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Jan Christophersen: "Ein anständiger Mensch"
Der Knall bleibt aus

Jan Christophersen landete im Jahr 2009 mit seinem Debütroman "Schneetage" auf Anhieb einen Publikumserfolg. Sein neues Buch "Ein anständiger Mensch" erzählt von einem Intellektuellen, der in eine berufliche und persönliche Krise gerät. Von der Anlage her, hätte es ein interessanter Roman werden können.

Von Christoph Schröder | 20.08.2019
Buchcover: Jan Christophersen: „Ein anständiger Mensch“
Buchcover: Jan Christophersen: „Ein anständiger Mensch“ (Buchcover: Mare Verlag, Hintergrundfoto: Deutschlandradio Constanze Lehmann)
Steen Friis hat dem äußeren Anschein nach alles, was sich ein Mensch wünschen kann. Er ist ein erfolgreicher Autor von Büchern, die sich mit Fragen von Alltagsmoral und Wohlverhalten beschäftigen. Er hat eine attraktive und erfolgreiche Frau, und er leidet nicht unter Geldsorgen. Das hat vor allem damit zu tun, dass Steen eine prominente Position inne hat: Er gilt als der Anstandsonkel der Nation.
Wann immer ein gesellschaftlich-moralisches Problem zu kommentieren ist, wird Steen Friis gefragt. In Talkshows und Interviews äußert er sich zum Klimawandel, zu Fragen der Digitalisierung oder zu Verfehlungen von Politikern. Sobald ein moralisches Dilemma auftaucht, hat Friis Dienst und sagt brav im Fernsehen Sätze auf, die intelligent klingen und konsensfähig sind. Es ist eine gut gealterte Hippie-Version der medialen Allzweckwaffe Richard David Precht, den Jan Christophersen zum Protagonisten und Erzähler seines neuen Romans gemacht hat. Allerdings wird auch sehr schnell deutlich, dass Steen Friis sich in der klassischen Midlife Crisis befindet.
Wen interessiert das denn?
Seine Rolle im öffentlichen Diskurs und sein begrenztes Spektrum an Themen sind ihm zuwider geworden:
"Ich hatte einfach keine Lust mehr auf all das hier, diesen Eiertanz, nicht nur in diesem Moment sondern generell. Was redete ich da bloß über Anstand und Lebenkönnen und was weiß ich? Wen interessierte das denn? Mich nicht mehr. Wie mancher an Erdbeeren im Sommer oder Spargel im Frühjahr hatte ich mich an meinem Anstandsthema satt gegessen."
Steen besitzt ein kleines Haus auf einer abgelegenen dänischen Insel. Dorthin zieht er sich gewöhnlich zum Schreiben zurück. Nun erwartet er hier gemeinsam mit seiner Frau Frauke Besuch: Steens Verlagsvertreterin Ute legt mit ihrem neuen Freund Gero, einem Robert Redford-Typ mit Alphatiergehabe, mit dessen neuer Yacht auf der Insel an.
Von Beginn an legt Christophersen einen Tonfall des unheilvollen Raunens über das Geschehen. Noch vor der Ankunft von Gero und Ute, zu der Steen ein latent erotisches Verhältnis pflegt, ergreift ihn ein spontaner Fluchtreflex. Aber er geht diesem Fluchtreflex keineswegs nach.
Wochenende mit diversen Streitigkeiten
Ein Fehler, wie Steen im Nachhinein konstatiert. Denn von nun an reihen sich diverse Friktionen und Katastrophen aneinander: Ein ehemaliger Kommilitone fährt im "Spiegel" eine scharfe Attacke auf den Fernseh-Moralapostel Steen. Seine Frau Frauke fühlt sich von Geros Charme angezogen und erinnert ihren Ehemann an das Versprechen der sexuellen Freizügigkeit, das sie sich zu Beginn der Beziehung vor vielen Jahren gegeben haben.
Schließlich kulminiert das gemeinsame Wochenende nach diversen Streitigkeiten, Eifersuchtsanfällen und Mordfantasien in einem medizinischen Notfall der gravierenden Art, über den nicht zu viel verraten werden soll:
"Schmerzen überall, vor allem in der Bauchgegend, außerdem im Rücken und im Kopf. Ich krümmte mich zusammen, wollte es zumindest tun, konnte mich jedoch nicht einen Zentimeter rühren und stöhnte auf. Jemand rüttelte an meiner Schulter. Gelbe Jacke, ein Mann, der sich über mich beugte. ‚Hej‘, schrie er. ‚Hej, Steen. Stay with us.‘"
Umständliches Bürokratendeutsch
"Ein anständiger Mensch" hätte in seiner Anlage ein durchaus interessanter Roman über den inneren Konflikt eines Intellektuellen werden können. Ein Buch über die Frage, wie sich ein sich öffentlich stets hochmoralisch inszenierender Mann verhält, wenn er im privaten Kontext in seinem Selbstbild erschüttert wird. Eine Versuchsanordnung über einen Charakter, der berufsmäßig die Schuld der anderen beurteilt und nun selbst glaubt, sich schuldig gemacht zu haben. Oder vielleicht auch nur ein ironisches Spiel um die Viererbeziehung zweier alternder Paare.
Nichts von alldem ist Christophersen gelungen. Das liegt einzig und allein an seiner fehlkonstruierten Hauptfigur. Zum einen mag man nicht glauben, dass ein Mann, der in seinem Tonfall zwischen Pathos und umständlichem Bürokratendeutsch schwankt, erfolgreiche Bücher schreiben oder gar fernsehtaugliches Charisma entwickeln kann. Zum anderen ist Steens Gedankenwelt derart simpel gestaltet und angefüllt mit Klischees aller Art, dass es im gesamten Roman kaum einen originellen Gedanken gibt. Als Satire wiederum fehlt Christophersens Roman jegliche Komik.
Hand aus der Bauchtasche
Kurz gesagt: Steen Friis ist ein Langweiler, der uns Lesern auf langweilige Art und Weise eine eigentlich halbwegs interessante Geschichte erzählt. Umgekehrt wäre es attraktiver gewesen.
Die Ereignisse auf der Insel rekapituliert Steen Friis in einigem zeitlichen Abstand. Und kurz vor dem Ende des Romans kommt es Monate nach dem Inselwochenende noch einmal zu einer von Gero erzwungenen Begegnung zwischen den beiden Männern:
"‘Gero‘, sagte ich, ‚ich möchte mich von Herzen bei dir entschuldigen.‘ Es folgte eine lange Pause. Dann stand Gero auf und ging zur Tür. ‚Das wollte ich nur hören‘, sagte er. Er nahm auch die zweite Hand aus der Bauchtasche, zog damit die Tür auf, und ich hatte mich nicht geirrt: Es war eine Waffe, die er dabeihatte."
Wenigstens das ist Jan Christophersen hoch anzurechnen: Dass er nicht versucht, seinen ansonsten drögen Roman durch einen dramatischen Showdown aufzupeppen. Die Waffe bleibt in der Tasche. Der Knall bleibt aus. Die Freude an der Lektüre allerdings auch.
Jan Christophersen: "Ein anständiger Mensch"
mareverlag, Hamburg. 350 Seiten, 24 Euro.