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Ist die Steuerdebatte vorüber?

Liminski: Und sie bewegt sich doch, die Politik in Deutschland. Nach dem Beifall für die Abgeltungssteuer - auch aus Teilen der Opposition - kam es gestern im Vermittlungsausschuss zum Kompromiss über die Minijobs, und über Jobs im Niedriglohnbereich breitet sich vor Weihnachten ein Klima des Konsens aus. Ist die Steuerdebatte vorüber? Fasst die Regierung wieder Tritt? Fragen, über die wir uns jetzt mit Kurt Beck, dem Ministerpräsidenten von Rheinland Pfalz, unterhalten wollen. Guten Morgen, Herr Beck.

    Beck: Schönen guten Morgen.

    Liminski: Herr Beck, bricht der Konsens aus? Nach Wochen des Streits ist es ja auffällig, dass man zu Kompromissen kommt. Hat das mit der allgemeinen Ermattung vor Weihnachten zu tun?

    Beck: Ich hoffe, es hat mit allgemeiner Vernunft und Einsicht zu tun, denn wir haben einen Aufgabenbereich in Deutschland zu erfüllen, der nicht klein abzugrenzen ist, und wir haben gemeinsam die Herausforderung zu bestehen, dass wir unserer Aufgabe gerecht werden, und das gilt für Opposition und Regierung. In soweit ist das ein Zeichen der Vernunft.

    Liminski: Ist die Steuerdebatte beendet? Noch liegt das Gesetz über die Abgeltungssteuer nicht auf dem Tisch und der stellvertretende CDU-Vorsitzende Wulff hat vor eineinhalb Stunden in dieser Sendung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Regelung geäußert.

    Beck: Mir hätte schon fast was in Deutschland gefehlt, wenn nicht irgendjemand gerufen hätte: Das ist verfassungswidrig. Das ist offensichtlich so was wie ein Pawlowscher Reflex, mit der Verfassung herumzuwerken. Nein, ich denke ernsthaft, dass die Diskussion um Erbschaft und Steuererhöhung mit diesem Schritt für die Legislaturperiode, für einen absehbaren Zeitraum beendet ist, und insoweit glaube ich, sollten wir uns auf die Umsetzung dessen konzentrieren, was aus allen politischen Lagern für vernünftig und richtig gehalten und eingeschätzt wird und uns jetzt nicht von jemandem stören lassen, der offensichtlich wie Herr Wulf gemeint hat, er muss einen Wahlkampf auf Konflikt aufbauen und jetzt sein Felle wegschwimmen sieht.

    Liminski: Also, weitere Steuern stehen nicht vor der Tür, zum Beispiel eine Erhöhung der Erbschaftssteuer oder der Mehrwertsteuer oder vielleicht doch eine Vermögenssteuer? Frau Simonis und die Gewerkschaften lassen da ja nicht locker.

    Beck: Nein, es geht sicher nicht so, dass man, wenn diese Schritte jetzt gegangen sind, mit der Zinsabgeltungssteuer einfach in die gleiche Richtung, ins gleiche Steuerklientel hinein noch weitere Belastungen setzt. Mit dieser Entscheidung wird diese Diskussion zu Ende sein.

    Liminski: Und die Vermögenssteuer?

    Beck: Da gilt das Gleiche. Ganz ohne Frage. Wir haben dem Bereich der Erbschaftssteuer ja aufgegeben, vom Bundesfinanzhof einige formale Korrekturen vorzunehmen. Die werden sicher vorgenommen werden, aber es geht nicht darum, diese Steuerarten zu nutzen, um Steuererhöhungen weiter zu forcieren.

    Liminski: Die zarte Pflanze des Konsenses, Herr Beck, wird gestört von den Warnstreiks der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst. Haben Sie dafür Verständnis?

    Beck: Ja, das ist wahr, aber es ist auch ein Teil einer Wirklichkeit, die in jeder freien Gesellschaft eine Rolle spielt. Das muss man sehen, und wir sind in Deutschland natürlich auch ein bisschen verwöhnt, dass wir Streiks ganz, ganz selten im Vergleich auch zu unseren europäischen Nachbarn haben in Großbritannien oder Frankreich oder anderswo, und insoweit fällt uns dies besonders auf. Wir haben auch eine besondere Situation. Niemand würde einem Busfahrer oder einer Krankenschwester absprechen, dass es auch für einzelne Menschen eine schwierige Situation ist, über die Runden zu kommen, aber auf der anderen Seite haben wir öffentliche Haushalte, die in der Tat null Spielraum bieten, was diese Fragen angeht, und da kommt es dann natürlich schon zu Spannungen, die sich jetzt in den Warnstreiks ausdrücken.

    Liminski: Also, ein gewisses Verständnis höre ich aus Ihren Worten, aber ver.di ist wohl offenbar so wild entschlossen wie die Kassen leer sind und es kann zu Streiks kommen. Das löst ja auch wohl offenbar kein Problem, oder?

    Beck: Das löst keine Probleme, das ist wahr, aber auf der anderen Seite ist es auch Teil einer freien Gesellschaft. Wir sollten es nicht dramatisieren und es nicht zu einer völlig außerhalb aller Überlegung stehenden Situation hochreden. Es ist bedauerlich, wenn es zu Streiks kommen würde, aber es ist manchmal nicht zu vermeiden, gerade wenn die Situation so konfliktreich ist und auf der einen Seite in der Tat - nicht nur von den öffentlichen Arbeitgebern taktisch behauptet - kein Geld und kein Spielraum da ist und auf der anderen Seite Menschen stehen, die fleißig ihre Arbeit leisten und die natürlich auch spüren, dass es finanziell an allen Ecken und Enden zwickt und zwackt. Das ist dann eine schwierige Lage, und man kann nicht völlig ausschließen, dass es zu Streiks kommt und ich hoffe, dass es Einsicht geben wird und dass wir auf dem Verhandlungswege zu Entscheidungen kommen.

