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"Jedem ist heute klar, dass er die Stadt verändern kann"

Den "Urban Hacktivists" ist weniger an der künstlerischen Dekoration von Häuserwänden gelegen, als an urbanistischen Fragen. Sie wollen die Stadt zu einem vergnüglicheren, freieren und vor allem weniger langweiligen Ort machen.

Florian Rivière im Gespräch mit Tanja Runow | 13.08.2012
    Tanja Runow hat Florian Rivière – wie es sich gehört - am Straßenrand getroffen und ihn erstmal um eine Selbstdefinition gebeten.

    Florian Rivière: Ein "Urban Hacktivist” ist eine Mischung aus einem politischen Aktivisten, der im öffentlichen Raum agiert, und jemandem, der der Hackerkultur nahesteht. Denn "hacken” bedeutet ja nichts anderes, als etwas zu manipulieren, abzuwandeln. Und ich bastele etwas aus Dingen, die ich auf der Straße finde: Möbel, Spiele, Fallen. Um mich zu amüsieren, Freiräume zu schaffen. Und um eine Stadt zu entwickeln, die nicht von Eliten gemacht ist, sondern von den Bewohnern selbst. Zu ihrem eigenen Wohl.

    Tanja Runow: Dann kommen Sie also in eine Stadt, wie jetzt zum Beispiel nach Berlin. Und wie fangen Sie dann an?

    Florian Rivière: Ich habe eine besondere Methode, die ich die "Drei Ds" nenne: Es fängt an mit der "Dérive". Das bedeutet: Ich schaue mir verschiedene Straßen und Viertel der Stadt auf einer Karte an. Danach weiß ich ungefähr, welche Gegebenheiten ich dort vorfinde. Und sehe auch schon, was die Anwohner vielleicht für Bedürfnisse haben könnten. Weil es in einer Gegend keine Spielplätze gibt, zum Beispiel. Dann schaue ich mir das Ganze vor Ort an. Und da kommt das zweite D ins Spiel, das "Détournement". Da geht es darum, das städtische Inventar zu finden, mit dem man arbeiten möchte. Mir sind dabei Dinge am liebsten, die sehr verbreitet sind. Weil es dann jeder einfach nachmachen kann. Wie bei den orangenen Mülltonnen in Berlin zum Beispiel. Die habe ich umgedreht und sie zu Sitzgelegenheiten umfunktioniert. Und der dritte Aspekt ist das "Do-it-yourself". Ich kaufe nichts dazu und arbeite wirklich nur mit dem, was ich finde. Also: Dérive, Détournement, Do-it-yourself. So gehe ich vor.

    Tanja Runow: Diese Begriffe, "Dérive", "Détournement", die kennt man ja eigentlich von den Situationisten, einer linken intellektuellen Gruppe, die in den 60ern in Frankreich aktiv war ...

    Florian Rivière: Ja, genau. Das ist von den Situationisten und speziell von Guy Debord inspiriert. Da geht es vor allem darum, den Raum anders wahrzunehmen, aufmerksamer und mit mehr Abenteuerlust. Eine andere Sache, die mir an den Situationisten gefällt, ist ihre Konsumkritik. Und ihre Vorstellung von der persönlichen Entwicklung des Einzelnen. Ich glaube zum Beispiel auch nicht daran, dass man durch materielle Dinge weiterkommt. Aber vielleicht schon durch die Erfahrungen, die man macht. Diese Vorstellung ist für meine Arbeit ebenfalls sehr wichtig.

    Tanja Runow: Wenn wir mal über konkrete Projekte von Ihnen sprechen: Es gibt zum Beispiel eine Reihe unter dem Titel "urban wild furniture". Das sind quasi unkonventionelle Möbel für den Stadtraum. In Paris haben Sie zum Beispiel eine Obstpalette in so ein Gitter gehängt, mit dem manchmal Straßenbäume eingefasst sind, haben da Bücher reingestellt und das zur öffentlichen Tauschbibliothek erklärt. Das ist witzig aber natürlich nicht superpraktisch, denn mit dem ersten Regen sind die Bücher hin.

    Florian Rivière: Es ist etwas komplexer. Natürlich hält so ein Ding nicht lange. Es geht mir aber auch eher darum, ein Bewusstsein zu schaffen. Wenn die Leute erstmal darauf kommen, wie genial so eine Straßenbibliothek ist, vielleicht haben sie dann auch Ideen, wie man es besser machen könnte. Alles, was ich mache, ist handwerklich gesehen Mist. Worum es mir geht, ist die Idee dahinter.

