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Jan Böttcher: "Das Kaff"
Kleinstadt-Blues

Alle wollen in die Metropole. Doch Jan Böttchers Romanheld muss nach vielen Jahren in Berlin notgedrungen zurück ins Kaff seiner Kindheit ziehen. Kein leichter Gang. Auch, weil der Provinz-Rückkehrer in der alten Heimat den Dämonen seiner Vergangenheit wieder begegnet.

Von Andrej Klahn | 04.07.2018
    Buchcover: Jan Böttcher: "Das Kaff"
    Provinz meint in Jan Böttchers "Das Kaff" keinen konkreten Ort, sondern die Erinnerung an Jugenderfahrungen (Buchcover: Aufbau Verlag, Hintergrundfoto: Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Stadtluft macht hochmütig. Der Blick hinunter vom Berliner Prenzlauer Berg auf den Rest der Republik hat schon so manchen dazu verleitet, überall nur Provinz zu sehen. Provinz, verstanden als Lebensform: dumpf, beschränkt und kleinkariert. Der Titel von Jan Böttchers neuem Roman "Das Kaff" lässt vermuten, dass der Wahl-Berliner nur ein weiteres miefiges Nest in die literarische Landkarte der geistverlassenen Gegenden einzeichnen will. "Shitty Littleton", so nennt der Ich-Erzähler Michael Schürtz seine norddeutsche Heimatstadt. Wo sie genau sie liegt und wie sie heißt, bleibt offen. Vor langer Zeit hat der Architekt das Kaff Richtung Berlin verlassen. Nun aber ist er in eben jenes titelspendende Kaff zurückgekehrt, um als Bauleiter das Townhouse-Projekt einer rabiaten Investorengruppe hochzuziehen.
    Micha Schürtz ist der idealtypische Vertreter einer hochnäsigen, entwurzelten urbanen Elite. Schwarzes Oberhemd, Levi’s-Jeans, Budapester von Forzieri, Ray Ban-Sonnenbrille. Mit demonstrativ zur Schau gestelltem Stilbewusstsein geht Schürtz zunächst auf Distanz zu den Kleinstadtbewohnern. Einquartiert hat er sich im verklinkerten Reihenhaus seines Schulfreundes Greg:
    "Ein Zeitungsbote schiebt jeden Morgen das Käseblatt ins Haus. Ich erinnere mich daran, dass Greg gefragt hat, ob er das Abo in seiner Abwesenheit kündigen soll, weiß aber nicht mehr, was ich ihm geantwortet habe. Wahrscheinlich stand mir der Mund offen, weil ich dachte, dass es das Käseblatt kraft meiner Ablehnung nicht mehr geben kann. Ich hätte der Stadtzeitung gegönnt, unterzugehen, aber sie hat nicht bloß überlebt, sie ist unverändert, dasselbe Layout, derselbe Mangel an Anspruch, der einen schon als Jugendlicher eingeschläfert hat."
    Das Kaff: Ein Ort voller Hinterwäldler? Nicht so ganz.
    Reich an Zumutungen, arm an Möglichkeiten - so ist die Kleinstadt - und Dorfexistenz zur Genüge in deutschen Romanen ausbuchstabiert worden. Zunächst scheint auch Jan Böttcher auf das altbekannte Schema des anti-idyllischen Provinz-Romans zurückzugreifen: Da kehrt einer zurück in die Welt der akkurat gestutzten Hecken, des Nachbarschaftstratsches und der Fußballvereinsmeierei - und dann wird abgerechnet.

