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Jazzmusiker Billy Strayhorn
Er tänzelte und swingte, wenn er den Raum betrat

Billy Strayhorn war fast drei Jahrzehnte lang der engste Mitarbeiter Duke Ellingtons. Erst jüngste Forschungen klärten: Hunderte von Kompositionen und Arrangements – auch solche, die Ellington mit seinem Namen signierte – stammten entweder von beiden oder von Billy Strayhorn allein. Am 29. November 1915, vor hundert Jahren, wurde der Pianist in Dayton/Ohio geboren.

Von Karl Lippegaus | 29.11.2015
    Ein Bild aus dem Jahr 1947 zeigt den US-Jazzkomponisten und Pianisten Duke Ellington (l) bei der Arbeit mit dem Komponisten und Pianisten Billy Strayhorn (r) und dem Komponisten John La Touche (m) in New York City.
    Billy Strayhorn stand nicht ganz unfreiwillig im Schatten von Pianist und Komponist Duke Ellington: Strayhorn ist aber wahrer Urheber vieler seiner Stücke. (INP / AFP)
    Schon mit 18 Jahren schrieb Billy Strayhorn seinen berühmtesten Song, "Lush Life", über einen jungen Mann, der von seinem Liebhaber verlassen wurde. Und der nun erwartet, irgendwo abzutauchen. Niemand würde vermuten, dass es sich bei der raffinierten Konstruktion um die Arbeit eines Teenagers handelte. Ein Freund stellte das junge Talent 1938 Duke Ellington vor. Sie wurden das ungleichste Paar des Jazz.
    "Etwas veränderte sich, als ich ihn auf der Bühne erlebte. Er spielte einen Akkord, den ich noch nie entdeckt hatte, habe ihn auch seitdem nie mehr gehört. Ich konnte nicht rauskriegen was das war. Nach dieser Show im Penn Theatre in Pittsburgh ging ich nach Hause und versuchte, es herauszufinden, aber es gelang mir nicht. Es war wie ein Wunder."
    Im Handumdrehen assimilierte der hochtalentierte Pianist Billy Strayhorn den Stil Duke Ellingtons. "Take the A-Train", das Anfang der 40er-Jahre die neue Erkennungsmelodie des Orchesters wurde: Strayhorn brachte es so mühelos zu Papier wie einen Brief an einen Freund.
    "Wenn ich an einem Stück arbeite, will ich nicht darüber nachdenken, ob es gut oder schlecht ist. Es ist nur ein Stück. Und ich muss damit arbeiten. Es geht nicht um gut oder schlecht."
    Ellington öffnete Billy die Türen in die Jazz-Szene, pries ihn in vielen Interviews und entlohnte ihn großzügig. Sein Schützling dachte sich lange nichts dabei, dass Duke seinen Namen auch bei Stücken, die Billy ganz allein geschrieben hatte, dazusetzen ließ. Oder Songs von Strayhorn als seine eigenen deklarierte.
    Die Familie Ellingtons nahm ihn sofort wie einen Sohn bei sich auf. Alle liebten den gebildeten jungen Mann, der so charmant wirkte. Er tänzelte, er swingte, wenn er den Raum betrat. Anders als Ellington fielen Billy eingängige Melodien zu Dutzenden ein. "Er hatte alles, was Duke besaß und noch mehr", urteilte der Posaunist Juan Tizol. Sein Favorit unter den großen Solisten in Ellingtons Bigband wurde der Altsaxofonist Johnny Hodges.
    Schon früh viele Tiefen im Leben
    Billy tat sich schwer damit, Freundschaften zu schließen. Die Leute nannten ihn einen "Schwuli", "a sissy". Er ging durch viele Tiefen in seinem Leben; mit Rachitis war er zur Welt gekommen am 29. November 1915 in Dayton/Ohio. Nur der fürsorglichen Pflege seiner Mutter, die schon zwei Kinder verloren hatte, war es zu verdanken, dass der Junge am Leben blieb. Die Hänseleien und der Rassismus hatten schon in der Schule begonnen. Doch nichts konnte Billy aufhalten, wenn er am Klavier sein ganzes Gefühl in einen neuen Song legte; oft in dunklen Farben malend.
    "Ich hatte nie ernsthaft daran gedacht, Karriere in der Musik zu machen."
    Er gab nie vor, ein Hetero zu sein, was für die 30er- und 40er-Jahre höchst ungewöhnlich war, nicht zuletzt in der Männerwelt des Jazz. Ellington war es völlig egal, dass Billy schwul war; aber er kontrollierte ihn so, wie er die vielen Frauen in seinem Leben dominierte.
    Billys Lieblingszeit war um Mitternacht, er nannte sie "halfway to dawn", auf halbem Wege zur Dämmerung. Die ideale Zeit für einen scheuen jungen Künstler, der sein Leben im Schatten anderer verbrachte.
    1964 wurde bei dem Kettenraucher Krebs diagnostiziert. Trotzdem trank er weiter viel Alkohol. Im Juni 1965 gab er sein erstes und einziges Solo-Konzert, an der New York School of Music. Das Ende kam am Morgen des 31. Mai 1967.
    Tief bewegt saß Ellington ganz allein bei der Trauerfeier in der ersten Reihe und starrte ins Leere. In seiner Autobiografie schreibt er:
    "Billy Strayhorn war mein rechter Arm, mein linker Arm, alle Augen auf der Rückseite meines Kopfes, meine Gehirnwellen in seinem Kopf und seine in meinem."