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Jahresrückblick 2019
"Das Theater ist in einem guten Zustand"

Was bleibt in Erinnerung aus dem Theaterjahr 2019? Kritiker Michael Laages blickt zurück und stellt fest: Über Theater nachzudenken, ohne aktuelle Gegenwartsdiskurse miteinzubeziehen, wird immer schwieriger.

Michael Laages im Gespräch mit Michael Köhler | 25.12.2019
Stefanie Reinsperger, Jürgen Holtz und Sina Martens in Frank Castorfs Inszenierung "Galileo Galilei - Das Theater und die Pest" am Berliner Ensemble
"Galileo Galilei - Das Theater und die Pest" am Berliner Ensemble gehört für Kritiker Michael Laages zu den Theater-Highlights 2019 (© Matthias Horn, Berliner Ensemble)
Gendergerechtigkeit, Gewaltstrukturen, Klimaneutralität - eine Fülle an aktuellen Diskursen laufe parallel zum Theaterbetrieb und beherrsche die Wahrnehmung von Theater stark, meint Kritiker Michael Laages.
Nadine Geyersbach, Irene Kleinschmidt und Martin Baum (v.l.) in "Aus dem Nichts" am Theater Bremen in der Regie von Nurkan Erpulat.
Macht und Missbrauch am Theater Frauen am Theater haben eine höhere Arbeitsbelastung, sind häufiger existenziell bedroht, erfahren öfter psychischen oder physischen Missbrauch als ihre Kollegen. Thomas Schmidt, sieht eine Ursache bei den Intendanten.
Dennoch folgten nicht alle Häuser den aktuellen Trends. So löse Martin Kušej Karin Bergmann als Direktor des Burg Theaters ab, in Zürich folge auf Barbara Frey ein Intendanten-Duo: Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg teilten sich den Posten seit diesem Sommer.
"Vom Ballast der Gender-Debatte befreit"
Eine Inszenierung von Anton Tschechows "Platonow" am Staatstheater Hannover hat Kritiker Michael Laages besonders beeindruckt. Das Haus verstehe sich als feministisches Theater und mache das in dieser Inszenierung mit dem Titel "Platonowa" deutlich. Die Aufführung habe einen Effekt, der für die Geschlechter- und Genderdebatte sehr wichtig sei: "Wir wurden aus dieser großen Behauptung 'Das ist Platonowa', eine Frau, entlassen in eine Welt, in der das gar nicht mehr so wichtig war: Spielt das eine Frau, die einen Mann liebt oder ein Mann, der einen Mann oder eine Frau liebt?" Die Aufführung sei auf diese Weise vom Ballast der Gender-Debatte befreit worden.
Platonowa nach Platonow von Anton Tschechow Schauspiel Hannover Premiere: 15.09.19 Regie: Stephan Kimmig Bühne: Katja Hass Kostüme: Anja Rabes Musik: Michael Verhovec Dramaturgie: Hannes Oppermann Szene mit: Mohamed Achour, Nicolas Matthews
„Platonowa“ - Geschlechtertausch am Schauspiel Hannover Tschechows Theaterstück "Platonow" wurde erst spät von deutschen Bühnen entdeckt, in den 1980-er Jahren. Es geht um den Dorflehrer als Abbild einer traurig-hoffnungslosen Männer-Existenz. In Stephan Kimmigs Inszenierung ist Platonow eine Frau: "Platonowa".
Ebenfalls in Erinnerung geblieben sind Michael Laages zwei Inszenierungen von Frank Castorf. "Galileo Galilei" am Berliner Ensemble und "Justiz" von Friedrich Dürrenmatt am Schauspielhaus Zürich. Die Inszenierung "Justiz" sieht Laages als potenziellen Kandidaten für das Berliner Theatertreffen 2020. "Ein Roman der plötzlich zu einem zerrbildartigen Porträt der Schweiz von damals und heute wurde."
"Das Theater ist am Puls der Zeit"
Den Tod von Bruno Ganz bedauert Michael Laages sehr, auch Johann Kresniks neuen Blick auf das Tanztheater wird er vermissen. Ein Stück, das im Theaterjahr 2019 besonders gefragt war, ist "Vögel" des französischen Autors Wajdi Mouawad. Es passe momentan sehr gut in den Flüchtlings- und Weltelendsdiskurs und sei vielleicht aus diesem Grund so oft auf der Angebotsliste, vermutet Laages.
Choreograf und Regisseur Johann Kresnik
Zum Tod von Johann Kresnik Er war Tänzer, Choreograph, Regisseur und bekennender Kommunist. Seine drastischen Inszenierungen waren Pionierleistungen des Tanztheaters, die mit ihren grausamen Bildern die gängige Ballettästhetik konterkarierten, sagt Michael Laages.
Trotz der Debatten über Strukturreformen im Theaterbetrieb findet Michael Laages, dass das Theater am Puls der Zeit sei und fabelhaft funktioniere: "Das Theater positioniert sich auch mit großer Energie gegen Angriffe von rechts. In dieser Auseinandersetzung sind die Theater stark."