Donnerstag, 18. April 2024

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Jahn: Zeitpunkt der Versöhnung können nur die Opfer bestimmen

In der Stasi-Unterlagenbehörde arbeiten noch 47 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit. Nach Ansicht des Stasiakten-Beauftragten Roland Jahn haben sie, auch wenn sie ihre frühere Tätigkeit bereuen, keinen Platz mehr in der Behörde.

Roland Jahn im Gespräch mit Jürgen König | 24.04.2011
    Jürgen König: Herr Jahn, gleich Ihr erster Auftritt als neuer Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen war ein Paukenschlag: Die Beschäftigung von früheren Stasi-Mitarbeitern in der Behörde sei unerträglich, sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer, sagten Sie beim Festakt der Amtseinführung - und sagten das mit einer Intensität, wie ich fand, als müssten Sie das als Erstes sagen. Das kam mir vor wie ein Akt der Befreiung von innerem Druck fast: Wie kam es zu diesen Sätzen? War das ein vorbereiteter Redetext? War das spontan unter dem Eindruck dieser Gemeinde - viele Freunde im Saal, viele Vertreter der Opferverbände? Wie kam es zu diesem Satz?

    Roland Jahn: Das war nicht zufällig, es war ein vorbereiteter Text. Es war so, dass ich in den Tagen zuvor ganz konkrete Besuche bei den Opferverbänden gemacht habe und dort was mit auf den Weg bekommen habe, nämlich ihr Empfinden - wie sie empfinden, dass noch Stasi-Mitarbeiter in dieser Behörde arbeiten. Und da wurden mir genau diese Sätze gesagt, dass sie es als "Schlag ins Gesicht" der Opfer empfinden, dass ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit in der Behörde arbeiten, die für sie so wichtig ist, also eine Behörde, die dafür sorgt, dass die Machenschaften der Staatssicherheit aufgearbeitet werden, eine Behörde, die dazu da ist, den Opfern Genugtuung zu verschaffen - dass genau in dieser Behörde ehemalige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter arbeiten: Das finden diese Opferverbände, jeder Einzelne dort, unerträglich. Und das habe ich benannt, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Gerade wenn ich mich als Anwalt der Opfer verstehe, dass ich diesen Menschen eine Stimme gebe, auch in einer Antrittsrede.

    König: Es war nur insofern besonders eindrucksvoll, als Ihre Vorredner - Kulturstaatsminister Neumann wie auch Beiratsvorstand Richard Schröder - gerade noch gesagt hatten, das Arbeitsrecht sei halt so, man könne gegen ehemalige Stasi-Mitarbeiter in dieser Behörde nichts machen. Vielleicht noch mal zur Erklärung: In der Stasi-Unterlagenbehörde arbeiten heute noch 47 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des früheren Ministeriums der Staatssicherheit. Sie waren nach dem Mauerfall vom damaligen Bundesinnenministerium übernommen worden, kamen dann in die Stasi-Unterlagenbehörde, man wusste also von Anfang an von ihren Stasi-Tätigkeiten, daher gelten sie als arbeitsrechtlich als nicht mehr kündbar. Als Sie, Herr Jahn, damals über diese Worte nachdachten, war Ihnen da auch schon die mögliche Umsetzbarkeit dieser Worte, dieser Gedanken, dieser Pläne im Sinn?

    Jahn: Also, mir war das Problem im Sinn und die Herausforderung, dass wir als Rechtsstaat doch Wege suchen sollten, hier den Menschen zu helfen, den Opfern zu helfen und auf der anderen Seite aber auch Respekt gegenüber diesen Menschen haben, die als ehemalige Hauptamtliche in der Behörde arbeiten. Es ist ja so, dass sie 20 Jahre jetzt schon fast dort arbeiten, dass sie dort auch ihren Mann stehen, durchaus Leistung vollbringen, die wir anerkennen. Und mit beiden müssen wir umgehen, alle beide Gruppen von Menschen haben Respekt verdient. Und hier eine Lösung zu suchen, das ist die Herausforderung für unseren Rechtsstaat, eine Herausforderung für die Politik. Und was mir bisher nicht gefallen hat, ist, dass viele immer sagen: Es ist halt so und wir müssen damit leben. Ich bin ein Mensch, der sagt: Wenn ich einen Missstand sehe, wenn ich ihn abändern möchte, dann muss ich mich auf den Weg begeben. In der DDR haben sich viele eingerichtet - hinter der Mauer, haben sich viele eingerichtet mit der Mauer. Und ich habe immer gesagt: Die Mauer muss weg. Und ich glaube, das ist das Wichtige, dass man einfach nicht aufgibt, wenn man ein Problem lösen möchte.

