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Jamaika-Streitthema Kohleausstieg
"Es geht um die Frage der Zeit und des Weges"

Ein umstrittenes Thema bei den Jamaika-Beratungen ist der Klimaschutz. Es gehe nicht darum, ob es einen Kohleausstieg gebe, sondern um die Frage der Zeit und des Weges, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Fricke Dlf. Er sei froh über jedes Kohlekraftwerk, das abgeschaltet werde.

Otto Fricke im Gespräch mit Stephanie Rohde | 11.11.2017
    Der FDP-Politiker Otto Fricke
    Der FDP-Politiker Otto Fricke (dpa / Karlheinz Schindler)
    Stephanie Rohde: Eigentlich hatte es ein bisschen anders kommen sollen, Union, FDP und Grüne wollten gestern Abend ein Zwischenfazit ziehen, aber die Runde der Parteispitze wurde vertagt auf Sonntag, trotzdem ist von Kompromissbereitschaft die Rede. Worauf aber konnte man sich konkret einigen und worauf nicht.
    Am Telefon ist jetzt Otto Fricke, der für die FDP im Bundestag sitzt. Guten Morgen!
    Otto Fricke: Einen schönen herbstlichen guten Morgen vom Niederrhein!
    Rohde: Die FDP hat im Wahlkampf für German Mut geworben, warum dann nicht jetzt Mut beweisen und den Deutschen ehrlich sagen, Neuwahlen sind die beste Option?
    Fricke: Weil das, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt, wo man Gespräche macht, unverantwortlich wäre, und das ist genau das, wo man eigentlich erwarten würde, dass Politiker es eben nicht tun, nicht sagen, oh, ist schwierig, ist anstrengend, es sind unterschiedliche Positionen, es sind vier Parteien, die hier verhandeln. Nein, das ist schon den Schweiß der Edlen wert, hier zu arbeiten, zu gucken, wie man näherkommt, und wie Sie im Bericht ja gerade gehört haben, gibt es ja auch Punkte, wo man sich Stück für Stück entgegenkommt. Die Grünen haben, wie ich finde, in etwas realistischer Weise ihren Angang zur Frage des Kohleausstieges, der irgendwann sicher kommen wird, gemacht, wir haben bei der Frage Steuern auch klar gesagt, dass es bestimmte Stellen gibt, die wir so alleine eben nicht machen … die wir zwar alleine machen können, aber so nicht mit den Koalitionspartnern. So haben wir aber etwas getan. Ich bin auch mal jetzt gespannt, wo die CDU und die CSU noch was zeigen, weil das wird mit Sicherheit auch kommen, dass man hier Bewegung zeigt. Das ist das, was, finde ich jedenfalls, mögliche Koalitionsarbeit auszeichnet, und das sind die Kompromisse.
    "So kommt man Stück für Stück weiter"
    Rohde: Aber Herr Fricke, ich will noch mal bei dem Punkt bleiben, also in einer Deutschlandtrendumfrage, in einer neuen, sagen inzwischen 52 Prozent der Deutschen, dass ein Jamaikabündnis weniger gut oder sogar schlecht wäre. Können Sie sich leisten zu ignorieren, dass die Stimmung in Deutschland gekippt ist?
    Fricke: Also ich sehe bei 52/48 noch kein Kippen. Ich darf nur daran erinnern, dass direkt nach der Wahl wir, glaube ich, in den 20ern bei Jamaika waren, und es ist ja was Zweites hinter der Frage, was ich zwar verstehe, aber was, glaube ich, Politik nicht machen sollte: Muss ich sofort als Politiker, wenn die Umfrage nicht stimmt, sagen, oh, Umfrage ist schlecht, jetzt ändere ich mal wieder die Linie, oder zeige ich, dass ich mich bemühe, durch inhaltliche Arbeit, durch Abwägen, durch Finden von neuen Lösungen und eben durch Mut den nächsten Schritt nach vorne zu machen, oder sage ich gleich, oh, passt nicht, Neuwahlen wären vielleicht besser.
    Rohde: Sie reden aber jetzt nicht mehr so offensiv von Neuwahlen, das haben Sie in der vergangenen Woche doch getan. Hat die Schelte von Angela Merkel Sie da eingeschüchtert?