    Doch die Fährte ist falsch. Denn Micha Schürtz wird in seiner Selbstgewissheit schnell erschüttert. Sein Bauvorhaben gerät ins Stocken, er bändelt mit Carla an, die in einem der neuen Häuser wohnt. Seine Geschwister Jul und Nuss fordern ihn auf, sich der unaufgearbeiteten Familiengeschichte zu stellen. Und irgendwann heuert Schürtz dann auch noch als Aushilfstrainer für die C-Jugend seines Jugendvereins Rot-Weiß an. Das Kaff hat ihn wieder. Und der Landflüchtige, der einst auszog, um den Setzkasten-Nippes seines kleinbürgerlichen Elternhauses hinter sich zu lassen, hadert mit sich selbst:
    "Geht's noch Micha? Du führst hier den Stift, du hast Ziele. Dein Weg ist vorgezeichnet. Und du hast dir geschworen, in den Kampf zu ziehen für deine Freiwilligkeit. Du musst anfangen, darüber nachzudenken, was dich von all diesen Menschen trennt. Ihre Langsamkeit, das erwartbare Gesülze im Lokalteil, dieser generelle Mangel an Energie und Leidenschaft, das alles schnürt dir doch noch immer den Hals zu. Du bist doch ausgewandert, um frei zu atmen und deine Kräfte einzusetzen. Also bleib jetzt standfest und fang bitte nicht an, beim ersten Sommerregen einzuknicken wie die Stange eines Tchibo-Zeltes."
    Wiederbegegnung mit der eigenen Herkunft
    Dass die harte Entgegensetzung von Groß- und Kleinstadt sich im Verlauf der Geschichte immer mehr auflösen wird, ist früh absehbar. Aber der 1973 in Lüneburg geborene Jan Böttcher zeigt in seinem fünften Roman ohnehin, dass Provinz keinen konkreten Ort meint, sondern die Erinnerung an Jugenderfahrungen. Und die Unversöhnlichkeit, mit der der Ich-Erzähler dem Kaff zunächst begegnet, hat ihren Grund nicht zuletzt im Zerwürfnis mit der Mutter. Schürtz nennt sie immer nur beim Vornamen: Sigrid. Als wolle er sie sich dadurch, auch Jahre nach ihrem Tod, noch vom Leib halten. Sigrid, die Zeremonienmeisterin des spießigen Kaffeeklatsches. Die todkranke Mutter, aus deren Leben sich der Ich-Erzähler ein für allemal und mit einem lauten Türenknall verabschiedet hatte, nachdem sie den Fußballtrainer öffentlich als Ehebrecher beschimpfte.

    Wut, Bitterkeit und Trauer liegen berührend nahe beieinander, wenn sich der Ich-Erzähler, nun zurückgekehrt, an ihrem Grab wieder an die Mutter erinnert:
    "Dein Name steht in geschwungener Schrift auf dem Stein. Sigrid Schürtz. Ich weiß noch, als das Wasser im Bauchraum stand und dir die Dinge über den Kopf wuchsen, warst du schon nicht mehr in der Lage, nach Hilfe zu suchen. Also wurdest du jede Woche ein bisschen ungeduldiger mit dir und mit denjenigen, die gesund waren und sich einfach ins gemachte Nest setzten. Mitten in den Biskuitboden setzten die sich und nahmen die ganze Fluffigkeit und Wärme als gegeben hin. Der Kaffeeklatsch war immer noch eine Art Vogelnest. Aber du warst jetzt wütend auf die geteilte Wärme, Sigrid. Hast immer mit dem Geschirr rumgeklappert, wenn die Frauen gegangen waren. Auch mich ständig angemotzt für irgendeine Belanglosigkeit."
    Schauplatz einer Selbstfindung
    Die Passagen, in denen der Erzähler über die Zeit hinweg in den Dialog mit der verstorbenen Mutter tritt, um zu klären, was nicht mehr klären ist, gehören zu den stärksten dieses episodenhaft zusammengesetzten Romans. Überhaupt ist es die skizzenhaft entworfene Familiengeschichte, mit der Jan Böttcher in »Das Kaff« überzeugt.

    Weniger gelungen hingegen ist Jan Böttchers Versuch, die Provinz-Geschichte sozialkritisch aufzuladen. Kompagnons statt Konkurrenz, Gemeinschaft statt Individualismus. Das findet Schürtz im Kaff. Doch immer dann, wenn Jan Böttcher seinen Erzähler Ausflüge ins Grundsätzliche unternehmen lässt, läuft er Gefahr, ein schlichtes, in unsere heimatgefühlige Zeit passendes Loblied auf die Bodenständigkeit anzustimmen. Als sozialromantische Utopie taugt das Kaff nicht, als Schauplatz einer Selbstfindung hingegen schon.
    Jan Böttcher: "Das Kaff"
    Aufbau Verlag, Berlin. 269 Seiten, 20 Euro.