    König: Die meisten früheren Stasi-Beschäftigten sind im Wachschutz tätig, haben Sie in einem Interview gesagt, auch am Empfang. Wie hat diese Frau, dieser Mann am Empfang auf dieses Interview reagiert? Ich meine, jetzt weiß ja jeder, dass am Empfang der Stasi-Unterlagenbehörde auch ein ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit sitzt.

    Jahn: Ich bin im Gespräch mit den Mitarbeitern. Ich habe auch eine Fürsorgepflicht als Behördenleiter für diese Mitarbeiter, und ich bin in einem sehr freundlichen Gespräch, weil ich habe Respekt gegenüber ihnen als Menschen, ich habe Respekt gegenüber dem, was sie in den letzten 20 Jahren geleistet haben, und ich habe auch Respekt vor ihrem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit. Es geht um Familien, es geht doch auch um die Gewissheit, dass die nächsten Jahre diese Menschen ihre Miete bezahlen können. Das ist für mich ein Punkt, den ich immer in meinem Vorgehen einbeziehe. Und so verlaufen auch die Gespräche. Wir haben uns einzeln getroffen, aber wir haben uns auch in einer großen Gruppe getroffen. Und ich habe mir das angehört, was sie an Stimmungen, an Empfindungen haben. Ich habe aber eines deutlich gemacht, dass es mir um mehr geht, als nur um irgendwie eine kleine Lösung. Sondern mir geht es um die grundsätzliche Fragestellung: Es geht um die Glaubwürdigkeit unserer Behörde, um die Glaubwürdigkeit der Aufarbeitung der Staatssicherheit und um den Respekt gegenüber den Opfern. Und beides muss ich zusammenkriegen. Und es war ein doch sehr spannendes, interessantes Gespräch miteinander …

    König: Was haben Sie da zu hören bekommen?

    Jahn: Ja, ich habe in diesem Gespräch zu hören bekommen, dass genau das, was ich schon benannt hatte, dass sie 20 Jahre lang hier schon ihre Bereitschaft gezeigt haben, mitzuwirken in der Gesellschaft. Und in diesem spannenden Gespräch ist eines deutlich geworden, dass es wichtig ist, dass Menschen, die früher für die Staatssicherheit gearbeitet haben, auch integriert sein wollen in diese Gesellschaft. Und ich sage, sie sollen auch die Chance haben, integriert zu werden. Aber es gibt für mich zusammengefasst drei Punkte: Erstens: die Menschen sollen sich bekennen, dass sie bei der Staatssicherheit waren. Das haben unsere Mitarbeiter gemacht. Zweitens: Diese Menschen haben sich eingebracht in diese Gesellschaft durch ihre tägliche Arbeit. Aber das Dritte: Glaubhaft deutlich zu machen, dass sie glaubhaft bereut haben - das, glaube ich, würde dadurch deutlich, indem sie sagen: Ich erkenne das Empfinden der Opfer an. Ich möchte nicht zumuten, dass ein Opfer, das fünf Jahre lang im Stasi-Knast gesessen hat, hier in diese Behörde kommt und von einem ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit empfangen wird.

    König: Und diese Anerkenntnis bedeutet, ein Versetzungsgesuch zu stellen und die Behörde zu verlassen. Darauf läuft es ja hinaus, was Sie sagen.

    Jahn: Das ist ein Weg, denke ich, der gangbar wäre. Und wir arbeiten jetzt daran, dass es Möglichkeiten geben wird, in anderen nachgeordneten Bundesbehörden zu arbeiten - wobei man da auch klar sagen muss: Die Arbeitsverträge, die all diese Mitarbeiter haben, sind nicht mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, sondern das sind Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland. Also es gäbe durchaus die Chance, diesen Weg zu gehen.