    Fricke: Also ich stelle mir das gerade so vor, man kommt, nachdem man vier Jahre aus dem Bundestag raus ist, wieder hin und sagt so ungefähr, die Schuldirektorin ist aber immer noch dieselbe und guckt immer noch so grimmig und schilt und aus. Nein, mit Verlaub, die Schelte war ja recht schön gemeint für Frau Merkel selbst, aber wollen wir doch mal ehrlich sein: Wenn der Versuch gemacht worden ist, der FDP zu sagen, jetzt drehen wir es gerade von der anderen Seite, ihr müsst doch jetzt das und das machen, sonst geht das alles nicht und dann gibt's Neuwahlen, und dann sagt die FDP – und das finde ich und das merke ich in Gesprächen auch –, na ja, also du kannst uns nicht mit Neuwahlen drohen, dann ist das nur etwas, wo man klar sagen muss, nutze doch nicht ein reines machtpolitisches Argument, das zudem nicht greift, wenn es darum geht, inhaltlich Lösungen zu finden. Und da kann ich dann in Richtung Frau Merkel nur sagen, das ist wunderbar, dann wollen wir an die Inhalte ran, und dann würde ich Frau Merkel dann eben ganz freundlich bitten, dann machen wir den nächsten Vorschlag, schauen mal, was die CDU an Kompromissbewegung hat, und so kommt man Stück für Stück weiter. Wenn es dann am Ende nicht geht, weil man am Ende nicht übereinkommt, hat man aber eine FDP, die eben nicht sagt, wir wollen um jeden Preis an die Macht und wir wollen um jeden Preis an irgendwelche Töpfe heran, die es ja gar nicht gibt. Das wird eben nicht passieren.
    "Es geht um die Frage der Zeit und des Weges"
    Rohde: Lassen Sie uns dann auf die umstrittenen Themen gucken. Ein sehr umstrittenes Thema ist der Ausstieg von den Kohlekraftwerken, dass man dort den Stecker zieht. Die Grünen haben sich in dieser Woche auf die FDP zubewegt, sich flexibel gezeigt beim definitiven Datum für diesen Kohleausstieg, die FDP scheint sich da bedeckt zu halten. Ich versuch's mal mit einem Bild: Täuscht der Eindruck, dass das ein bisschen ist wie bei einem Date, bei dem der eine einen riesigen Strauß Blumen mitbringt und der andere so einen Grashalm vom Straßenrand?
    Fricke: Na ja, jetzt würde ich sagen, das kommt jetzt darauf an. Mir würden bestimmt manche Grüne sagen, dass der Grashalm vom Straßenrand die nachhaltige Art eines Geschenkes ist als irgendwelche Blumen, die möglicherweise auch noch aus Südamerika kommen. Nein, Spaß beiseite. Das Entscheidende an der Stelle ist hier, dass wir, wenn wir das Thema Umwelt sehen, ja, wir haben eine realistische Bewegung der Grünen, und das ist übrigens ein Teil der Aufgabe, die man in solch einer möglichen Koalition in Sondierungsgesprächen …, den anderen zu verstehen, ihm die Möglichkeit geben, sich zu bewegen, ohne das Gesicht zu verlieren. Nur ich glaube, beim Thema Umwelt und gerade beim Thema CO2 oder nehmen wir das Thema Kohleausstieg, auch das hat Christian Lindner in dem eben im Bericht angesprochenen "Spiegel"-Interview ja gesagt, es geht doch nicht um die Frage, ob wir etwa einen Kohleausstieg haben, sondern es geht um die Frage der Zeit und es geht um die Frage des Weges, und darüber wird gestritten. Und ich glaube, wir sind jetzt an dem Punkt, wo alle Seiten klar sich darüber werden, wir wollen und wir werden hier was tun, wir streiten um Inhalte. Und das finde ich eine gute Lösung.
    Rohde: Aber Herr Fricke, wenn man die Klimaziele von 2020 erreichen will, dann muss man bei den Kohlekraftwerken den Stecker ziehen. Warum wehren Sie sich weiter gegen etwas, was Sie eigentlich im Kern doch unterstützen? Das ist doch widersprüchlich.
