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"Italien ist in der Lage, die eigenen Schulden zu finanzieren"

Heute werde "mit Sicherheit" das Parlament den italienischen Sparkurs absegnen, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des italienischen Senats, Lamberto Dini. Die rasche Zustimmung werde ein starkes Signal an die Märkte senden - dennoch erwartet Dini noch weitere Reformen.

15.07.2011
    Christoph Heinemann: Ein Sparpaket von 79 Milliarden Euro soll Italien aus der Schusslinie der Schuldenkrise bringen. Gestern hat der Senat in Rom zugestimmt, heute stimmt die Abgeordnetenkammer ab. Angesichts des nach Griechenland zweithöchsten Schuldenstands der Euro-Zone will das Land so das laufende Defizit bis 2014 ausgleichen. Geplant sind Sparmaßnahmen von rund drei Milliarden in diesem Jahr, und dann steigt die Sparsumme kräftig an. 45 Milliarden sollen im Jahr 2014 wegfallen. Und wo tut's weh? – Gehälter im Öffentlichen Dienst eingefroren, Stellen gestrichen, höhere Gebühren für Arztbesuche, Steuern auf hohe Renten, ein späterer Eintritt ins Rentenalter und so weiter.
    Vor dieser Sendung haben wir Lamberto Dini erreicht. Er hatte so ziemlich alle wichtigen öffentlichen Ämter inne, Ministerpräsident, Finanzminister, Generaldirektor der Banca d'Italia, er ist gegenwärtig Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im italienischen Senat und er hat dem Sparpaket gestern dort zugestimmt. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob er sich sicher sei, dass das Parlament heute ebenfalls Ja sagen wird?

    Lamberto Dini: Ja, mit Sicherheit.

    Heinemann: Das Spargesetz sieht Kürzungen von drei Milliarden in diesem Jahr und 45 Milliarden im Jahr 2014 vor. Wieso sind die großen Kürzungen so weit in die Zukunft verschoben worden?

    Dini: Die Regierung hat das noch einmal korrigiert: Die Haushaltsausgaben für 2012 liegen niedriger als ursprünglich geplant und das Defizit soll 2012 weniger als 2,7 Prozent betragen, das heißt ungefähr zwei Prozent.

    Heinemann: Ist Finanzminister Tremontis Plan realistisch, das italienische Defizit bis 2014 auf 0,2 Prozent zu verringern?

    Dini: Ich glaube, ja! Italien war immer in der Lage, Schwierigkeiten zu überwinden. Das war früher so und gilt auch die Gegenwart. Italien sah sich seit Montag spekulativen Angriffen ausgesetzt, die von US-amerikanischen Hedge-Fonds organisiert und koordiniert wurden. Die überlegen sich, was gemeinsam getan werden muss, damit sie Geld verdienen können. Das hat dazu geführt, dass die Zinsen für die italienischen Schulden bisher unbekannte Höhen erreichten. Aber Italien ist in der Lage, die eigenen Schulden zu finanzieren. Übrigens liegt der Prozentsatz der italienischen Schulden, die von ausländischen Gläubigern gehalten werden, unter dem vieler anderer Staaten.

    Heinemann: Italien benötigt in diesem Jahr mindestens weitere 80 Milliarden Euro. Im kommenden Jahr laufen mittel- und langfristige Titel im Wert von 200 Milliarden aus. Rechnen Sie damit, dass die Zinsen zur Schuldenfinanzierung weiter steigen werden, so wie in den vergangenen Tagen?

    Dini: Das glaube ich nicht. Die rasche Zustimmung zum Haushaltsgesetz für 2012 bis 2014 ist ein starkes Signal, das Italien aussendet. Und wir hoffen, dass die Märkte positiv reagieren werden.

    Heinemann: Nehmen wir für einen Augenblick einmal an, ein Land wie Italien müsste gerettet werden. Wäre der Euro damit am Ende?

    Dini: Ich sehe nicht, wieso Italien gerettet werden müsste. Wenn Italien von weiteren Spekulation verschont bleibt, wird das Land es allein schaffen. Unter Umständen werden weitere Reformen bei den Abgaben notwendig und die Ausgaben weiter verringert werden. So könnte noch vor 2014 ein Überschuss erzielt werden.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, ein Gespräch mit dem früheren italienischen Ministerpräsidenten Lamberto Dini. - Was halten Sie von dem Vorschlag sogenannter Eurobonds, das heißt alle Euroländer - vor allem Griechenland - zahlen den gleichen Zinssatz?

    Dini: Ich glaube nicht, dass man weiterhin versuchen sollte, Griechenland mit Hilfe zusätzlicher gemeinschaftlicher Fonds Luft zu verschaffen. Kein Beobachter geht heute davon aus, dass Griechenland mit einer solchen Schuldenlast und einer Wirtschaft in der Rezession von allein wieder auf die Beine kommen wird. Die Schuldenlast muss neu strukturiert werden. Und dass heißt nicht nur Verlängerung der Laufzeiten für Kredite, sondern wirklich Restrukturierung: also Schuldenschnitt, sodass der verbleibende Teil für die griechische Wirtschaft zu verkraften ist und diese wieder wachsen kann. Die Gläubigerbanken verlören damit einen Teil ihrer Forderungen. Das betrifft überwiegend deutsche und französische Banken. Diese Banken werden Frau Merkel und Herrn Minister Schäuble natürlich sagen: nein, tut das nicht, sonst wissen wir nicht, wie wir unsere Bilanzen in Ordnung halten können. Aber es wäre weniger teuer, diese deutschen oder französischen Banken zu rekapitalisieren, als weiterhin Fonds für ein Bail-out, die Übernahme griechischer Schulden, zur Verfügung zu stellen, womit niemandem gedient ist.

    Heinemann: Die Rating-Agentur Moody`s droht den USA mit einer Herabstufung der Bonität. Welche wären die Folgen, wenn es dazu käme?

    Dini: Das wäre ein starkes Signal an den US-Kongress, einer Verringerung des Haushaltsdefizits zuzustimmen, das sich bei etwas zehn Prozent bewegt. Es liegt über dem durchschnittlichen Wert der Euro-Länder.

    Heinemann: Ist die Bestnote - dreimal A - für die Vereinigten Staaten gerechtfertigt?

    Dini: Die Vereinigten Staaten verfügten immer über eine sehr dynamische Wirtschaft: es ist das Land mit dem höchsten Venture capital, Risikokapital, das investiert werden kann. Es gibt ein immer noch sehr effizientes verarbeitendes Gewerbe und viel Forschung und Entwicklung für Innovationen. Niemand kann der amerikanischen Wirtschaft diese Stärke nehmen.

    Heinemann: Zurück nach Italien: wie bewerten Sie Ministerpräsident Berlusconi Stehvermögen in der gegenwärtigen Krise?

    Dini: Der Ministerpräsident weiß, dass sich seine Mehrheit im Abgeordnetenhaus wegen des Bruchs mit seinem ehemaligen Verbündeten Gianfranco Fini stark verringert hat. Aber es gibt diese Mehrheit noch und solange kann er weiter regieren und er kann die notwendigen institutionellen und verfassungsrechtlichen Reformen auf den Weg bringen.

    Heinemann: Das Gespräch mit dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Lamberto Dini haben wir gestern kurz nach der Abstimmung im Senat aufgezeichnet.

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

    Deutschlandradio aktuell vom 11. Juli 2011: Merkel mahnt Italiener zum Sparen