    König: Das heißt aber, wenn jemand jetzt sagt: Ich bin seit 20 Jahren hier, ich war und bin loyal meinem Arbeitgeber gegenüber und der Behörde gegenüber und dem Behördenleiter gegenüber, ich bereue, was war: Auch der hätte in Ihrer Behörde nach Ihrer Meinung keinen Platz mehr?

    Jahn: Der hätte in dieser Behörde nach meiner Ansicht keinen Platz mehr, weil ich möchte, dass ich den Empfindungen der Opfer gerecht werde, auch dem Anliegen dieser Behörde insgesamt und der Glaubwürdigkeit.

    König: Auf wie viel Verständnis stoßen Sie im Kreis dieser 47? Sie haben es ja selber charakterisiert, das ist ja nicht nur ein Mensch, sondern das ist ja immer ein Leben und viele andere Leben, die von diesem einen Leben abhängen?

    Jahn: Wir sind mitten im Gespräch. Das ist ein Anfang, und wir haben gute Gespräche, wir haben freundliche Gespräche. Das zeigt mir auch atmosphärisch, dass da eine Chance auf einem Weg ist. Wir prüfen zur Zeit auch die rechtlichen Rahmenbedingungen. Ich habe ein Gutachten beauftragt, damit wir auch mehr Sachlichkeit da reinbringen in die Diskussionen. Die ganze Frage "Arbeitsrecht", die ist bisher nur kurz immer angerissen worden, es wurden Behauptungen in die Welt gesetzt, was alles gar nicht gestimmt hat. Und ich möchte, dass hier Ruhe, Besonnenheit und Sachlichkeit einkehrt in die Bewertung der Dinge.

    König: Ist das nicht auch eine rigoros moralische Haltung, die man auch angreifen kann?

    Jahn: Das ist eine rigoros moralische Haltung, aber unsere ganze Behörde ist eine moralische Instanz. Es geht um Aufarbeitung von Diktatur, es geht um Werte, es geht um den prinzipiellen Unterschied von Diktatur und Demokratie. Wir sind eine Schule der Demokratie - Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Toleranz, das sind alles Werte, die wir mit unserer Aufarbeitung vermitteln. Und genau da setzen wir ja an, wir wollen uns ja nicht mit Vergangenheit ewig beschäftigen in der Form: Das war irgendwann mal. Die Frage, wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um - diese Frage steht für jeden in seinem Leben. Und auch die Frage, wie verhalte ich mich, passe ich mich an oder widerspreche ich - das sind alles solche Fragestellungen, die gerade auch junge Menschen tagtäglich haben. Und hier eine Hilfe zu bekommen durch das Begreifen von Diktatur, hier eine Hilfe zu bekommen im Alltag - wie kann ich mich einmischen in die Demokratie, wie kann ich Zivilcourage entwickeln - darum geht es mir. Und da glaube ich, ist all das, was ich jetzt mache, auch in Richtung der ehemaligen Hauptamtlichen, ganz, ganz wichtig, dass ich als Person, aber auch als Behörde eine moralische Glaubwürdigkeit habe.
    König: Ich vermute, dass Wort "Versöhnung", das Frau Birthler immer gerne benutzt hat in diesem Zusammenhang, ist auch Ihr Wort, um die es auch geht?

    Jahn: Mir geht es auch um Versöhnung. Aber versöhnen - das gibt es nicht so einfach. Versöhnen - das ist immer etwas ganz Persönliches. Den Zeitpunkt der Versöhnung können eigentlich nur die Opfer bestimmen. Weil sie die Verletzungen erlitten haben. Man kann nicht einfach sagen: Nun muss es mal gut sein. Die Verletzungen sind immer noch da, und die Verletzungen können wir heilen, indem wir Rücksicht nehmen auf die Opfer, indem wir genau diesen Weg gehen - dass wir sagen, wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass diese Verletzungen nicht ewig wirken.

    König: Aber könnte diese Verletzung nicht auch geheilt werden, indem man reumütige, bußfertige Täter mit Opfern freiwillig zusammen bringt und Dialog ermöglicht?

