Engels: Nehmen wir direkt das Projekt, das Sie angedacht haben. Sie versuchen, Geld für palästinensische Jugendliche zu sammeln. Wie sieht dieses Projekt aus und was wollen Sie damit bezwecken?
Schrobsdorff: Ich habe das nie vorbereitet. Ein palästinensischer Bekannter hat mich eines Tages angerufen und gebeten, ob ich nicht alte Sachen für einen der vier Waisenkinder hätte, die kein Dach über dem Kopf hätten und in einer Tischlerei auf den Sägespänen schliefen. So fing die Geschichte ganz harmlos und unschuldig an, und ich habe einen Rundbrief geschrieben und an 110 Personen geschickt. Ich habe ihnen gleich geschrieben, sie möchten mir eine Spende von maximal 100 Mark geben, weil ich keine Sicherheiten bieten kann, weil ich keine Organisation bin, weil ich das auf ganz persönlicher Basis mache. Ich dachte, vielleicht werden 2.000, 2.500 Mark eingehen, aber es sind jetzt 25.000 Mark eingegangen, und ich weiß nicht, was ich machen soll, weil ich ja nicht mehr in die Gebiete reinkomme und die Menschen auch nicht mehr raus.
Engels: Sie wohnen in Jerusalem auf der sogenannten Grünen Grenze, d.h. zwischen dem stärker israelisch besiedelten West-Jerusalem und dem arabisch-palästinensischen geprägten Ostteil der Stadt. Hat sich denn Ihr Lebensalltag seit dieser jüngsten Zuspitzung verändert?
Schrobsdorff: Nun, wenn sie bombardiert und beschossen wurden, haben wir es natürlich genau gehört, es waren manchmal ganz starke Detonationen. Insofern habe ich das natürlich hautnah mitbekommen. Beispielsweise wurden meine Autoscheiben einige Male mit Steinen zertrümmert.
Engels: Haben Sie denn die Hoffnung, dass es möglich ist, diese Eskalationsstufe, die da erreicht worden ist, wieder zu verlassen und doch wieder aufeinander zuzugehen?
Schrobsdorff: Aufeinander zuzugehen? Nicht in dieser Art und Weise. Ich vertraue Sharon sowieso nicht. Es ist offensichtlich, dass das, was jetzt erfolgt, sein Ziel war. Aber ich traue genauso wenig Arafat und seinen Kumpanen. Das ist ein Krieg unter alten Männern, die sowieso immer sehr böse aufeinander waren. Ich glaube nicht, dass es auf diese Weise geht. Es muss vom Volk ausgehen, und da geht es nicht mehr.
Engels: Da geht es nicht mehr, denken Sie, die israelische Bevölkerung ist mehrheitlich nicht mehr bereit, den Friedensprozess weiter zu unterstützen?
Schrobsdorff: Ja, auf ihre Art und Weise, zu ihren Bedingungen selbstverständlich. Aber diese Bedingungen sind für die Palästinenser nicht akzeptabel. Wenn die Palästinenser zu ihren Bedingungen ja und Amen sagen würden, würden die Israelis das selbstverständlich unterstützen.
Engels: Um es etwas überspitzt zu formulieren, geht es möglicherweise beiden Bevölkerungsgruppen - Israelis wie Palästinensern - noch nicht schlecht genug? Sind sie noch nicht genug zum friedlichen Zusammenleben gezwungen?
Schrobsdorff: Den Palästinensern geht es nun wirklich sehr schlecht. Denen steht das Wasser sehr hoch, insbesondere den kinderreichen muslimischen Familien, wobei ich die Kinder bemitleide. Erwachsene haben alle - ich inbegriffen - nur Dreck am Stecken. Inwieweit die palästinensische Bevölkerung bereit ist, auf die Israelis zuzugehen, das kann ich nicht mehr sagen. Also ich wäre es nicht, wenn ich so behandelt worden wäre.
Engels: Aber wie kann dann der Weg aussehen? Setzen Sie vielleicht Hoffnungen aufs Ausland? Können die USA, können die Europäer da noch auf beide Seiten einwirken?
Schrobsdorff: Die USA werden sich hüten. Das, was hier passiert, ist doch eine Parodie in einem kleinen Maße auf das, was in Afghanistan passiert. Die Terroristen werden gejagt, da ist es Bin Laden und hier ist es Arafat. Das ist doch genau dasselbe in grün.
Engels: Nun hat sich gestern Palästinenser-Präsident Arafat in einer Ansprache im Fernsehen noch einmal für ein Ende der Selbstmordattentate und eine friedliche Art des Prozesses ausgesprochen. Denken Sie, damit erreicht er noch seine Bevölkerungsgruppe?
Schrobsdorff: Er hat sich sehr um diese Sache gewunden, aber wenn man zwischen den Zeilen lesen kann, hat er es gesagt, ja. Und ich kann nur wirklich hoffen - mehr kann ich nicht -, dass diese Attentate aufhören. Nicht nur, weil ich es furchtbar finde, wie viele unschuldige Israelis dabei umkommen, sondern auch, weil es eine hoffnungslose Sache ist.
Engels: Wenn es noch eine Hoffnung gibt, gründet sie dann auf solchen kleinen Projekten, wie Sie eins betreiben?
Schrobsdorff: Nein.
Engels: Warum nicht?
Schrobsdorff: Ich weiß nicht worauf es gründet. Es würde meiner Meinung nach nur gehen, indem beide Seiten sagen, jetzt ist wirklich Schluss, wir müssen sehen, dass wir zusammen leben. Und sie müssen sich voreinander auch entschuldigen, sie müssen Verständnis haben, sie müssen sich anerkennen. Das ist alles. Mehr braucht es gar nicht.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schrobsdorff.
Link: Interview als RealAudio