Müller: Das heißt, die Branche hat jetzt wieder für den Bürger, für die Kunden ein besseres Angebot?
Harms: Ja, das auch. Die Branche hat sich konsolidiert, sie ist auch aus einer gewissen Hype-Situation, einer Überhitzung, in die Normalisierung gegangen. Es gibt jetzt sehr selektiv Bereiche, wo auch wieder sehr starkes Wachstum zu sehen ist, ich erinnere an die Mobilgeräte, vor allen Dingen Mobil-PCs, die praktisch mit 20-prozentigem Wachstum im letzten Jahr dastanden. Das Gleiche gilt auch für die Handys. Die Handys sind wieder gewachsen stückzahlmäßig und damit wachsen auch die Telekommunikationsdienste, die Datendienste, die Mobildienste, die auch in Bereichen zweistellig wachsen. UMTS, das Standardangebot für den Mobilfunk wird sich in diesem Jahr ausbreiten, damit verbunden die entsprechenden neuen Inhalte. DSL-Anschlüsse steigen fast um den Faktor 2 bis in das Jahr 2006, da sind wir sehr optimistisch. Für den Konsumenten sehen wir das Zusammenwachsen von Informations- und Telekommunikation (ITK) und Unterhaltungselektronik, hier gibt es faszinierende neue Angebote auf der CeBIT, aber auch in den nächsten Jahren, wie wir sehen können. Das geht von Flachbildschirmen bis hin zu neuen Angeboten im HiFi-Umfeld.
Müller: Das heißt, in den vergangenen Jahren, in den Krisenjahren, war ja häufig die Rede davon, grundsätzlich sei der Markt in Deutschland, also das Angebot von PCs, von Handys et cetera, grundsätzlich gesättigt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist dem nicht so?
Harms: Na gut, wir sind, wenn Sie einmal das Beispiel Handys nehmen, im Jahre, ich glaube es war 2000, haben wir praktisch in einem Jahr eine Verdoppelung hinbekommen. Inzwischen haben fast 77 Prozent aller Deutschen ein Handy, damit sind wir noch nicht soweit wie die Italiener, die sitzen bei etwa 95 Prozent. Aber es gab dann zwischen 2000 und dem letzten Jahr eine Pause, es gab auch Schrumpfung in diesem Bereich und im letzten Jahr haben die Deutschen wieder zugekauft. Das wird auch in dem nächsten Jahr normal weitergehen, so sehen wir das auch in anderen Ländern und die UMTS-Angebote werden das noch beschleunigen.
Müller: Dennoch ist zu lesen, auch heute Morgen in der Presse, dass im europäischen Vergleich, jetzt mit Bezug auf die IT-Branche, Deutschland immer noch Schlusslicht in punkto Wachstum ist. Woran liegt das?
Harms: Also, ich denke, dass kann man auch in den letzten zwei, drei Jahren sehen, selbst in der Flaute, die Sie vorhin anführten, waren wir in den europäischen Ländern immer stärker. Wenn man das auf das reale Bruttoinlandsproduktwachstum bezieht, können wir sagen, dass hier Deutschland einfach im Schlussbereich in Europa läuft. Und das schlägt sich dann natürlich auch nieder in unserer Branche. Dazu kam, dass in den letzten zwei Jahren die verschiedenen Unternehmen sehr vorsichtig in den Investitionen waren, und das löst sich jetzt Gott sei Dank. Aber die Rahmenbedingungen in Deutschland müssen einfach noch stürmischer reformiert werden, so dass hier dann wieder die normalen Wachstumsraten der Volkswirtschaft - so wie in den anderen europäischen Ländern - möglich sind.
Müller: Dann sollten Sie uns auch konkret verraten, welche weiteren Reformschritte Sie von der Bundesregierung erwarten?
Harms: Gerade in den begonnenen Richtungen weiterzugehen. Aber, ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass wir in der Wirtschaft deutlich stärkere Reformschritte im Arbeitsrecht brauchen, ob das jetzt die Reformierung des Tarifgesetzes, der Kündigungsschutz oder die Arbeitszeiten sind, wir brauchen für unsere Branche endlich eine bessere Urheberrechtssituation und ein Weggehen von den Pauschalabgaben. Und insgesamt, denke ich, Leistung mindernd sind in Deutschland besonders die hohen Abgaben, auch im internationalen Bereich, das ist nicht sehr motivierend für unsere Mitarbeiter.
Müller: Aber es geht demnach auch, um den Abbau von Arbeitnehmerrechten in den Betrieben?
Harms: Es geht um das Fördern von Selbständigkeit und das ist ja genau das, was wir in den nächsten Jahren brauchen, wir brauchen Mitarbeiter, die selbständig arbeiten, die unternehmerisch mitarbeiten, die qualifiziert sind und die Wertschöpfung erstellen, die weltweit mit Gewinn verkaufbar ist. Das ist der Trend der Zeit und hier werden wir noch deutliche Restrukturierungen in den nächsten Jahren zu erwarten haben, auch in unserer Branche.
Müller: Nun hat die Informationsindustrie ja vor wenigen Jahren auch noch einmal beklagt, es gibt zu wenig hoch qualifizierte Fachkräfte in Deutschland, aus Deutschland. Hat sich das verbessert?
Harms: Das hat sich im Zuge der konjunkturellen Dämpfung verbessert, gar keine Frage. Es ist aber so, dass insgesamt die Absolventenzahl in den naturwissenschaftlichen, technischen Bereichen in Deutschland ganz erheblich gesunken ist. Im Jahre 93 hatten wir insgesamt bei Maschinenbauabsolventen, Elektrotechnik, Informatik 40.000 Absolventen und im letzten Jahr hatten wir nur 20.000. Das ist ein deutlicher Rückgang und das macht uns Sorgen, denn wer soll denn sonst die Wertschöpfung in den nächsten Jahrzehnten erstellen, wenn nicht Ingenieure, Techniker, Informatiker? Wir brauchen sie und nach dieser Schwächephase unserer Branche suchen wir sicherlich in den nächsten Jahren gerade die Hochqualifizierten wieder sehr deutlich, und das zeigt sich jetzt schon bei Umfragen in unserer Branche.
Müller: Jörg Menno Harms war das, Deutschlandchef des Computerherstellers Hewlett-Packard, vielen Dank für das Gespräch.