    Jahn: Ja, selbstverständlich soll Dialog ermöglicht sein, aber das kann nicht verordnet werden, sondern es müssen Zeichen gesetzt werden. Und ich meine, wir haben das überall in der Gesellschaft. Wo Menschen anderen Menschen etwas antun, da glaube ich ist immer die Frage: Wer geht wie auf wen zu? Und es zeigt sich immer wieder, dass es möglich ist, dass Menschen wieder zueinander kommen - ob im ganz Privaten in der Familie, in der Partnerbeziehung oder in der Gesellschaft. Und hier haben wir wirklich ja doch sehr zugespitzte Formen der Auseinandersetzungen gehabt, dass Menschen dazu beigetragen haben, anderen Menschen Leid anzutun.

    König: Aber das ist 20 Jahre her. Ich könnte mir auch Hörer vorstellen, die jetzt sagen, es wäre ein Zeichen der Versöhnung, wenn es jetzt, gerade innerhalb dieser Institution, zum Gespräch kommt.

    Jahn: Nein, nicht innerhalb dieser Institution. Diese Institution, die arbeitet auf in einer Art, wo sie Dinge bereitstellt für die Gesellschaft, wo sie Dienstleister für die Gesellschaft ist. Und da braucht sie eine große Glaubwürdigkeit. Die eigentliche Aufarbeitung findet in der Gesellschaft statt. Da muss ein Dialog organisiert werden. Dort ist die große Chance, dass Menschen aufeinander zu gehen. Und erst mal muss ich die Menschen, die verletzt sind, die Menschen, die die Wunden immer noch offen haben, die muss ich erst mal gewinnen. Und ich kann nicht sagen, nur weil ich 20 Jahre diesen Menschen ins Gesicht geschlagen habe, indem die Staatssicherheit bei uns gearbeitet hat, mache ich es zehn Jahre noch weiter, sondern ich sage erst mal: Stopp, wir kommen den Opfern entgegen, wir setzen ein Zeichen, aber gleichzeitig ebnen wir den Weg dahin, dass es eine glaubwürdige Aufarbeitung bei den Tätern gibt, die wiederum beweisen, dass sie wirklich, aber auch wirklich das bereuen, was sie gemacht haben. Und das wäre ein Zeichen, einfach zu sagen, ich bringe mich an anderer Stelle in diese Gesellschaft ein. Darauf hoffe ich.

    König: Deutschlandfunk, Sie hören das Interview der Woche, heute mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Jetzt sei die Politik in der Verantwortung haben Sie gesagt; auf Ihren Wunsch hin, wie der SPIEGEL wiederum schreibt, müht sich die Bundesregierung darum, diese 47 ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in Ihrer Behörde in anderen Bundeseinrichtungen unterzubringen. Das Finanzministerium tue sich damit schwer, neue Stellen müssten geschaffen werden - haben Sie andernorts schon Erfreulicheres gehört?

    Jahn: Das ist ja schon ein Anfang. Diese Äußerung, dass hier die Bundesregierung daran arbeitet, das ist ein Zeichen, dass das Problem erkannt ist und dass es endlich, endlich mal vom Tisch kommt.

    König: Welche politische Unterstützung haben Sie bei Ihren Plänen, was das angeht?

    Jahn: Ich habe Unterstützung erst mal schon bei den Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Das sind ja diese Menschen, die in den Bundesländern die konkrete Arbeit leisten, die hautnah dran sind an den Sorgen und Nöten der Menschen. Und diese Landesbeauftragten haben mich einmütig unterstützt in meinem Anliegen. Sie haben das auch öffentlich deutlich gemacht. Ich habe Unterstützung bei den Bundestagsabgeordneten, die mehrfach das betont haben, dass sie meinen Weg unterstützen. Und ich habe auch Unterstützung bei dem zuständigen Minister in dem Kulturministerium, bei Herrn Neumann, dass er auch die Auffassung vertritt, dass wir hier doch zu einer Lösung kommen müssen.

    König: Vor Ihrer Wahl haben Sie der Bundestagsfraktion der Linken einen Besuch abgestattet und haben ihr gesagt, als Nachfolgepartei der SED sei sie besonders herausgefordert, an der Aufklärung der Diktatur mitzuarbeiten. Sie könne die Karten am besten auf den Tisch legen. Die Abgeordneten - wird gemeldet - hätten dem ausdrücklich zugestimmt. Gab es seither Gespräche mit der Linkspartei? Haben Sie einen Weg im Kopf? Sehen Sie die Bereitschaft, dahin zu kommen, dass die Karten offen gelegt werden? Denn das wollen Sie ja auch als neuen Schwerpunkt Ihrer Behörde setzen, nämlich beizutragen, Licht ins Dunkel der Struktur des Ministeriums für Staatssicherheit zu bringen.

