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Italienische Madrigale

Die Madrigale zu zwei Stimmen sind als regelrechte "Liebesduelle" konzipiert und beinhalten alle einschlägigen Affekte: Zärtlichkeit, Küsse, Verlangen, Eifersucht, Streit, Neckerei, Verzweiflung und Klage.

Von Christiane Lehnigk |
    "Madrigali a due voci (XVIIe)"
    Monteverdi, Sances, Strozzi, Rognoni
    Agnès Mellon, Sopran
    Dominique Visse, Contratenor
    Ensemble Barcarole
    ZIGA-ZAG-Territoires (Vertrieb Note 1)
    LC- 10894 ZZT101001


    "‘Round M"
    Monteverdi meets Jazz
    Roberta Mameli
    La Venexiana
    Claudio Cavina
    GLossa Platinum
    LC-00690 GCD P30917


    Um große Gefühle geht es in unserer heutigen Sendung, in deren Mittelpunkt italienische Madrigale für ein bis zwei Stimmen von Claudio Monteverdi und seinen Zeitgenossen stehen. "Madrigali a due voci", so heißt die neue CD, die die Sopranistin Agnès Mellon und der Contratenor Dominique Visse zusammen mit dem Ensemble Barcarole für das französische Label ZIGA-ZAG-Territoires aufgenommen haben. "Parole e querele d'amore", so der Untertitel, enthält neben Stücken aus dem 7. Madrigalbuch von Monteverdi noch Werke unter anderem von Tarquinio Merula, Barbara Strozzi, Giovanni Sances und Giacomo Carissimi.

    Die zweite CD, die ich Ihnen vorstellen möchte, ist ein Experiment der Sopranistin Roberta Mameli und dem Ensemble "La Venexiana" unter der Leitung von Claudio Cavina mit dem Titel "'Round M - Monteverdi meets Jazz'", erschienen beim spanischen Label Glossa.

    Für Agnès Mellon und Dominique Visse sind diese Stücke Spiegel unseres alltäglichen (Liebes-)Lebens; die Madrigale zu zwei Stimmen, die als regelrechte "Liebesduelle" konzipiert sind und alle einschlägigen Affekte beinhalten: Zärtlichkeit, Küsse, Verlangen, Eifersucht, Streit, Neckerei, Verzweiflung und Klage.

    Die Musik ist Konflikt- und Dissonanzenreich und es werden dramatische Spannungen aufgebaut, die dann wieder durch Unisono-Passagen der beiden Singstimmen aufgelöst werden, ein Happy End ist meist garantiert. Zarte Liebesbeteuerungen wechseln sich dabei mit handfesten verbalen Auseinandersetzungen ab, für die beiden Sänger steht diese Einspielung für das Verwirrspiel von Musik und wirklichem Leben, die Worte werden "mit der Stimme gesprochen, aber mit dem Herzen gesungen."
    Claudio Monteverdi
    Vorrei baciarti. Madrigal


    Dass Agnès Mellon und Dominique Visse nicht nur seit 30 Jahren zusammenarbeiten sondern auch Opernerfahren sind, ist ein großes Plus dieser Aufnahme. Sie waren schon in den 80er-Jahren Mitglieder von "Les Arts florissants" und Dominique Visse leitet auch heute noch Leiter das Ensemble Clément Janequin. Zu Beginn sangen sie das Madrigal "Vorrei baciarti" - "Ich würde Dich gerne küssen" - von Claudio Monteverdi. Neben bekannten Stücken aus dem 7.Madrigalbuch von Monteverdi, die auch vom Ensemble Barcarole instrumental ausgeführt werden, gibt es ebenso unbekanntere Duette von Sances oder wie hier als nächstes von Tarquinio Merula.

    Das Ensemble Barcarole wurde 1997 von Agnès Mellon gegründet, um Projekte mit geistlicher und weltlicher Musik in einer kleineren Formation verwirklichen zu können. Die Gruppe setzt sich in dieser Aufnahme zusammen aus: Brice Sailly - Cembalo und Orgel, Marianne Müller - Viola da Gamba, Marco Horvat-Lirone sowie Èric Bellocq-Theorbe.

