
Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Mario Barbi, ehemals Abgeordneter der Demokratischen Partei. Guten Morgen!
Mario Barbi: Guten Morgen!
Kaess: Herr Barbi, haben Sie Hoffnung, dass sich das Land mit Renzi stabilisiert?
Barbi: Stabilisiert, das ist eine große Hoffnung. Das Land muss große Reformen durchmachen. Die Frage ist, ob Renzi in der Lage ist, mit dem alten Instrumentarium, weil Reformen noch nicht durchgeführt worden sind, in der Lage ist, diese Reformen zu entscheiden.
Kaess: Renzis Kritik an seinem Vorgänger ist ja, dass Letta genau in dieser Richtung Reformen zu wenig getan hat. Würden Sie dem zustimmen?
Barbi: Letta hat natürlich nicht sehr viel gemacht, der war aber gefangen, sagen wir mal so, in einer Koalition, die eine Rechtspartei innehatte, und er war der Vertreter einer linken Partei. Das Problem wird auch Renzi haben, weil die Koalition wird sich nicht ändern.
"Renzi kann neue Energie bringen"
Kaess: Was kann Renzi also anders machen?
Barbi: Der kann neue Energie bringen, er kann einen stärkeren Willen bringen, eine höhere Risikobereitschaft.
Kaess: Er gilt ja auch tatsächlich als eher kaltschnäuzig, sagen wir mal, deshalb halten Sie ihn für geeigneter, Reformen durchzusetzen?
Barbi: Den Versuch zu machen bestimmt. Ob es gelingt, das würde ich fast offenlassen, weil, wie gesagt, die Position des Regierungschefs verfassungsrechtlich sich nicht geändert hatte. Das heißt, dass Gesetze immer diesen sehr langwierigen Prozess brauchen - der Bikameralismus ist immer noch da - und die Mächte des Regierungschefs begrenzt sind. Er kann zum Beispiel Minister nicht entlassen, er kann nicht unabhängig entscheiden, ob er Gesetzeserlasse, das heißt decreti-legge, die unmittelbar in Kraft treten und erst später vom Parlament gebilligt werden – er kann das nicht unabhängig entscheiden, er braucht dafür die Zulassung des Staatschefs. Und das würde ich als Elemente betrachten, die sehr, sehr schwerwiegend wiegen werden.
"Er hat sich stark widersprochen"
Kaess: Und er kann wahrscheinlich auch nur Reformen durchsetzen, wenn er mal länger als zehn Monate im Amt ist. Wie sind denn seine Aussichten, dass er länger im Amt bleiben kann, oder hat er jetzt mit dem Vorgehen innerhalb der Partei auch Parteimitglieder gegen sich aufgebracht?
Barbi: Das ist einer der unklareren Punkte, weil er hat sich sehr stark widersprochen. Er hat versprochen, er wolle nicht Regierungschef werden, ohne dass eine Wahl, eine politische Wahl davor stattgefunden hat. Und er hat dann diese Meinung geändert. Und jetzt verspricht er, dass er diese Legislatur bis zum Ende führen will, weil für Reformen Zeit nötig ist. Ich sehe dies als sehr schwierig, dieses Versprechen einzuhalten, weil dieses Parlament ist sehr schwach, also er hat eine schwache Legitimation. Denken Sie daran, das Parlament ist mit einem Wahlrechtsgesetz gewählt worden, das das Verfassungsgericht inzwischen als verfassungswidrig gesprochen hat. Das wird auch ein Problem bringen. Und er hat eine stärkere Position von der Protestbewegung Fünf Sterne. Er wird die Opposition von Berlusconi haben, die natürlich stärker oder schwächer sein wird nach den Umständen …
"Er muss Reformen machen, die Geld kosten"
Kaess: Er hat aber - Entschuldigung, wenn ich unterbreche -, aber Renzi hat ja auch gute Verbindungen zu Berlusconi. Wie werten Sie die denn?
Barbi: Er hat gute Verbindungen, weil er mit Berlusconi ein Pakt für Reformen geschlossen hatte, aber er hat als Parteichef dies gemacht und nicht als Regierungschef. Dann müssen Sie daran denken, dass er als Regierungschef mit einer Koalition regieren wird, die gegen Berlusconi ist, das heißt, Berlusconi würde sich opponieren an dieser Regierung. Gleichzeitig muss er weiter die Reformen vorantreiben mit Unterstützung von Berlusconi. Also es wird eine heikle Situation sein. Und sagen wir, die Aufgabe des Regierungschefs kostet viel Zeit. Er muss die Koalitionsstreitereien ausgleichen, und er muss vor allem wirtschaftlich sich auf die Probe stellen. Und dabei wird es sich bald zeigen, ob er so diese neue Idee nun, diese neue Kraft hat, um so Probleme zu lösen, die bis jetzt keiner in der Lage gewesen ist zu lösen. Also er muss Reformen machen, die Geld kosten, zuerst Geld kosten - Schule, Arbeitsnebenkosten reduzieren …
Kaess: Die Einschätzungen von Mario Barbi. Herr Barbi, wir müssen leider Schluss machen an der Stelle, denn wir laufen auf den Trailer und die Nachrichten zu. Danke schön für das Gespräch!
Barbi: Bitte, bitte sehr, bitte sehr!
Kaess: Mario Barbi war das, ehemaliger Abgeordneter der demokratischen Partei, danke schön!
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