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Jan Brandt: "Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt"
"Der Druck ist gestiegen"

In seinem neuen Buch erzählt Jan Brandt von seiner Wohnungssuche in Berlin und vom Strukturwandel in seinem ostfriesischen Heimatdorf. Er beschreibt damit auch die ökonomischen Bedingungen, unter denen Literatur heutzutage entsteht. Immer schon hätten sie zum Schreiben dazugehört, sagte Brandt im Dlf.

Jan Brandt im Gespräch mit Miriam Zeh | 19.06.2019
Zu sehen ist der Autor Jan Brandt und das Cover seines Romans "Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt".
1974 in Ostfriesland geboren lebt er heute in Berlin, suchte zuletzt aber ein Jahr nach einer bezahlbaren Wohnung: der Autor Jan Brandt (Autorenfoto: Anika Büssemeier/ Cover: Dumont Verlag)
Miriam Zeh: Herr Brandt, wenn man Ihr Buch von der einen Seite aufblättert, liest man von "Einer Wohnung, in der Stadt". Nach der sind Sie permanent auf der Suche. Große Teile des Romans spielen im Jahr 2016. Sie beginnen Ihre Geschichte aber zu erzählen im Jahr 1998. Warum gerade da?
Jan Brandt: 1998 bin ich nach Berlin gezogen und ich fand es wichtig zu zeigen, was Berlin mal war, welche Möglichkeiten diese Stadt hatte und weshalb sie so starke Anziehungskraft hatte für Künstler, Schriftsteller, Musiker, Kreative im Allgemeinen – weil einfach die Mieten unfassbar billig waren. Es gab Leerstand. Berlin war damals eine schrumpfende Stadt. Und nur durch diese Bedingungen, das ist meine These, ist da eine Literatur entstanden oder eine Fülle und Vielfalt und Qualität von Literatur, von der wir heute immer noch zehren.
Romane über Wohnungsnot und Landflucht haben Konjunktur
Zeh: Nun sind in letzter Zeit einige Romane erschienen, die von der Wohnungssuche in Berlin erzählen. Vor zwei Wochen erhielt Anke Stelling den Hölderlin-Preis für ihren Roman "Schäfchen im Trockenen". Darin verlieren eine Schriftstellerin und ihre Familie auch nach einer Eigenbedarfsanmeldung der Vermieter ihre Wohnung. Die Filmemacherin Lola Randl zieht es in "Der große Garten" von Berlin in die Uckermark. Politisch sind Wohnungsnot und steigende Mietpreise vor allem in Städten natürlich auch ein großes Thema. Aber warum ist die Wohnungssuche als Künstlerin oder als Schriftsteller eine andere oder eine mit besonderen Ansprüchen? Sie erzählen ja auch von den Produktionsbedingungen Ihrer Arbeit.
Brandt: Es sind verschärfte Bedingungen. Mein Problem, eine Wohnung zu finden, bestand zum größten Teil darin, dass ich Schriftsteller bin, dass ich Freiberufler bin, dass ich nicht über ein regelmäßiges Einkommen verfüge und auf einen Markt geworfen wurde, auf dem ich mit doppelverdienenden Paaren konkurrieren musste und gar keine Chance hatte. Ich hatte das Gefühl irgendwann, aus dieser Stadt gekickt zu werden. Ich fühlte mich maximal unwillkommen. Und das ist natürlich dann, was auch in mir so eine Wut entfacht hat und wo das Schreiben das einzige Ventil war, damit umgehen zu können.
Manche Bücher müssen sich verkaufen
Zeh: Nun inszenieren sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Arbeit immer noch gern als marktfern, als Kunst, die eben höherem Verpflichtet ist als einem üppigen Vorschuss. Trotzdem schreiben Sie in Ihrem neuen Roman nun aber ziemlich offen über Geld, über Kontostände, über Mietpreise. Sie erzählen auch, dass ein Preisgeld einmal komplett für die Rückzahlung Ihres Bafög-Kredits draufging. Ändert sich gerade etwas an der Art und der Freizügigkeit, wie der man im Literaturbetrieb über Geld spricht?
Brandt: Ich glaube, das gehörte immer schon dazu. Unter den Schriftstellern schon immer darüber, wie hoch das Preisgeld ist oder die Mieten. Mietkosten sind immer Gesprächsthema, nicht nur in den letzten Jahren. Bei mir war es einfach nur so, ich habe irgendwann gemerkt, um überhaupt eine Wohnung zu bekommen, muss ich etwas schreiben, was tatsächlich marktgängiger ist. Ich muss irgendwie höhere Vorschüsse bekommen und ich hab dann auch tatsächlich ein Buch geschrieben, ein Weihnachtsbuch, und ohne dieses Buch hätte ich keinen Mietvertrag bekommen. Das ist einfach so. Plötzlich bekam ich dann Geld aufs Konto und ohne diesen Betrag hätte ich keine Wohnung gekriegt.
