhaft sein und möglicherweise auch zu einem Bürgerkrieg führen, aber den Bürgerkrieg kann er gewinnen, sollte er es nur wollen.
Meurer: Was würde ein Bürgerkrieg im palästinensischen Lager bedeuten?
Primor: Da muss er natürlich den Terroristen das Handwerk legen, d.h. auch Terroristen verhaften. Es wird kein richtiger Bürgerkrieg sein, aber es könnte sehr schmerzhaft sein, doch dazu war Arafat noch nie bereit. Insofern glaube ich, dass er kein echter Staatsmann ist.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Primor.
Link: Interview als RealAudio