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Jean-Claude Juncker
Abschied aus Brüssel, aber nicht von der Politik

Zum 1. Dezember 2019 räumt der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sein Büro in Brüssel. Vieles habe er in seiner fünfjährigen Amtszeit erreicht, darunter den Aufbau eines europäischen Solidarkorps für schnelle humanitäre Hilfe. Doch es gibt auch Versäumnisse, sagt er rückblickend.

Von Stephan Ueberbach | 06.11.2019
Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Europaparlament in Straßburg seine Abschiedsrede gehalten.
Er werde nicht in der Versenkung verschwinden, sagt der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (dpa/Philipp von Ditfurth)
Der 13. Stock, im Brüsseler Berlaymont. Das große Büro in der Chefetage der europäischen Regierungszentrale bietet einen grandiosen Blick über die belgische Hauptstadt. Fünf Jahre lang hat Jean-Claude Juncker hier gearbeitet. Jetzt ist der noch amtierende Präsident der EU-Kommission dabei, die Bücherregale auszuräumen. Und Platz zu machen für seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen. Die, wenn alles nach Plan läuft, am 1. Dezember die Regierungsgeschäfte in Europa übernimmt.
"Abschied tut immer ein bisschen weh, aber der Abschied bringt mich nicht um."
Die zurückliegenden Jahre waren äußerst intensiv. Das Griechenland-Drama, die Flüchtlingspolitik, Handelskonflikte und dann auch noch der Brexit. Die EU im permanenten Krisenmodus. Und der Chef der Europäischen Kommission mittendrin. Angewiesen auf Unterstützung. Zum Beispiel aus Berlin. Auf die deutsche Bundeskanzlerin lässt Juncker nichts kommen. Angela Merkel nennt er eine wertvolle Begleiterin, die ihn nie im Stich gelassen hat.
"Sie war doch in den letzten fünf Jahren Hilfe, Stütze und Antreiberin."
"Es ging ja um Europa"
Zum Beispiel beim Brexit. Eine reine Zeit- und Energieverschwendung, wie Juncker findet. Was hätte er in den letzten anderthalb Jahren stattdessen nicht alles machen können! Sich selbst wirft er vor, dass er beim Austritts-Referendum 2016 der Bitte des damaligen britischen Premiers David Cameron gefolgt ist und sich nicht eingemischt hat, um den offensichtlichen Lügen der Brexit-Kampagne zu widersprechen.
"Es ging ja um Europa, es ging ja nicht nur um Großbritannien, ich hätte jeden Grund der Welt gehabt."
In den aktuellen Wahlkampf in Großbritannien sollte sich die EU-Kommission aber nicht einschalten, findet Jean-Claude Juncker. Erstens, weil es bei der Wahl um mehr geht als nur den Brexit. Und weil zweitens ein Brüsseler Engagement womöglich ganz andere Folgen haben könnte als erhofft. Mit Blick auf die aktuelle politische Situation in Deutschland findet der scheidende Kommissionspräsident dagegen klare Worte. Einen Grund für übermäßige Besorgnis sieht er trotz der Wahlerfolge der AfD oder der jüngsten rechtsextremen Gewalttaten wie etwa in Halle zwar nicht. Allerdings warnt er die klassischen Parteien wie die Union oder die SPD davor, populistische Positionen zu übernehmen.
"Dieses dumpfe Grundgefühl wird auch transportiert von manchen in den deutschen Volksparteien. Das halte ich nicht für gut. Populismus muss man sich in den Weg stellen. Wählern darf man nicht nachlaufen, sonst sieht man sie nur von hinten. Europa ist Sache der Überzeugung, nicht des Nachplapperns."
Europaparlament in Brüssel (Brüssel), Belgien. Die EU-Parlamentarier tagen im Wechsel in Brüssel und in Strassburg(Straßburg). Foto:Winfried Rothermel *** European Parliament in Brussels Brussels Belgium EU parliamentarians meet alternately in Brussels and Strasbourg Strasbourg Photo Winfried Rothermel
Er könne nicht verstehen, dass es bisher keine Einigung zur Abschaffung der Zeitumstellung gebe, sagt der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (www.imago-images.de)
Einiges ist gut gelaufen, in den letzten 5 Jahren, sagt Jean-Claude Juncker. Die Finanzkrise: weitgehend gemeistert. Griechenland: im Euro gehalten. Der größte Erfolg: Der Aufbau eines europäischen Solidarkorps für schnelle humanitäre Hilfe, worüber leider kaum einer berichtet, wie der Kommissionschef beklagt. Anderes ist liegengeblieben, oder kommt nicht vom Fleck. Die europäische Flüchtlingspolitik. Die Bankenunion. Oder das versprochene Ende der Zeitumstellung. Dass sich die EU darauf bisher nicht verständigen konnte, ist für Juncker ein Rätsel.
"Ich komme aus dem Staunen nicht raus. Ich habe vorgeschlagen, dass man die Zeitumstellung abschafft. Weil ich weiß aus Gesprächen mit vielen Menschen - auch mit vielen Kühen -, dass das ein Problem darstellt. Und das wollte ich abschaffen."
"Ich werde nicht in der Versenkung verschwinden"
Jetzt wird sich wohl Ursula von der Leyen mit ihrem Team darum kümmern müssen. Und was macht Jean-Claude Juncker ab dem 1. Dezember? Über seine konkreten Zukunftspläne hüllt er sich zwar in Schweigen, eines aber steht für ihn fest: Auch als Polit-Pensionär wird er nicht einfach so in den Tag hineinleben.
"Ich werde nicht in der Versenkung verschwinden. Ich bleibe Teil der politischen Landschaft."