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Jammertal Deutschland?

Breker: Jammertal Deutschland! Deutsche Verhältnisse schrecken österreichische Wähler. Es geht uns offenbar schlecht. Ist das wirklich so oder reden wir uns etwas ein, was mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Am Telefon bin ich nun mit Rolf Schneider verbunden. Er ist Leiter der Abteilung Volkswirtschaft bei der Dresdner Bank in Frankfurt. Guten Tag, Herr Schneider.

    Schneider: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Helfen Sie uns. Ist die wirtschaftliche Lage nun wirklich so schlimm wie sie wahrgenommen wird?

    Schneider: Also die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr ist sicherlich enttäuschend. Wir hatten im Frühjahr dieses Jahres Hoffnung auf einen Aufschwung, der ist nicht eingetreten. Aber die Entwicklung ist sicherlich nicht so schlimm, dass man von einer Rezession sprechen könnte. Da müssen wir, glaube ich, wirklich etwas mehr Realismus an den Tag legen. Wir haben in diesem Jahr eine mäßige wirtschaftliche Entwicklung, aber die deutsche Wirtschaft schrumpft nicht, sondern sie wächst. Im dritten Quartal lag die gesamtwirtschaftliche Leistung knapp ein Prozentpunkt höher als vor einem Jahr.

    Breker: Der Export ist dabei weiterhin das Zugpferd?

    Schneider: Das ist völlig richtig. Also wir haben eine wirtschaftliche Entwicklung, die in diesem und im letztem Jahr ganz eindeutig vom Export getragen wird. Was zu bemängeln ist und was in der Tat sehr enttäuschend ist, ist dass die Binnenwirtschaft nicht anspringt. Daraus wird ja teilweise auch abgeleitet, dass Deutschland auf dem Weg in eine Deflation, in eine sehr negative wirtschaftliche Entwicklung, auf lange Sicht ist, wie dies in Japan der Fall ist. Aber dort würde ich zu Vorsicht raten. Wir hatten auch schon in der Vergangenheit, beispielsweise von 1980-1982, eine lange Phase einer sehr schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, die dann aber wieder in einem Aufschwung gemündet hat.

    Breker: Helfen Sie uns. Was ist eine Deflation? Eine Inflation kennt jeder, aber was ist in einfachen Worten eine Deflation?

    Schneider: Deflation heißt, dass die Preise rückläufig sind. Es ist eigentlich vor dem Hintergrund der diesjährigen Diskussion schon fast eine absurde Debatte. Wir hatten ja im Frühjahr dieses Jahres die ausgeprägte Teuro-Debatte. Das war in Verbindung damit, dass der Euro zu Preissteigerungen führt. Jetzt inzwischen gibt es allerdings eine Debatte, die nur innerhalb von Fachkreisen geführt wird, nämlich darüber dass die Preise dauerhaft fallen und im Zuge dessen dann auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gehemmt wird. Dies führt zur Zurückhaltung von Konsumenten und Investoren. Auf Dauer entsteht dann eine sehr schwache wirtschaftliche Entwicklung.

    Breker: Aber die Gefahr einer Deflation sehen Sie nicht?

    Schneider: Das würde ich nicht sehen. Die Verhältnisse in Japan Anfang der 90er Jahre sind sicherlich völlig andere gewesen als diejenigen, die wir vor uns haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir aus diesem Tief, aus diesem Jammertal der Konjunktur auch wieder herausfinden.

    Breker: Die Kaufkraft ist ja beim Bürger, beim Kunden vorhanden. Woher kommt diese Zurückhaltung?

    Schneider: Da würde ich jetzt nicht ganz zustimmen. Wir hatten in der Tat durch die schlechte Entwicklung am Arbeitsmarkt eine sehr schwache Entwicklung der Einkommen. Diese hat sich im zweiten Halbjahr dieses Jahres glücklicherweise wieder gebessert. Von daher sind sicherlich keine kräftigen Ausgabenzuwächse angelegt. Aber man muss auch darauf hinweisen, dass es in Verbindung mit der Einführung des Euros und mit der Vorstellung, dass ein sehr kräftiger Preisanstieg damit verbunden sei, eine starke Kaufzurückhaltung im ersten Halbjahr dieses Jahres gab. Es gibt inzwischen gewissen Anzeichen, dass sich diese Kaufzurückhaltung zumindest wieder vermindert und wir im Spätherbst dieses Jahres wieder eine leicht höhere Konsumnachfrage haben.

