Freitag, 29. März 2024

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Italiens Opposition
"Es braucht viel, um die Regierung in die Defensive zu bringen"

Nicola Zingaretti ist zum Chef der Demokratischen Partei in Italien gewählt worden. Er habe eine gute Machtbasis, sagte Politologe Roman Maruhn im Dlf. Gegen die aktuelle populistische Regierung sei es aber schwer anzukommen. Denn diese setze populäre Ziele, für die sie gewählt wurde, auch um.

Roman Maruhn im Gespräch mit Sarah Zerback | 06.03.2019
Blick vom Besucherbalkon auf das etwa halbvolle Plenum.
Das italienische Parlament in Rom - bisher ohne eine geeinte Opposition. Nicola Zingaretti könne nun für Geschlossenheit sorgen in der demokratischen Partei, sagt der Italienexperte Roman Maruhn. (Riccardo Antimiani / EIDON / MAXPPP / dpa)
Sarah Zerback: Nur mal so ein Gedankenexperiment: Im Bundestag verbünden sich AfD, CSU, Linke und Piratenpartei zu einer Zweckkoalition, während sich die Sozialdemokraten den lieben langen Tag selbst zerfleischen und die Grünen quasi keine Rolle spielen. Ein Jahr lang wird so regiert, quasi ohne Opposition, die ein Gegengewicht schaffen könnte zu den immer radikaleren Maßnahmen der Regierung. So in etwa läuft das in Rom, seit vor ziemlich genau einem Jahr Lega und Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht gekommen sind. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Die Sozialdemokraten vom Partito Democratico haben einen neuen Vorsitzenden gewählt und wollen wieder durchstarten. Nicola Zingaretti heißt er nun, der neue PD-Chef. Kann der es denn mit den Populisten in Rom aufnehmen?
Roman Maruhn: Nicola Zingaretti hat auf alle Fälle eine gute Machtbasis. Er ist Regionalpräsident der Region Latium. Das ist das Gebiet, was Rom umgibt. Das ist eine Region, die sich in letzter Zeit sehr dynamisch entwickelt hat, recht stabil auch wirtschaftlich gilt, eigentlich ein neuer Star auf regionaler Ebene. Also hat er da ein ganz schönes Territorium, was auch schon mal Rom umgibt, und er hat diese Vorwahl gewonnen, diese Urwahl im Partito Democratico mit einer ziemlich großen Mehrheit, mit einer überraschend großen Mehrheit. Und er hat gleichzeitig es auch geschafft, doch sehr viele Sympathisanten des Partito Democratico zu den Urnen zu bewegen, was ihm jetzt rein formal schon ein ganz gutes politisches Gewicht gibt.
"Zingaretti ist ein ganz anderer Typ als Salvini"
Zerback:Sie sagen formal und politisch kann er was vorweisen. Aber hat er denn auch das Zeug, es mit so einem Lautsprecher wie Lega-Chef Matteo Salvini aufzunehmen, vom Typ her?
Maruhn: Vom Typ her ist er natürlich ein anderer Typ. Matteo Salvini ist da eine ganz besondere Ausnahme-Erscheinung, die sicherlich sehr unkonventionell ist, wie er auch schon erste Probleme einfach mit der Justiz hat, auch aufgrund seines Gebarens. Das wird natürlich schwierig, zumal natürlich Zingaretti aus der Region Latium heraus operiert und sicherlich nicht Matteo Salvini so einfach im italienischen Parlament in die Kontroverse bringen kann. Das wird davon abhängen, wieviel mediale Aufmerksamkeit natürlich der Partito Democratico und Zingaretti bekommt, und natürlich auch, wie gut er jetzt seine Partei in den Wahlkampf bringen kann für die Europawahlen. Das ist natürlich der erste große Testlauf für Zingaretti, ob da ein bisschen von diesen großen Stimmanteilen, die die bei den letzten Europawahlen erreichen konnten, halten konnten, ob der Verlust weniger dramatisch wird, als es eigentlich vorherzusehen ist.
"Von Kommunisten bis zu katholischen Christdemokraten"
Zerback: Was ist denn da sein Rezept? Mit politischer Vergangenheit – Sie haben es ja schon angesprochen – auch im ganz linken Spektrum, im postkommunistischen Flügel seiner Partei, wird er da die PD versuchen, weiter nach links zu rücken?