    Fricke: Ja, Moment, jetzt kommen drei Sachen auf einmal. Das Erste ist, maßgeblich ist Paris 2050, die europäischen Vereinbarungen 2030. 2020 können wir gerne machen, das ist Problem ist nur, dass dieses Versprechen – und das, finde ich, ist immer ein Stückchen von Unwahrheit … Ich will Ihnen jetzt die Rückfrage stellen: Sie wollen also 2020, so wie wir das 2009 vereinbart haben, das sagen die Grünen ja auch. Dann sag ich okay, in der 2009er Vereinbarung war aber auch, dass wir nicht aus der Kernenergie so schnell aussteigen, wie wir das jetzt beschlossen haben. Also wenn du 2020 willst, musst du in der Kernenergie bleiben, das wäre die ehrliche Argumentation. Das wollen wir aber nicht, wir haben einen Beschluss in der Bundesrepublik Deutschland, den auch niemand rückgängig machen will, dass wir aus der Kernenergie schnell aussteigen. Dann ist aber 2020 nicht mehr etwas, was man vereinbart hat, und auch nicht etwas, wo man sich ehrlicherweise (Aussage ist unverständlich, Anm. d. Red.). Dennoch, und jetzt kommt der Punkt, der ja entscheidend ist, die Hauptaufgabe so schnell wie möglich so viel wie möglich an CO2 vermeiden, wird dadurch nicht verändert, und wenn wir Lösungen finden, die vernünftig sind und vor allen Dingen, und das finde ich wichtig, wenn wir nicht wieder nur sagen, wir konzentrieren uns jetzt mal eben rein auf Kohlekraftwerke, wo wir natürlich was tun müssen und wo ich persönlich um jedes Kohlekraftwerk, das ich aus dem Betrieb aus der Reserve in die Schließung bringen kann, froh bin …
    "Von der größten Partei hören wir gar nichts"
    Rohde: Also warum denn nicht 20 der ältesten Braunkohlekraftwerke abschalten, so wie die Grünen das fordern?
    Fricke: Ja, genau, und dann, und das finde ich bei mir in NRW besonders interessant, und dann, wenn dann eben wir Tage haben, wo weder der Wind weht noch wie heute, wenn ich gerade aus dem Fenster rausgucke, die Sonne gerade scheint, dann sage ich einfach, wo hole ich mir jetzt die Grundlast her, ich hab nicht mehr genügend, weil ich eben schon bereits teilweise aus der Kernenergie raus bin. Dann hol ich sie mir aus Belgien zum Beispiel von einem Kernkraftwerk, wo alle sagen, wieso haben die das noch, dann hol ich's mir aus Frankreich und dann hol ich's mir aus Polen von Kohleenergie. Das ist keine vernünftige Lösung.
    Rohde: Aber Herr Fricke, das Argument ist doch überholt. Gerade heute ist eine Studie rausgekommen, die sagt, das Abschalten der 20 ältesten Kohlekraftwerke würde die Stromversorgung in Deutschland überhaupt nicht gefährden.
    Fricke: Ja, das ist das eine Gutachten, und jetzt kommt – und das finde ich immer, man wirft sich die Gutachten gegenseitig vor … Aber in dem Moment, wo mir die notwendigen Entscheider bei Netzagentur und anderen Stellen sagen, ich kann es und ich kann es vor allen Dinge, ohne – und das schließe ich ja dann aus Ihrer Position – ohne dass ich den Ersatz dann auf französischen Atomstrom, belgischen Atomstrom und polnische Kohlekraftwerke zugreifen kann, bin ich dazu ja gerne bereit. Nur einfach weil jemand sagt, das ist möglich, und vor allen Dingen gucken wir dann immer in die Gutachten im Detail rein, haben wir jetzt beide nicht getan, dann kommt dann einerseits raus, es gilt für einen späteren Zeitpunkt, nur unter bestimmten Bedingungen. Noch mal: Das Entscheidende ist nicht die Frage, ob man aus der Kohle aussteigt, die Frage ist die Frage der Zeit und des Weges. Und hier kommt man eben entgegen. Und das kann man ja dann auch sehen, wenn man die Sachverständigen dazu holt, die sagen, welche Wege gehen, wo sind Möglichkeiten. Und da, glaube ich, kann man sich einigen. Es ist mehr so, merke ich jetzt auch in unserem Gespräch, dieses, da muss der eine sein, der ist der Gute, und da ist der andere, der ist der Böse. Nein, es muss, wenn wir von Sondierungen und Gemeinsamkeiten reden, am Ende ein vernünftiger Weg kommen, was man ja auch daran erkennen kann, dass die Grünen sich da an der Stelle bewegt haben.