    Agnès Mellon und Dominique Visse gehören schon seit vielen Jahren zu den wegbereitenden Protagonisten in der Alte-Musik-Szene, die in ihren Interpretationen stets alles ausloten, was möglich ist und auch über eine große komödiantische Begabung verfügen. Unvergesslich zum Beispiel Dominique Visse in der Rolle der Hexe in Henry Purcells Oper "Dido and Aeneas" oder Agnès Mellon in den großen Rollen der französischen Tragèdies lyriques. Ihre Stimmtimbres, das eines gemäßigten Sopran und das eines hohen Countertenor, mischen sich hier auf verblüffende Weise, wobei es nicht in erster Linie um Schönklang, sondern einen oft extremen Ausdruck geht, der alle Emotionen darstellen kann. Dass die beiden auch noch miteinander verheiratet sind, verhilft dem Vortrag bestimmt nicht zuletzt auch zu seiner besonderen Intensität.

    Tarquinio Merula
    Su la cetra amorosa. Madrigal


    Dass die Madrigale von Monteverdi und seinen Zeitgenossen von einer gewissen Zeitlosigkeit geprägt sind, das verdeutlicht nicht nur die Aufnahme der "Parole e Querele d'Amore" von Agnès Mellon, Dominique Visse und dem Ensemble Barcarole, sondern auch eine neue Einspielung, die ein Jazz-Ensemble mit hinzuzieht. Das mag vielleicht Liebhaber Alter Musik zunächst abschrecken, aber das Konzept, dass das Ensemble "La Venexiana" unter der Leitung von Claudio Cavina hier vorstellt, ist verblüffend gut gelungen.

    Im Mittelpunkt der Aufnahme steht die junge Sopranistin Roberta Mameli; sie ist festes Mitglied bei "La Venexiana" und zunehmend auch als Solistin auf internationalen Konzert- und Opernbühnen unterwegs. Wichtige Voraussetzung bei dieser Aufnahme war, dass sie ihren Gesangsstil beibehalten konnte und nicht verjazzen musste. Und so bleibt sie überzeugend und ausdrucksstark und im Grunde wurden nur die Möglichkeiten, "Rubati", von freier Rhythmik und Tempowahl, die Monteverdi seinen Interpreten gelassen hat, ausgeschöpft. An den originalen Gesangs- und Basslinien wurde nichts verändert, "nicht einmal ein einziges Komma". "Wir haben", so Cavina, "lediglich unser Gefühl, unsere Interpretation und unsere Vorstellung von der Musik zu den Tönen Monteverdis, Merulas, Fonteis und Sances' hinzugefügt und unsere übergroße Liebe zur Musik".
    Claudio Monteverdi
    Lamento della ninfa
    Ottavo Libro dei Madrigali, 1638


    So modern klingt also das berühmte "Lamento della ninfa” von Claudio Monteverdi, wenn es ein wenig aufgepeppt wird. Schlagzeug und Theorbe, Cembalo und Harfe und dazu ein Akkordeon und ein Saxophon, ob dies wirklich zusammenpasst, diese Frage soll die Einspielung selbst beantworten.

    Im Vorwort seines Achten Madrigalbuches hatte Monteverdi geschrieben: "Die Klage (der Nymphe) wird im Tempo des Affektes der Seele gesungen und nicht im Tempo der Hände". Im vorbarocken Zeitalter gab es eben noch die Freiheit der Improvisation, der unterschiedlichen Besetzungen ein und desselben Stückes, es existierten noch nicht die späteren formalen Beschränkungen. Und genau deshalb kann man hier auch eine Schnittstelle zum Jazz finden. Die Instrumentalisten von "La Venexiana" spielen zusammen mit einem Ensemble, das sich zusammensetzt aus Emanuele Cisi - Saxophon, Fausto Baccalossi - Akkordeon, Alberto Lo Gatto - Kontrabass und Donato Stolfi - Schlagzeug.

    Die Musiker begleiten und umspielen den klaren, wandlungsfähigen und expressiven Sopran von Roberta Mameli auf sehr respektvolle und empathische Weise. Und so kann man sich regelrecht wegtragen lassen, von diesen alten Melodien und Texten, die Liebesfreud und Liebesleid in immer anderen Variationen beschreiben.

    Hier abschließend noch ein Ausschnitt aus der "Romanesca" von Claudio Monteverdi: "Ach, wo ist mein Lieb, wo ist mein Herz?/ Wer versteckt mein Lieb, wer raubt sie mir?/ Wie konnte nur der Wunsch nach Ehre / Grund für soviel Schmerzen sein?"

    Claudio Monteverdi
    Romanesca - Ohimè dov'è il mio ben