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Italien
Proteste gegen Öl-Bohrungen an Land

In Kampanien protestiert ein kleiner Ort dagegen, dass vor seiner Haustür künftig Öl gefördert wird. Zurzeit wird lediglich vor den Küsten Italiens gebohrt. In Kampanien und anderen potenziellen Förderregionen fürchtet man aber, dass bald die Kriterien für Lizenzen an Land aufgeweicht werden. Bürgerinitiativen haben nun ein Referendum gegen Offshore-Bohrungen in Italien angesetzt.

Von Sarah Zerback | 29.03.2016
    Hier soll bald nach Öl gebohrt werden: In Kampanien kämpft eine Umweltgruppe gegen "Trivellazione" vor ihrer Haustür.
    Hier soll bald nach Öl gebohrt werden: In Kampanien kämpft eine Umweltgruppe gegen "Trivellazione" vor ihrer Haustür. (Deutschlandradio / Sarah Zerback)
    Alfonso Pecoraro Scanio setzt die Sonnenbrille auf und legt den Kopf in den Nacken. Neben ihm stehen zwei junge Umweltaktivisten, die dem Politiker der italienischen Grünen erklären, was es mit der still gelegten Fabrik auf sich hat, die er da groß, gelb und rostig vor sich sieht.
    "Das ist der Ort, der dafür ausgesucht wurde, nach Erdöl zu bohren. Und zwar wie Sie sehen praktisch im Stadtzentrum, nur ungefähr 50 Meter vom Ort entfernt."
    Goffredo Pesiri zeigt auf ein Graffito: "No Triv" steht dort in großen, schwarzen Buchstaben, der Name seiner Gruppe, kurz für No Trivellazione - keine Bohrungen. Hier in Irpinia, im Herzen Kampaniens, protestiert ein kleiner Ort dagegen, dass vor seiner Haustür künftig Öl gefördert wird. Pecoraro Scanio, der in der Regierung Prodis Umweltminister war, kennt Sorgen wie diese, reist viel durchs Land und hat schon einige der rund 200 lokalen Initiativen getroffen, die sich gegen die Bohrungen formiert haben.
    "Wir sind das Land, das den größten Anteil Sonnenenergie hat. Und da ist es doch absurd, dass wir weiter nach fossilen Energien bohren – im Meer und auf dem Land, obwohl Italien eines der touristischsten Länder der Welt ist. Und obwohl hier überhaupt nur wenige Gas- und Ölvorräte vorhanden sind."
    Aktuell wird in einem Umkreis von 22 Kilometern vor den Küsten Italiens nach Öl und Gas gebohrt. Geht es nach der Regierung Renzi darf dort in Zukunft so lange gefördert werden, bis die Lager leer sind. Dazu reichen Lizenzen, die teilweise vor Jahrzehnten ausgestellt wurden. Erneuert und damit auch an aktuelle Umweltvorschriften angepasst werden, müssen sie dann nicht mehr. Wie zum Beispiel an eine Vorlage, nach der die Anwendung von so genannten Airguns verboten ist. Mithilfe dieser Druckluftkanonen stellen Geologen fest, ob Rohstoffe im Meeresboden gelagert sind. Doch die Schallwellen, die dabei erzeugt werden, bedrohen laut einer Studie eines italienischen Umweltinstituts Fische und andere Meeresbewohner akut, sie werden aus ihrem Lebensraum vertrieben. Nur eines von zahlreichen Risiken, sagt Giorgio Zampetti von der Umweltorganisation Legambiente.
    "Die Ölböhrungen sind tatsächlich immer riskant. In der Basilikata, der Region mit den meisten Aktivitäten, werden häufig Unfälle bestätigt, wenn zum Beispiel Rohre ein Leck haben. Das sind Risiken, die es on- und offshore gibt. Aber in einem Meer wie der Adria, einem empfindlichen Ökosystem, wo aktuell die meisten Plattformen sind, dort würde ein Unfall Schäden anrichten, die schwerlich wieder behoben werden könnten."