    Jahn: Ja, ich habe nach meiner Wahl die Kontakte selber gesucht noch mal zur Linksfraktion. Bei der zuständigen kulturpolitischen Sprecherin, Frau Jochimsen, war ich gewesen; ich habe mit der Abgeordneten Pau gesprochen. Und in diesen Gesprächen habe ich das noch einmal wiederholt, dass hier eine große Chance ist, dass die Linkspartei dazu beiträgt für Aufklärung der Mechanismen in der Diktatur und habe das noch mal deutlich eingefordert. Aber ich habe auch deutlich gemacht, dass ich jemand bin, der bereit ist, auf die Rahmenbedingungen in der DDR einzugehen, dass ich möchte, dass die Rahmenbedingungen in der DDR auch benannt werden. Ich stehe für eine differenzierte Bewertung von Biografien. Ich stehe dafür, dass wirklich genau hingeschaut wird: Wie sind Menschen dazu gekommen, eine bestimmte Entwicklung zu nehmen und warum haben sie so und nicht anders gehandelt. Das spricht nicht davon frei, dass sie keine Verantwortung übernehmen sollen, sondern im Gegenteil. Der erste Schritt ist das Bekenntnis zur Biografie, der zweite ist die Übernahme von Verantwortung, und der dritte Punkt ist der glaubwürdige Umgang damit und auch das Eingeständnis, dass es wohl einen Unterschied gibt zwischen einer Diktatur und einer Demokratie, wie wir sie jetzt haben. Und das ist mir das Wichtige, dass dieses Eingeständnis überhaupt eine Voraussetzung dafür ist, dass hier eine Chance da ist, wirklich offen und ehrlich aufzuarbeiten.

    König: Und was haben Frau Jochimsen und Frau Pau dazu gesagt, oder auch andere Abgeordnete der Linken?

    Jahn: Sie haben meine Position durchaus interessiert zur Kenntnis genommen und werden sich bemühen, in ihren Parteikreisen hier auch in dieser Richtung zu wirken.

    König: Das klingt jetzt aber noch nicht nach euphorischer Zustimmung: "Ja, finden wir toll, dass wir vielleicht auch mit unserer eigenen Partei noch mal anders, im guten Sinne ins Gericht gehen können um dann zum Beispiel auch gesellschaftlich höhere Akzeptanz zu finden"...

    Jahn: Ach, das war schon ein atmosphärisch auch gutes Gespräch, weil ja doch mein Respekt vor DDR-Biografien noch mal sehr anerkannt worden ist. Ich habe ja auch immer deutlich gemacht, dass ich selbst ein Kind dieser DDR bin, dass ich eine Zeit lang in den Bahnen der DDR war.

    König: Ja gut, aber Sie treten ja als Moralist auf mit ganz klaren Maßstäben. Und daran wird auch die Linke sich zu messen haben. Gemeinsames Erleben hin und her. Sie sind ja gerade derjenige, der sagt, so und so, die Kategorien, die Sie genannt haben, die müssen erfüllt sein, Eingeständnis inbegriffen, und nun stellt euch mal dazu. Und das meine ich mit meiner Frage: Wie geht man damit um? Das sind ja auch sehr rigorose Vorstellungen, die Sie äußern.

    Jahn: Das sind durchaus rigorose Vorstellungen, aber mir geht es ja auch darum, dass wir nicht nur rumlaufen und mit dem Finger zeigen: Da ist das Schwein. Im Gegenteil. Respekt vor Biografien, versuchen, zu verstehen, warum wer wie gehandelt hat, aber gleichzeitig immer sagen, ihr müsst euch auch eurer Verantwortung stellen.

    König: Halten Sie es für möglich, dass die Linkspartei zu einer Neubewertung ihrer eigenen Vergangenheit PDS, SED kommt?