    Breker: Die Regierung kann ja selber wenig wirtschaften, aber sie kann für die Wirtschaft Rahmenbedingungen setzen. Wie wichtig ist das eigentlich für eine Belebung?

    Schneider: Ich glaube, dass das schon sehr wichtig ist. Wir wissen, dass wir in Deutschland Reformen brauchen. Wir wissen, dass die auch angegangen werden müssen. Wir wissen auch, dass die Bürger und Unternehmen keine zusätzlichen Abgabenlasten in diesem Umfeld erdulden können. Insofern muss man natürlich die geplanten Maßnahmen der Regierung im Hinblick auf die Konjunktur des nächsten Jahres kritisch sehen. Ohne Frage sind die höheren Abgaben ein Belastungsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung.

    Breker: Wenn ich einmal eine dieser Abgaben herausgreifen darf. Es wird diskutiert, die Vermögenssteuer wieder einzuführen. Können Sie absehen, welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft hätte?

    Schneider: Glücklicherweise ist die Vermögensteuer noch nicht im Zentrum der Diskussion. Das wird allerdings von einigen Ländern vorgeschlagen. Man kann glaube sagen, ohne dass man das jetzt auf das Zehntel bei der gesamtwirtschaftlichen Leistung abschätzt, dass jede zusätzliche Steuer derzeit ein Belastungsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung darstellt. Die psychologischen Effekte wären sicherlich ganz gravierend, unabhängig wie hoch Aufkommen der Vermögenssteuer dann wäre.

    Breker: Der Staat selber, also auch die Länderregierungen und die Bundesregierung tritt ja im Markt angesichts der desolaten Haushaltslagen wenig auf. Fehlt das der Wirtschaft, dass der öffentliche Sektor sozusagen als Auftraggeber ausfällt?

    Schneider: Es ist sicher im Zuge der Konsolidierung der Fehler gemacht worden, zu stark die Investitionsausgaben zurückzuführen. Man hätte in stärkerem Maße noch bei den konsumorientierten Ausgaben einsparen müssen. Ich glaube, an der Konsolidierung geht generell kein Weg vorbei. Diesen Weg müssen wir sicherlich weitergehen. Ich sehe es immer noch als den besseren Weg, dass auf der Ausgabenseite gekürzt wird als dass die Steuern und Abgaben erhöht werden. Insofern bin ich sicherlich nicht der Auffassung, dass wir von staatlicher Seite zusätzliche Ausgaben im nächsten Jahr benötigen, um die Konjunktur anzukurbeln.

    Breker: Mit welcher Prognose gehen Sie persönlich in das nächste Jahr? Wie wird das Wirtschaftswachstum dann aussehen?

    Schneider: Wir erwarten derzeit anderthalb Prozent Wirtschaftswachstum. Allerdings steht dies noch unter dem Fragezeichen, wie viele der Koalitionsvereinbarungen in welcher Form umgesetzt werden. Hier könnte ich mir vorstellen, dass wir uns noch mal überlegen müssen, einen gewissen kleinen Abschlag von der Konjunkturprognose vorzunehmen. Natürlich steht die Konjunkturprognose im weltpolitischen Umfeld. Im Falle eines Irak-Krieges mit Auswirkungen auf die Investoren, Verunsicherung der Investoren, auch der Kapitalmärkte, müsste man sicherlich ein noch skeptischeres Bild abgeben.

    Breker: Herr Schneider, noch ein abschließende Frage. Es gab unter Kanzler Helmut Schmidt einmal die Situation, dass allgemein empfunden wurde, die Lage sei ganz schlimm, aber die persönliche Lage eines jeden einzelnen wurden dann von eben diesen als positiv eingeschätzt. Sehen Sie da Parallelen zur heutigen Situation?

    Schneider: Ich glaube, es gibt da im Augenblick sicherlich Parallelen. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass die Abgabenerhöhung, die wir Anfang nächsten Jahres bekommen, auch die persönlichen Situationen berühren. In der Tat ist es im Augenblick sicherlich so, dass die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven von den Unternehmen skeptischer gesehen wird, als die individuelle Situation.