    Rohde: Genau, das ist sozusagen der Kompromiss. Sie sagen in Ihrer Partei, in der FDP, die Grünen sollten über die Brücken gehen, die die FDP schon längst gebaut hat. Aber selbst wenn das so wäre, dann könnten die Kompromisse doch alle an der CSU scheitern. Heißt das, trotz gebauter Brücken der FDP fallen alle ins Wasser?
    Fricke: Ja, also erstens müssen nicht die Grünen nur über unsere Brücken gehen, sondern wir müssen im Zweifel über manche Brücken gehen, die von den Grünen gebaut werden. Das Interessante an unserem Gespräch ist ja jetzt auch wieder, wir reden über die beiden etwas kleineren Parteien, reden mit der CSU jetzt mal kurz über die kleinste Partei, aber die größte Partei, die ja eigentlich in Koalitionsgesprächen der Hauptbrückenbauer sein müsste, von der hören wir gar nichts. Ich gebe unumwunden zu, dass bei der CSU ein paar interne Dinge zu klären sind, aber auch da zeigt doch die Erfahrung aller Koalitionsverhandlungen mit der CSU in den letzten Jahren, dass auch in Bayern in Liberalitas Bavariae existiert, auch wenn sie eine andere ist als die Liberalität der FDP, und die am Ende auch zu Ergebnissen führt. Ich sehe da noch nicht die Bewegung, aber auch da muss man natürlich sehen – und da würde ich jetzt umgekehrt mal drehen –, ob die CSU denn diejenige sein will, die eine solche Sondierung platzen lassen will, nur weil ihr bestimmte Dinge grundsätzlich nicht passen und sie nicht von ihrer 100-Prozent-Position zurückgeht. Aber noch mal: Die Hauptaufgabe liegt meiner Meinung nach bei der größten Partei innerhalb dieser Viererkonstellation.
    "Eine intransparente Sondierung, die will, glaube ich, niemand"
    Rohde: Allerdings muss man sagen, die Union verwehrt sich ja auch dagegen, dass es jetzt gesagt wird, dass sie blockiert und keine Vorschläge macht.
    Fricke: Na ja, Rückfrage: Nennen Sie mir oder jeder, der uns jetzt zuhört, doch mal einen Kompromissvorschlag der CDU, den sie in den letzten Wochen gemacht hat, und warum reden wir über Kompromissvorschläge der FDP, wie sie sie beim Soli gemacht haben, wie sie sie beim ESM gemacht haben, und Kompromissvorschläge der Grünen, wie sie sie beim Auto und bei der Kohle gemacht haben. Wo sind die? Ich akzeptiere, dass man sagt, da muss man sich Zeit lassen, und ich will das auch gar nicht als unfreundlichen Akt gelten lassen, aber ich finde doch, da kann eine Partei, die schon so lange an der Regierung ist, jetzt auch Vorschläge machen und zeigen, wo sie durch Bewegung dafür sorgt, dass etwas klappt. Ob das dann alles am Ende funktioniert, weil wir reden ja jetzt schon darüber, wie es alles klappt, das ist eine andere Frage, und das wird die nächste Woche dann zeigen, wenn die Papiere dann von der Spitze in kleinem Kreis – und nur in kleinem Kreis kann so was übrigens auch erfolgen – dann so hinbekommen werden soll, dass die jeweiligen Gremien noch mitmachen.
    Rohde: Herr Fricke, noch ganz kurz zum Schluss: Wie viele dieser Sondierungsinterviews brauchen wir noch, bis eine Einigung steht?
    Fricke: Na ja, ich glaube, in einer transparenten Demokratie, die unter anderem von einem klugen Radiosender begleitet wird, ist es besser, dass wir die Gespräche haben, damit die Bürger nachvollziehen können, wo die Kompromisse sind und dass es eben nicht faule Kompromisse sind, dass dahinter wirklich Anstrengung, Überlegung steht, dass es sich keiner leicht macht. Es gibt die andere Möglichkeit, die hat man zum Beispiel in unserem Nachbarland, die Niederlande, da darf dann nur einer nach draußen sprechen. Und da, glaube ich, wären wir beide, aber auch die, die jetzt zuhören, uns einig, eine solch intransparente Findung von möglichen Koalitionen, also eine intransparente Sondierung, die will, glaube ich, niemand.
    Rohde: Das sagt Otto Fricke, der für die FDP im Bundestag sitzt. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute Morgen!
    Fricke: Aber gerne, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.