    Jahn: Ich will hier nicht spekulieren, ich glaube aber, wenn sie eine Chance in der politischen Landschaft haben will, auch eine Glaubwürdigkeit herzustellen in der Betrachtung ihrer Vergangenheit, dann ist es unumgänglich, dass sie sich hier wirklich auseinandersetzt mit ihrer eigenen Rolle. Was ich erlebt habe bei meiner Vorstellung in der Fraktion war, dass sie sich über die Frage der Nachfolgepartei der SED selbst erst mal gestritten haben. Und das war das doch Bezeichnende, dass durch meine Anwesenheit und durch meinen Hinweis auf den Begriff "Nachfolgepartei der SED" ein Streit untereinander stattgefunden hat. Und gerade die Leute von der WASG aus dem Westen, die wollten damit nichts zu tun haben. Ich habe nur gesagt, Sie müssen wissen, mit wem sie sich einlassen, wenn Sie Politik in Deutschland machen wollen.

    König: Mitgefangen - mitgehangen. Herr Jahn, viele Gespräche mit Ihnen heben auf eine mögliche Schließung der Stasi-Unterlagen-Behörde ab. Sie werden da bevorzugt zitiert mit Sätzen wie "Ein Ende der Behörde ist nicht absehbar", "Der Bedarf an Aufarbeitung ist ungebrochen". Ich wäre jetzt eigentlich gar nicht so sehr auf diese Frage gekommen, habe es nur so oft gelesen. Ich habe immer gedacht, bis 2019 ist die Behörde jetzt erst mal da. Ich weiß, es gibt Überlegungen, die Stasi-Unterlagen ins Bundesarchiv zu überführen, aber bis 2019 werden noch acht Jahre ins Land gehen. Haben Sie das Gefühl, dass es eine Stimmung im Land gibt, diese Stasiunterlagen-Behörde, die brauchen wir jetzt nicht mehr?

    Jahn: Das habe ich überhaupt nicht. Überall, wo ich hinkomme, merke ich, dass es wichtig ist, dass es diese Behörde gibt. Wir sind ja Dienstleister dieser Gesellschaft, und die Gesellschaft entscheidet, ob wir gebraucht werden. Aber ich merke, dass diese Dienstleistungen angefordert werden. Ich komme nach Brandenburg zu einer Ausstellung, die Jugendliche gemacht haben, und sie sind dankbar, dass wir Dokumente zur Verfügung gestellt haben für diese Ausstellung. Und darum geht es ja, dass wir diesen Bedarf an Aufklärung befriedigen, dass wir wirklich zur Verfügung stellen, was im Archiv da ist. Es geht nicht mehr vorwiegend darum, hier einzelne Stasi-Mitarbeiter oder Spitzel zu benennen, sondern aufzuklären, wie die Mechanismen funktioniert haben. Das heißt nicht, dass wir die Täter nicht beim Namen nennen. Ich bin dafür, dass die Täter beim Namen genannt werden, denn nur so können wir auch Diktatur verstehen. Es waren aber einzelne Menschen, die gehandelt haben, und nichts Abstraktes. Wir müssen sehr konkret bleiben, um aufzuzeigen, wie es funktioniert hat. Aber insgesamt kann ich nur sagen, ich habe in keiner Weise den Eindruck, dass der Bedarf nicht da ist. Und deswegen betone ich immer wieder, ein Ende der Behörde ist nicht absehbar und wir können jetzt gar nicht entscheiden, was im Jahr 2019 ist.

    König: Wenn Sie Brandenburg erwähnen, im Justizressort Brandenburgs - ging jetzt auch oft durch die Presse, hat die Gemüter bewegt - arbeiten immer noch 82 Mitarbeiter, die zu DDR-Zeiten hauptamtlich oder inoffiziell mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Der Historiker Helmut Müller-Enberg wird von der DPA zitiert, in der Debatte um die Stasi-Vergangenheit von Landesbediensteten müsse endlich das - wie er es nennt - Kartell des Schweigens beendet werden, bezogen auf Brandenburg. Sehen Sie ein solches Kartell des Schweigens?