    Noch ist der Golf von Neapel frei von Bohrplattformen
    Legambiente hat sich mit den lokalen Gruppen von No-Triv und mit regionalen Vertretern der Politik zusammengetan. Gemeinsam haben sie ein Referendum gefordert, um über die neuen Gesetze abzustimmen. Die Bürger Italiens können nun am 17 April selbst entscheiden: Stimmen sie mit si, sind die aktuellen Genehmigungen blockiert. Stimmen sie mit no, dürfen die Energieunternehmen weiter fördern. In Irpinia und anderen potenziellen Förderregionen fürchtet man, dass dann im nächsten Schritt auch die Kriterien für Lizenzen an Land aufgeweicht würden, so Aktivist Pesiri.
    "Wir haben dafür keine Garantie, keinen Schutz, dass es dabei bleibt. Und auch nicht, dass die Normen eingehalten werden. Das ist auf dem Meer schon schlimm genug, aber je näher die Bohrungen sind, desto größer die Risiken für die Bürger."
    Insgesamt neun der zwanzig Regionen Italiens haben die Volksabstimmung gefordert, darunter auch Kampanien. Bislang ist der Golf von Neapel noch frei von Plattformen, aber wer weiß wie lange noch, sagt Francesco Borelli, einer der zuständigen Abgeordneten aus dem Regionalrat in Neapel. Ihn ärgert es, dass Rom so wichtige Entscheidungen über den Kopf der Regionen hinweg fällt. Aber noch mehr fürchtet er um die Zukunft seiner Kinder:
    Die Aktivisten von "No Triv" zeigen dem Politiker der italienischen Grünen Alfonso Pecaro Scanio, wo bald Öl gefördert werden soll.
    Die Aktivisten von "No Triv" zeigen dem Politiker der italienischen Grünen Alfonso Pecaro Scanio, wo bald Öl gefördert werden soll. (Deutschlandradio / Sarah Zerback)
    Italien bislang einer der größten Öl-Importeure
    "So schafft ihr für ein paar Jahre Jobs. Und dann zerstört ihr das Ökosystem, die Umwelt, das Meer, die Fische und für alle die danach kommen, was bleibt da noch? Wer diese Bohrungen fordert, der denkt doch nur an die Gegenwart und seine eigenen Angelegenheiten."
    Argumente wie diese nennt Piercamillo Falasca zynisch. Der Römer hat die Gruppe "Ottimisti e razionali" mitgegründet, um dem Referendum eine Stimme entgegenzusetzen. Wie viele Mitglieder genau aktiv sind, da will er sich nicht festlegen. Sie unterstützen den Kurs der Regierung, sich unabhängig zu machen, von den Öl- und Gasimporten. Nur etwa zehn Prozent des Verbrauchs werden bisher mit eigener Produktion gedeckt. Das macht Italien zu einem der größten Importeure.
    "Alles das, was wir hierzulande produzieren ist willkommen. Das ist ja keine Alternative zu den Erneuerbaren Energien, sondern wir brauchen von beidem mehr. Ansonsten müssen wir am Ende teure Rechnungen ans Ausland zahlen und haben dann für die Erneuerbaren Energien keine Mittel, weder öffentliche noch private."
    Gegner und Regierung bauen auf hohe Beteiligungsschwelle
    Deshalb sei es gut, dass die Regierung die Fördermenge von Öl und Gas bis 2020 mehr als verdoppeln will, sagt Falasca. Fünf Milliarden Euro soll das bringen und 25.000 Jobs. Arbeitsplätze, die Italien dringend brauche. Deshalb kann er auch nicht verstehen, dass es so viel Widerstand gegen die Energiestrategie der Regierung gibt. Er erklärt sich das mit rein egoistischen Motiven.
    "Italien ist ein Land, das am Syndrom - Nicht vor meiner Haustür leidet. Das sehen wir ja in vielen Bereichen. Aber wenn wir immer zu allem Nein sagen, sind wir am Ende ein noch viel ärmeres Land."
    Optimistisch ist er trotzdem, dass es dazu nicht kommen wird. Schließlich müssen sich 50 Prozent der Italiener an der Volksabstimmung beteiligen. Eine sehr hohe Schwelle, auf die Gegner und Regierung bauen.