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Cesare Pavese/ Bianca Garufi: „Großes Feuer”
Italienisches Melodram

Der Turiner Schriftsteller Cesare Pavese gilt als Klassiker der italienischen Nachkriegsmoderne. Jetzt ist ein verblüffender, in Koautorschaft mit Bianca Garufi entstandener Roman aufgetaucht. Es geht darin um Süditalien, die Familie und Missbrauch.

Von Maike Albath | 09.01.2023
Cesare Pavese und Bianca Garufi: "Großes Feuer"
Ein unerwartet aufgetauchter Roman in überraschender Doppelautorschaft: In "Großes Feuer" schreiben Cesare Pavese und Bianca Garufi zunächst scheinbar über sich selbst. Bald aber biegt der unfertig gebliebene Roman ins rätselhaft Fatalistische ab. (Cesare Pavese und Bianca Garufi: "Großes Feuer")
Cesare Pavese war bekannt für seine desaströsen Liebesbeziehungen. Als Mitbegründer des Einaudi-Verlags, Programmleiter, Übersetzer und Verfasser äußerst erfolgreicher Bücher hatte er dem Haus seit den 1930er-Jahren zu einem Höhenflug verholfen: Vor allem in der Nachkriegszeit schrieb Einaudi Kulturgeschichte und prägte das intellektuelle Klima Italiens. Doch so gefeiert Pavese als Verlagsmann und Romancier war, so dramatisch gestaltete sich sein Privatleben. Er, der in Turin bei seiner Schwester wohnte und nie einen eigenen Haushalt führte, verlor Herz und Verstand regelmäßig an Frauen, die unerreichbar blieben.
1944 begann Bianca Garufi, ehemalige Widerstandskämpferin, Literaturstudentin, aus dem sizilianischen Hochadel gebürtig und leidenschaftliche Anhängerin der Psychoanalyse, als Sekretärin in der römischen Niederlassung von Einaudi zu arbeiten. Pavese, damals 36 Jahre alt, verfiel Bianca im Handumdrehen. Nach einer kurzen, tumultuösen Liaison wurden sie enge Freunde. Doch als Mann fühlte sich Pavese verschmäht. Ein Gefühl der Vergeblichkeit kennzeichnet auch den Ich-Erzähler des posthum veröffentlichten Romans „Großes Feuer“.

Blut und Leben

„Zu der Zeit glaubte ich, die Art, wie ich mit Silvia gelebt hatte, sei unwiederbringlich, und mein Körper, meine Haut und meine Gesten seien nicht mehr die gleichen wie zuvor. Doch ich wusste, dass Tag für Tag etwas von dieser Substanz abhandenkam, und mir schien, als verlöre ich das Blut, das Leben.“
Paveses Held Giovanni wirkt einigermaßen pathostrunken. Man stößt ebenso auf Spuren von Nietzsche wie auf solche des Anthropologen Ernesto de Martino, großer Kenner süditalienischer Riten. Im Verlauf der Romanhandlung kommen Anspielungen auf die Archetypen von C.G. Jung hinzu, über den Bianca Garufi gerade ihre Examensarbeit schrieb. „Großes Feuer“ ist nämlich ein „Bi-Geschlechterprojekt“, wie die beiden Freunde ihr Unterfangen nannten. Jeder steuerte abwechselnd ein Kapitel bei, mal aus männlicher, mal aus weiblicher Perspektive. Bianca übernahm Silvias Stimme, eine Sizilianerin wie sie. Ein Telegramm der Mutter zitiert Silvia nach Hause, ihr kleiner Bruder Giustino sei schwer krank. Silvia bittet Giovanni, sie zu begleiten. Warum das Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie so belastet ist, bleibt vorerst im Dunkeln. Nur ihrer Freundin Flavia vertraut sie sich an.
„Es war Flavia, der ich in jener Nacht, in der wir redeten, die ganze Geschichte erzählte, und es herrschte schon die Kühle und das Licht der Frühe, und als ich schließlich schwieg, war es, als wäre ich verblutet.“

Unklare Verhältnisse

Und wieder ist von Blut die Rede, im Hintergrund dräut das Schicksal, ein totgeschwiegenes Familiengeheimnis und ein skandalöser Missbrauch bestimmen die Dynamik. Paveses Titel lautete folgerichtig „Viaggio nel sangue“, „Reise ins Blut“ oder „Blut-Reise“, was den Nachlassverwaltern nicht nur sperrig, sondern auch viel zu martialisch erschien. Aber genau diese archaischen Familienbande über die Blutlinie trieben den Schriftsteller damals um. Gemeinsam mit Bianca hatte er sich in griechische Mythen vertieft und seine „Dialoge mit Leukò“ verfasst. Und „Leukò“ ist nichts anderes als die griechische Übersetzung des Namens „Bianca“, also „weiß“. Auch in „Großes Feuer“ herrscht ein antiker Fatalismus, dem niemand entkommt. Sogar ein Menschenopfer wird erbracht, denn der zehnjährige Giustino muss sterben.
„Geblieben war der Wachsgeruch. Anstelle des toten Kindes ein Bettrost aus Metall mit der zusammengerollten Matratze darauf. Staub auf dem Boden, vor allem Geruch nach Staub, wie nach einem Ball in einem leeren Saal.“
Silvia ist innerlich tot, Giovanni begreift erst nach und nach, was ihr angetan wurde. Pavese und Garufi brachten ihr Projekt nicht zum Abschluss, das Manuskript landete in der Schublade. Im August 1950 nahm sich Cesare Pavese das Leben. So zeitverhaftet „Großes Feuer“ in manchem wirkt, so interessant ist es für das Verständnis von Paveses Poetik. Allerdings fehlt ein einordnendes Nachwort. Denkbar wäre ein Brückenschlag zu dem erst 2020 veröffentlichten, hochambivalenten „Geheimen Notizbuch“ von 1943 gewesen. Auch Bianca Garufi, als Psychoanalytikerin später international geschätzt, wäre ein Porträt wert gewesen. Und nicht zuletzt hätte man Paveses Briefe an die Freundin abdrucken können, die äußerst vielsagend sind. So bleibt „Großes Feuer“ nur ein Mosaikstein, rätselhaft und merkwürdig schimmernd.
Cesare Pavese/ Bianca Garufi: „Großes Feuer“
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Atlantis Verlag, Zürich. 128 Seiten, 20 Euro.