Maruhn: Der Partito Democratico ist auch nicht unbedingt so zielführend als sozialdemokratische Partei zu bezeichnen. Es ist wirklich wahrscheinlich, demokratische Partei ist der größte gemeinsame Nenner, den man bei dieser Partei finden kann. Das ist ein großes Spektrum, wie Sie auch schon gesagt haben, wirklich von ehemaligen Kommunisten bis weit rüber zu gemäßigten Christdemokraten und sehr katholisch orientierten Christdemokraten. Das ist eine große Partei. Die Partei hat sich leider ein bisschen verbraucht in der letzten Legislaturperiode, dass sie den Ruf als Partei der Elite, als Parteifreund der großen Unternehmen ein bisschen abbekommen hat, und darum wird es natürlich gehen, dass diese Partei wieder auf die Füße gestellt wird als eine Partei des Volkes, der normalen Bevölkerung, der Angestellten, der einfachen Leute. Das wird nicht einfach, ganz klar, weil diese einfachen Leute, das sogenannte Volk ist einfach sehr stark mittlerweile in den Reihen der Lega und auch des Movimente 5 Stelle zu finden, weil dort die politischen Angebote und die wirtschaftlichen Angebote im Wahlkampf gemacht worden sind, auf deren Umsetzung das Volk jetzt immer noch wartet. Das ist eine große Aufgabe!
Parteiführer des Partito Democratico, Nicola Zingaretti, bei der Wahl am 3.3.2019 in Rom
Parteiführer des Partito Democratico, Nicola Zingaretti, bei der Wahl am 3.3.2019 in Rom (picture alliance / ROPI)
Zerback: Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Zingaretti ein bisschen als Anti-Renzi, der das einfache Volk ja eher verprellt hat? So lautet ja der Vorwurf.
Maruhn: Ja, das war definitiv der Vorwurf. Zingaretti hat es letztendlich auch geschafft, über diese Urwahl jetzt wieder den Konsens der wichtigsten Personen innerhalb der Partei herzustellen. Er startet insoweit sehr gut, als sich eigentlich alle bedeutenden Politiker im Partito Democratico mehr oder weniger für Zingaretti ausgesprochen haben. Er kann für Geschlossenheit sorgen und das ist schon mal gar nicht wenig in der demokratischen Partei, wie das zum Beispiel auch in der sozialdemokratischen Partei in Deutschland nicht wenig wäre.
"Diese Regierung setzt schon ihre Zielsetzungen um"
Zerback: Trotzdem ist die Frage, reicht da ein neuer Vorsitzender, um ein Gegengewicht zur Lega und zur Fünf-Sterne-Bewegung zu bilden. Sie haben es ja schon angerissen: Was muss da noch programmatisch passieren?
Maruhn: Programmatisch wird wahrscheinlich nicht mehr so viel passieren, zumindest in der recht kurzen Zeit bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament. Es geht um eine gefühlte Positionierung auf alle Fälle in der Partei, dass diese Partei wieder die großen Massen erreicht, dass sie sich nicht nur auf das ursprünglich etwas jetzt zusammengeschrumpfte Klientel von Pensionisten, von Rentnern konzentriert, sondern einfach auch wieder eine größere Rolle allgemein in der Gesellschaft spielt. Das ist ein ganz wichtiger Bereich und natürlich auch, dass der Partito Democratico zumindest seine Rolle behauptet als größte Oppositionspartei. Die Umfragen sagen eigentlich, dass schon allein mit dieser Operation Zingaretti der Partito Democratico wieder ein bisschen im Aufwärtstrend der Stimmen liegt.
Zerback: Zingaretti selbst sagt ja auch, die Italiener merken so langsam, dass die Koalition Italien wortwörtlich in den Abgrund stürzt. Dieses Erwachen, teilen Sie da den Optimismus des neuen PD-Chefs?
Maruhn: Den teile ich überhaupt nicht. Erst mal muss man sehen, die Wahl war vor einem Jahr. Dann hat es ein bisschen gedauert, bis es zur Regierungsbildung kam. Dann haben die aktuellen Koalitionspartner ja auch einen Koalitionsvertrag geschlossen, an den sie sich mehr oder weniger ziemlich genau halten. Dann haben sie eigentlich angefangen, ziemlich schnell große wichtige Themen aus ihrem Wahlkampf umzusetzen, wie zum Beispiel die Häfen für Flüchtlingsschiffe und für Flüchtlinge zu schließen, insgesamt Italien stärker abzuschotten, die Europäisierung zurückzufahren, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zurückzufahren. Diese Woche können die Italiener, die in die Kategorie fallen, das Bürgergeld, eine Art Hartz IV anfangen zu beantragen. Diese Regierung setzt schon ihre Zielsetzungen um, ihre populären Zielsetzungen, für die sie gewählt worden ist. Da braucht es sehr viel, denke ich mal, um diese Regierung tatsächlich in die Defensive zu bringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.