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IWF und Weltbank
Szenario der Krisen

Brexit, Staatsverschuldungen, Handelskriege: Zu besprechen gibt es viel auf der Tagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Neue Drohungen von US-Präsident Donald Trump zeigten, dass dieser noch nicht mit der EU fertig sei, so Dlf-Wirtschaftsredakteur Klemens Kindermann.

Klemens Kindermann im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.04.2019
Die neue Chefvolkswirtin des IWF, Gita Gopinath – die erste Frau in diesem Amt überhaupt - spricht von einem "heiklen Moment" für die Weltwirtschaft.
Die neue Chefvolkswirtin des IWF, Gita Gopinath – die erste Frau in diesem Amt überhaupt - spricht von einem "heiklen Moment" für die Weltwirtschaft. (picture alliance/dpa//Xinhua/Liu Jie)
Christiane Kaess: Heute starten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre Frühjahrstagung. IWF-Chefin Christine Lagarde wird zum Auftakt sprechen. Klemens Kindermann aus unserer Wirtschaftsredaktion - was ist da zu erwarten?
Klemens Kindermann: Da ist ein Szenario der Krisen zu erwarten, die der Weltwirtschaft gefährlich werden können. Über eine Bedrohung haben wir heute schon viel gehört: den Brexit. Auch nach der heutigen Nacht ist ja völlig unklar, wie es da weitergeht. Aber hinzu kommen andere Risiken, vor allem die drohenden Handelskriege und die hohe Verschuldung vieler Staaten. Die neue Chefvolkswirtin des IWF, Gita Gopinath – die erste Frau in diesem Amt überhaupt - hat die Lage der Weltwirtschaft vor Beginn der Tagung so auf den Punkt gebracht:
"This is a delicate moment for the global economy."
Also ein heikler Moment für die Weltwirtschaft, so die bisherige Harvard-Professorin und außergewöhnliche Ökonomin.
Kaess: Gehen wir die Risiken für die Weltwirtschaft einmal durch – der ungeregelte Brexit ist ja auch nach der heutigen Nacht nicht vom Tisch. Wie schlimm wäre er für die Wirtschaft?
Kindermann: Da gibt es eine ausgearbeitete IWF-Prognose, wonach ein Brexit ohne ein Abkommen mit der EU langfristig ein Schrumpfen des britischen Bruttoinlandsprodukts um fünf bis acht Prozent nach sich ziehen könnte. Das hätte dann auch Auswirkungen auf die Handelspartner in Europa, allen voran Deutschland.
Und wenn wir den Focus von ganz groß verengen auf die Brexit-Sorgen sozusagen vor Ort hier in Deutschland, dann ist eine ganz frische, gestern veröffentlichte Brexit-Umfrage der norddeutschen Industrie- und Handelskammern sehr aufschlussreich: Die norddeutschen Unternehmen sind jetzt schon belastet durch die Brexit-Unsicherheit. Über die Hälfte erwartet negative Effekte auf ihre Geschäftstätigkeit mit dem Vereinigten Königreich. Und es wird schon stark investiert in die Aufstockung von Lagerbeständen, in Vertragsüberprüfungen, in Gespräche mit Lieferanten und Kunden und Schulungen im Zollrecht.
"Trump ist mit der EU noch lange nicht fertig"
Kaess: Ein weiteres Risiko für die Weltwirtschaft: die drohenden Handelskriege?
Kindermann: Ja. Auch wenn der Konflikt zwischen China und den USA vor einer Lösung steht, möglicherweise noch in diesem April. Die neuen Drohungen der USA wegen Subventionen für Airbus diese Woche geben einen Vorgeschmack darauf, dass US-Präsident Donald Trump mit der EU – Stichwort: Autozölle – ja lange noch nicht fertig ist. Der IWF hat vor allem wegen dieser Handelsstreitigkeiten diese Woche seine Wachstumsprognose nochmals gesenkt auf 3,3 Prozent.
Kaess: Die hohe Verschuldung mancher Staaten macht dem IWF auch Sorgen?
Kindermann: Das geht jedenfalls aus dem gestern veröffentlichten sogenannten Finanzstabilitätsbericht des IWF hervor. Insbesondere Italien ist da im Fokus. Als einziges Land in der EU ist Italien in der Rezession. Diese Woche hieß es, das Defizit soll – gegen den Willen Brüssels - deutlich steigen.
Felix Hüfner, Chefvolkswirt Deutschland bei der Schweizer Großbank UBS:
"Das Problem ist, glaube ich: Keiner weiß genau, wann Italien zum Krisenfall wird. Nur wenn es zum Krisenfall wird, hat man sehr, sehr wenig Maßnahmen, mit denen man dem begegnen kann - von der EZB angefangen. Von daher bleibt das ein Abwärtsrisiko."
Ein Abwärtsrisiko, von Italien selbst erzeugt: durch auf Pump finanzierte Wahlversprechen, Bürgergeld, Frührente. Der Schuldenberg: mehr als 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Und inzwischen ist Italien sogar ein Risiko für die Weltwirtschaft.