    Liminski: Sie sagten gerade, Spielraum gleich Null - wo kann es denn da noch Verhandlungen geben?

    Beck: Ich möchte jetzt nicht öffentlich über Tarifverhandlungen spekulieren, die auch in meinem Namen gerade wieder anlaufen. Insoweit denke ich, wäre das ungut und auch gegenüber unseren Verhandlungspartnern, den Gewerkschaften, kein guter politischer Stil, aber ich muss noch einmal betonen: Wir haben eben wirklich keine Spielräume in den Kassen der öffentlichen Haushalten. Weder bei den Gemeinden noch bei den Ländern noch beim Bund, so dass wir da nicht in den Verruf kommen dürfen, wir würden taktische Spiele auf dem Rücken unserer Mitarbeiter betreiben. Es geht eben ganz, ganz wenig, wenn überhaupt etwas.

    Liminski: Ein weiteres großes Feld, wo ein Konsens sicher nötig ist, ist die Rentenreform. Gesundheits- und Sozialministerin Schmidt hat in der Wochenzeitung die Zeit hierzu einen Vorschlag gemacht: Wer später anfängt, soll länger arbeiten. Also, ein Renteneintritt abhängig von den Berufsjahren. Frau Schmidt will nach den Landtagswahlen mit der Union darüber verhandeln. Für solche Reformen sei einer breiter Konsens nötig. Die Union wird das sicher mittragen, denn sie hatte in dem Seehofer-Wulff-Papier Anfang des Jahres dieselbe Idee vorgeschlagen. Warum soll man bis zu den Landtagswahlen warten, wenn ein Konsens jetzt schon möglich und absehbar ist?

    Beck: Sie haben ja vorhin selber zitiert, dass einer der Wahlkämpfer, Wulff, gerade mal wieder mit dem schärfsten aller deutschen Geschwader, nämlich mit der Verfassungswidrigkeit in einer Frage herumfuhrwerkt, wo die Verfassung wirklich nicht angerufen werden muss. Also, wegen solcher Aufgeregtheiten macht es sicher Sinn, dass man in einer Zeit redet, in der man sich stärker auf eine Sache konzentrieren kann. Das was da zur Überlegung steht, ist eine denkbare Variante. Man muss sicher über manches und vieles miteinander reden. Mir kommt es darauf an, dass wir in der Rentendebatte und in der Debatte um die Lebensarbeitszeit uns nicht vormachen, es gebe einen Weg nach dem Motto 65 oder 66 oder 70 Jahre, was da alles zur Diskussion ist. Da möchte ich, dass vernünftig zwischen Menschen unterschieden wird, die - erlauben Sie mir das zu sagen - wie Sie und ich einen kreativen Job machen dürfen, die relativ hohe Flexibilität, auch wenn man dabei hohe Belastungen hat, in ihrem Beruf haben und den Bauarbeitern, die derzeit bei mir vor dem Fenster gerade Betonmauern abreißen und bei diesem Wetter im Graben stehen und ihre Arbeit machen. Denen kann ich nicht mit 70 Jahren Rentenalter kommen. Also, da bin ich dafür, dass wir das Leben sehen wie es ist und dass wir vernünftig mit den Menschen umgehen. Dann werden wir sicher auch Lösungen finden, die, was Lebenszeit angeht, helfen, dass wir die Rentenproblematik der Zukunft in den Griff bekommen. Es werden noch eine ganze Reihe von anderen Schritten hinzugefügt werden müssen, Stichwort: Die Ausweitung dessen, was wir Riester-Rente nennen, also des privat abgesicherten kapitalgedeckten Teils der Altersversorgung für die Zukunft.

    Liminski: Wo sehen Sie denn weitere Perspektiven einer Einigung mit der Union? Wir haben jetzt die Rente, wir haben die Steuern. Gibt es noch andere Bereiche?

    Beck: Man muss sicher über vieles reden. Ich glaube, dass der europäische Weg, dass die Frage eines Konsenses über eine gemeinsame europäische Verfassung und darüber, wie es weiter geht, auch ein solcher Punkt ist, der nur in Grenzen eine Debatte nach Parteilinien verdient, wo wir uns verständigen müssen und sollten, wenn die große Chance da ist und wo es eben darauf ankommt, dass man diese alten, billigen Schemata ein Stück weit hinten anstellt, um miteinander nach vorne zu kommen.

    Liminski: Herr Beck, letzte Frage. Vielleicht etwas persönlich: Mit der Politik geht es offenbar wieder etwas aufwärts. Sie sind nicht nur Politiker, sondern auch Fußballfreund. Kommt auch der FC Kaiserslautern aus dem Keller?

    Beck: Das will ich doch sehr hoffen. Zumindest war der Abschied von der Vorrunde mit dem 2:1 Sieg gegen Hertha BSC eine hoffnungsfrohe Sache. Man hat wieder gewonnen und gezeigt, dass man gewinnen kann. Also, da drücke ich die Daumen. Die Hertha-Fans sollen mir nicht böse sein, aber für die Lauterer, für uns in Rheinland Pfalz war das fußballerisch existenziell und wir haben wieder Hoffnung geschöpft.

    Liminski: Das war Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland Pfalz. Besten Dank für das Gespräch, Herr Beck.

    Link: Interview als RealAudio