    Jahn: Ach, das sind immer so kräftige Begriffe. Ich sehe nur, dass wir da sind als Behörde. Wir können aufklären, oder wir können beitragen zur Aufklärung. Wir können die Information geben. Wenn man differenziert bewerten will, und das begründen alle, dann müssen erst die Fakten da sein. Dann müssen die Informationen geliefert werden. Und ich habe zu dem Konflikt in Brandenburg wiederholt gesagt, ich kann nicht verstehen, dass man auf Aufklärung verzichtet. Und wenn eine gesellschaftliche Debatte da ist wie in Brandenburg, dann kann man nicht sagen, wir haben vor 20 Jahren überprüft und das war es dann. Ein Automatismus: da war jemand bei der Stasi, dieses Etikett Stasi, dass das sofort dazu führt, dass dieser Mann oder dieser Mensch raus muss aus dem öffentlichen Dienst, den gibt es nicht. Um es noch einmal klar und deutlich zu wiederholen: Wir als Behörde liefern die Informationen. Die Entscheidung, die treffen die Institutionen selber.

    König: Die Westarbeit der Stasi wird auch in der Jahn-Behörde ein Schwerpunktthema sein?

    Jahn: Ja selbstverständlich. Westarbeit der Stasi gehört dazu. Die Stasi hat im Westen manchmal gewirkt, als ob es ihr Heimspiel wäre. Wenn ich daran denke, ich selbst bin in West-Berlin bespitzelt, beobachtet, bearbeitet worden. West-Berlin war mitten in der DDR. Die Stasi hatte freien Zugang. Die hat mein Wohnhaus observiert. Von meiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg gibt es Skizzen aus den einzelnen Zimmern. Mein Briefkasten wurde überwacht. Der Weg meiner Tochter zur Schule, all das wurde observiert und man hat Kneipen - zumindest die Maßnahmepläne habe ich gelesen in der Stasi-Akte - verwanzen wollen, abhören wollen. Das sind alles solche Dinge, die auch in Westdeutschland stattgefunden haben. Ich war gerade zu einer Ausstellungseröffnung in Münster und konnte dort berichten, wie in Münster die Stasi gewirkt hat, wie sie an der Universität gespitzelt hat, Menschen richtig versucht hat, in ihr Leben einzugreifen. Ein Chefarzt wurde da schikaniert an der Uni Münster durch Stasi-Spitzel. All das sind Erkenntnisse, die wir haben aus den Stasi-Akten, und das werden wir immer weiter deutlich machen.

    König: Sie wirken jetzt gleich sehr lebhaft. Haben Sie Ehrgeiz, da enthüllerisch zu arbeiten als lang gedienter Journalist?

    Jahn: Ich bin deswegen lebhaft …

    König: Lebhafter.

    Jahn: …weil ich merke, dass das Themen sind, wo ich denke, da müssen wir auch weiter dran bleiben. Es ist ja wichtig, dass wir immer wieder die Frage stellen, was hat das mit mir zu tun? Das ist mein journalistischer Ansatz. Wenn ich einen Fernsehbeitrag gemacht habe, musste ich mich immer fragen, warum sollte der Zuschauer den sehen, und den Menschen das nahe bringen, reingehen in die Gesellschaft, als Schule der Demokratie wirken. Das ist unsere Aufgabe auch als Stasi-Unterlagen-Behörde. Wir sind nicht nur eine Behörde, die nach hinten schaut, zurückschaut. Wir sind eine Behöre, die für diese gesamte Gesellschaft da ist. Und deswegen möchte ich, dass wir Formen und Wege finden, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind.

    König: Letzte Frage. Soweit ich sehe, spricht man schon allenthalben von der "Jahn-Behörde". Mir ist das eben auch schon rausgerutscht. Fühlen Sie sich geehrt oder geht einem das auch manchmal auf die Nerven?

    Jahn: Ach, ich weiß nicht. Ich beschäftige mich damit gar nicht. Ich habe das Thema schon seit Jahrzehnten betrieben, habe als Journalist genau an diesen Themen gearbeitet. Und für mich ist das eine Kontinuität, eine Fortsetzung in neuer Funktion, mit noch mal neueren Möglichkeiten. Und in dem Sinne ist das ein Teil meines Lebens, ein Lebensabschnitt, wo ich in dieser Form jetzt mitarbeite. Und das Entscheidende ist, mir macht es jeden Tag richtig Spaß, mich hier einzubringen. Mir ist es dann eigentlich immer egal, wie es heißt. Hauptsache, die Menschen sind zufrieden mit unserer Arbeit.

    König: Herr Jahn, ich danke Ihnen für das Gespräch.