Nicht nur Künstler leben prekär
Zeh: Und hat es jetzt langfristig ihr Schreiben auch beeinflusst? Muss jedes zweite Buch so ein verkaufsförmiges sein?
Brandt: Der Druck ist gestiegen. Ich zahle ja inzwischen fast doppelt so viel Miete wie vorher. Um das wieder reinzukriegen, muss ich natürlich ganz anders kalkulieren. Und man darf nicht vergessen – ich meine, als Schriftsteller hat man das vielleicht ein bisschen stärker in der Hand. Aber wenn ich an alle anderen Leute denke in Berlin, die in prekären Lebensverhältnissen stecken, die ihr Einkommen nicht einfach so steigern können, dann muss ich sagen, bin ich ja trotzdem in einer unheimlich privilegierten Situation.
Zeh: Wenn man ihr Buch umdreht, findet man dort, wo eigentlich eine Rückseite normalerweise eine Rückseite ist, ein zweites Cover. "Ein Haus auf dem Land" lautet hier der Titel und dieses Haus steht in dem ostfriesischen Dort, in dem Sie aufgewachsen sind, in Ihrhove. Wie ist das zum Erzählanlass geworden?
Rettungsaktion für das Haus des Urgroßvaters
Brandt: Noch während ich auf Wohnungssuche war, sah ich eine Anzeige im Internet, dass dieses Haus meines Urgroßvaters zum Verkauf stand. Das war schon lange nicht mehr im Familienbesitz. Und als ich in Berlin so das Gefühl hatte, hier kann ich nicht mehr bleiben, habe ich kurz spekuliert, wie es wäre, wieder ein mein Heimatdorf zurückzuziehen – und dann eben auch nur in dieses Haus, weil das natürlich eine ganz besondere Bedeutung hat. Dann war ich aber trotzdem mit Einziehen, Umziehen, Renovierung beschäftigt. Ich hatte einfach keinen Kopf mehr dafür. Und dann sah ich aber irgendwann, dass das Haus an einen Bauunternehmer verkauft wurde, der das abreißen wollte. Das konnte ich nun so nicht stehen lassen. Dieses Gebäude ist 150 Jahre alt. Das wollte ich um jeden Preis retten. Und das hat natürlich dann so eine neue Wohnungssuche gewissermaßen entfacht.
Zeh: Mehr eine Finanzierungssuche war das ja dann. Sie waren entschlossen, dieses Haus zu kaufen und zu renovieren. Haben sich ja auch sehr ernsthaft um Finanzierungsmöglichkeiten bemüht. Und die Reaktionen auf ihr Engagement waren sehr unterschiedlich. Ihre Mutter zitieren sie einmal mit "Ach, das olle Haus". Als sie aber einen Facebookpost absetzten, zeigen sich vor allem ihre großstädtischen Freunde sehr empört und wollen sich auch engagieren. Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Reaktionen?
Brandt: Naja, ich glaube, dass meine Eltern oder meine Verwandten natürlich eher das Geld im Blick haben und Angst hatten, dass ich mich da finanziell ruinieren würde und dass ich mich ja eigentlich vorher auch nie an ein Haus auf dem Land habe binden wollen. Und meine Facebook-Freunde, die haben natürlich argumentiert, dass man so ein altes, schönes Haus auf keinen Fall abreißen dürfe, weil es natürlich dann auch die Lebensqualität auf dem Land oder der Charme dieser Dörfer, diese Ursprünglichkeit zerstört.
Die eigene Kindheit konservieren
Zeh: Aber eigentlich doch seltsam, dass der Charme dieses Dorfes Ihnen so am Herzen liegt, wo Sie doch gar nicht da wohnen.
Brandt: Naja, ich bin natürlich oft zu Besuch. Meine Eltern, meine Geschwister wohnen da ja noch. Natürlich steht das immer so ein bisschen in diesem Widerspruch, einerseits sich alle Freiheiten der Welt aufrechterhalten zu wollen und andererseits aber seine eigene Kindheit zu musealisieren. Und in dieser Gemengelage war ich natürlich auch bei dieser Rettung unterwegs. Ich wollte das irgendwie erhalten, auch natürlich für mich, aber auch für das Dorf an sich, weil ich das Gefühl hatte, die geben sich selbst auf, wenn sie ihre alten Häuser abreißen.
