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Italien
Venetien will die Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeitsbewegung im Norden Italiens lässt sich von den Schlappen in Schottland und Katalonien nicht entmutigen. Eine Online-Befragung hatte Anfang des Jahres den Willen vieler Venetier zur Eigenständigkeit offenbart. Nun soll ein Komitee international für die Unabhängigkeit Venetiens werben.

Von Kirstin Hausen | 15.10.2014
    Majestätisch erhebt sich der Monte Cristallo über Cortina d'Ampezzo. Der Ort im Herzen des UNESCO-Weltnaturerbes Dolomiten ist vor allem als beliebter Skiurlaubsort bekannt,
    Monte Cristallo in den Dolomiten, Venetien: Die Unabhängigkeitsidee ist in allen Bevölkerungsschichten populär. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Ein Protestmarsch in Treviso gegen die hohen italienischen Steuern. In der aufgebrachten Menge laufen Unternehmer und Arbeiter mit, Hausfrauen und Arbeitssuchende. Manche halten Plakate in die Höhe, mit Aufschriften wie "Blutsauger-Staat Italien, such dir ein anderes Opfer", andere schwenken Fahnen der imaginären Republik Venetien. Am 22. März war über sie abgestimmt worden - in einer Online-Befragung ohne rechtliche Konsequenzen, aber mit der Unterstützung von lokalen und regionalen Politikern bis hin zum Präsidenten des Regionalparlamentes Luca Zaia. Nach Angaben der Initiatoren beteiligten sich 2,3 Millionen Menschen, 73 Prozent aller Wahlberechtigten.
    Die Unabhängigkeitsidee ist in allen Bevölkerungsschichten populär, besonders aber bei den Kleinunternehmern, die sich steuerlich von Rom ausgenutzt fühlen. Dass der italienische Staat mehr Steuern aus Venetien einnimmt, als er an die Region in Form von Investitionen und Sozialleistungen ausschüttet, ist unbestritten. Venetien ist eine der produktivsten Regionen Italiens. Dass der reiche und fleißige Norden mit seinen Steuerabgaben den armen und angeblich faulen Süden durchfüttere und dabei selbst früher oder später zugrunde gehe, diese Geschichte ist in Italien schon so oft erzählt worden.
    "Wir sind demokratisch und friedliebend"
    Die Partei Lega Nord, von Umberto Bossi 1989 gegründet, wurde dank ihrer separatistischen Forderungen mehrmals ins italienische Parlament gewählt. Auf die Lega Nord sind die Initiatoren der Volksbefragung vom 22. März nicht gut zu sprechen. Die Partei habe sich von der Macht korrumpieren lassen, sagen sie, und ihre Wählerschaft verraten. Nun wollen sie es anders machen.
    "Unsere Geduld ist zu Ende. Wir sind es leid. Die Unabhängigkeit ist ein konkretes Vorhaben, das uns Freiheit und Wohlstand bringt."
    "Die Probleme Venetiens müssen hier vor Ort gelöst werden. Und zwar mit den Steuereinnahmen aus unserer Region, die uns bisher vom Zentralstaat entzogen werden. Von einem Staat, der diese Einnahmen erwiesenermaßen schlecht verwaltet und schlecht ausgibt."
    Antonio Guadagnini und Gianluca Busato sind zwei bekannte Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung in Venetien. Der erste hat das typische Auftreten eines Politikers, der zweite wirkt eher hemdsärmelig, aber sehr bürgernah. Ein gemütlicher Typ, nicht zu vergleichen mit dem cholerischen Umberto Bossi, der vor 20 Jahren die Massen gegen Rom aufpeitschte. Busato beruhigte jeden, der nach dem eindeutigen Ausgang des Referendums einen Volksaufstand befürchtete.
    "Nein, nein, wir sind demokratisch und friedliebend. Es gibt neue Führungspersönlichkeiten und wir repräsentieren alle sozialen Schichten Venetiens. Aber wir sind hartnäckig und haben eines verstanden: In Rom lösen wir unsere Probleme nicht."
    "Wiederentdeckung und Wertschätzung unserer regionalen Kultur"
    Stattdessen wurde nun ein Komitee zusammengestellt, das international für die Unabhängigkeit Venetiens werben soll. Die Abspaltung einer Region ist mit italienischem Recht nicht zu vereinbaren, wohl aber - so meint Busato - mit dem Recht der Völker auf Selbstbestimmung. Viele Menschen in Venetien sehen das genauso und kritisieren die Entscheidung des katalanischen Ministerpräsidenten, auf ein offizielles Referendum über die Loslösung seiner Region von Spanien zu verzichten, weil das oberste Verfassungsgericht etwas dagegen habe.
    "Das ist absurd in einem Land, das sich als demokratisch bezeichnet. Die Gerichtsbarkeit folgt dem Volkswillens und kann ihm nicht entgegenstehen."
    Die Nachrichten aus Katalonien haben die Unabhängigkeitsbegeisterung in Venetien jedenfalls nicht gedämpft. Das war auch den Schotten nicht gelungen, die sich in einer knappen Entscheidung dafür aussprachen, im Vereinigten Königreich zu verbleiben. Venetien könne voran gehen, frohlockt dieser Kleinunternehmer:
    "Ich bin für die Wiederentdeckung und Wertschätzung unserer regionalen Kultur und freue mich darüber, dass immer mehr Menschen in Venetien erkennen, dass sie selbst über ihre Zukunft bestimmen können."