Zeh: Wenn Sie nach Ostfriesland reisen, haben Sie oft Rückkehr nach Reims im Gepäck, die autobiographische Erzählung des französischen Sozialphilosophen Didier Eribon. Auch er erzählt darin, wie er aus der Großstadt in die Provinz zurückkehrt, wo er aufgewachsen ist. Und dort, schreibt Eribon, er trifft auf sein "konserviertes wie negiertes Selbst". War das bei Ihnen auch so ein "konserviertes wie negiertes Selbst", das da den Charme dieses Dorfes erhalten wollte?
Brandt: Absolut! Das war natürlich eine Textstelle, wo ich mich total wiedererkennen konnte. Damals, als ich da weggezogen bin, mit Anfang 20, nach dem Abitur, da wollte ich das Dorf unbedingt hinter mir lassen. Ich sehnte mich nach nichts mehr als dem Leben in der Großstadt – ohne konkrete Vorstellungen davon zu haben. Und das alles, dieses Spießbürgerliche, Kleinbürgerliche, Vorgartentum, das wollte ich irgendwie zurücklassen. Natürlich war das absurd, weil – das trug ich natürlich trotzdem mit mir herum. Man kann das natürlich negieren, aber es ist trotzdem noch in einem. Und immer, wenn ich wieder zurückreise, alte Schulfreunde treffe, dann merke ich, es steckt doch noch etwas von mir da drin und ich kann das auch nicht vollkommen ablehnen.
Nostalgie lauert in der eigenen Erinnerung
Zeh: Beiden Teile Ihres Romans sind von Nostalgie geprägt. In Berlin schwelgen Sie in nostalgischen Erinnerungen an eine Vergangenheit, in der es noch keine Wohnungsknappheit gab, in Sie zu einer avantgardistischen Autorengruppe am Prenzlauer Berg zählten. Und in Ihrhove ist es die Erinnerung an eine Dorfgemeinschaft, die es so nicht mehr gibt. Hatten Sie an irgendwann mal Skrupel vor dieser Nostalgie? Oder die Sorge, einer rückwärtsgewandten Verklärung zu verfallen?
Brandt: Klar. Das ist immer das Problem. Nostalgie ist ja ein Raum, den man nie wieder betreten kann und gleichzeitig eben auch eine Verklärung eines Raumes, den es so nie gegeben hat. Und eine Rückkehr ist unmöglich, eben aus beiden Gründen. Und es besteht eben auch die Gefahr, seine Gegenwart dann zu schlecht zu machen und ja, in so ein großes Unglück zu stürzen. Ich wollte das auch nicht beschönigen. Ich wollte eigentlich nur die Prozesse aufzeigen, die zu dieser Veränderung geführt haben. Ich selber würde jetzt zum Beispiel in Berlin auch nicht mehr in solchen Wohnungen wohnen wollen, in denen ich 1998/99 oder 2000 gewohnt habe, mit Kohleofen und Klo auf halber Treppe und die Decke kommt runter. Sondern natürlich sind meine Ansprüche auch gestiegen, allein durchs Alter und auch damit einhergehend, eine gewisse Etablierung im Leben und dem Wunsch nach einem festen Ort, nach Zugehörigkeit.
Authentisches Memoir über gesellschaftliches Problem
Zeh: Sie haben gesagt, dass Sie keinen Roman geschrieben haben. Wie würden sie die Form denn bezeichnen?
Brandt: Ich sehe das als Memoir. Es ist schon sehr authentisch. Ich habe wirklich wenig verändert, weil ich das natürlich auch möglichst so genau schreiben wollte, wie es passiert ist. Und jede Veränderung, die ich machen musste, aus juristischen Gründen, um Persönlichkeitsrechte zu wahren, die war irgendwie schmerzhaft und fühlte sich falsch an. Aber es ging ja auch gleichzeitig nicht anders, weil ich natürlich auch Situationen beschreibe, Leute beschreibe, die ich eben nicht als Interviewpartner getroffen habe, wo ich nicht von vorne herein klar gemacht habe: Wir sprechen jetzt miteinander und das wird irgendwann sich niederschlagen in meinem Text. Sondern ich habe einfach Wohnungen besucht, ich habe mit Vermietern gesprochen, mit Eigentümern und irgendwann merkte ich, da kommt jetzt so viel zusammen und die Begegnungen sind teilweise so skurril, das lohnt sich aufzuschreiben, weil es eben auch ein gesellschaftliches Problem thematisiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassung wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jan Brandt: "Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt"
Dumont Verlag, Köln, 320 Seiten, 24 Euro