    Tanja Runow: Und mittlerweile gibt es diese Straßenbibliotheken ja in vielen Städten.

    Florian Rivière: Es gab sie auch schon vorher, ich habe sie selber gesehen, in einem Park in Moskau zum Beispiel. Mir geht es aber darum, dass die Leute nicht darauf warten, dass ihnen die Stadt sowas vor die Tür setzt. Ich glaube, dass diese Initiative von Bürgern, mit einfachsten Mitteln, so etwas selbst zu machen, eine noch viel größere Wirkung entfalten kann.

    Tanja Runow: Haben Sie denn eigentlich ihr Equipment immer dabei, damit Sie jederzeit loslegen können?

    Florian Rivière: Ja! Ich kann natürlich auch mit meinen bloßen Händen arbeiten. Aber um es effizienter zu machen, habe ich immer Klebeband, Bindfaden, eine Zange und eine Klappsäge dabei. Und eine Flasche Wasser. Das ist meine Grundausrüstung. Ein bisschen wie bei MacGyver. Wichtig ist aber auch noch zu sagen, dass ich nichts kaputt mache. Wenn ich einen Abfalleimer ummontiere oder eine Bank auseinanderschraube, komme ich nie in Konflikt mit der Polizei, weil ich alles sofort wieder rückgängig machen kann. Für mich ist der Moment wichtig, das Foto, die Verbreitung der Idee - auf der Straße oder im Internet.

    Tanja Runow: Das heißt, Sie sind ein Tagarbeiter. Und ziehen nicht nachts um die Häuser wie Ihre Sprayerkollegen zum Beispiel.

    Florian Rivière: Nein, ich bin ausschließlich tagsüber aktiv. Auch, weil ich Leuten begegnen will. Die Fotos nur ins Netz zu stellen, das würde mir nicht reichen. Wenn ich auf der Straße etwas installiere, möchte ich auch mit den Leuten darüber reden, die vorbei kommen, die das sehen. Dass man darüber diskutiert, sich austauscht, das ist auch essenziell.

    Tanja Runow: Von 2008 bis 2012 waren Sie Teil einer Gruppe, der "Démocratie Créative” in Straßburg. Waren das die Anfänge Ihrer urbanen Interventionen?

    Florian Rivière: Man muss dazu sagen: Ich habe eine Handelsschule besucht. Aber ich habe es gehasst. Also ließ ich das hinter mir. Und begann gleichzeitig, mich der Stadt zuzuwenden, um mich etwas aufzumuntern. Es ging los mit dem, was man heute "Streetart" nennt. Collagen, Wandbilder. Und es fanden sich ein paar Leute zusammen, die Kunst und Aktionen im öffentlichen Raum machten. Vier Jahre lang war das meine Schule. 2011 habe ich beschlossen, dass ich etwas Neues machen will und aufgehört. Zum März habe ich meine Wohnung gekündigt, meinen Rucksack gepackt und reise seitdem umher. Dahin, wo man mich einlädt, auf Festivals, zu Workshops. Damit verdiene ich jetzt meinen Lebensunterhalt. Ich bin ja noch jung und habe Lust, diese materiellen Bande hinter mir zu lassen. Außerdem suche ich Inspiration in neuen Städten, denn jeder Ort bringt ja andere Gegebenheiten mit sich und weckt neue Ideen. Im Winter plane ich dann, verstärkt zu schreiben. Konzepte für Bücher zu urbanen Themen zum Beispiel, die ich gerne herausgeben würde. Wenn es kalt ist, ist das Draußenarbeiten ja ziemlich beschwerlich.

    Tanja Runow: Seit vielen Jahrzehnten hat es immer wieder Initiativen gegeben, den Stadtraum zurückzuerobern. Die Situationisten hatten wir schon genannt, die Skater schreiben sich das auch auf die Fahnen, die Graffiti-Artists, die Parcours-Bewegung. In den letzten Jahren wurde das Straßenbild in den Städten tatsächlich sehr davon geprägt. Wenn man sich anschaut, wie die Streetart sich zum Beispiel entwickelt hat. Oder wie "Urban Gardening" zum Massenphänomen geworden ist. Glauben Sie, wir sind der Utopie von der "Stadt als Spielplatz” näher gekommen?

    Florian Rivière: Ich glaube, das verhält sich wie mit Ying und Yang: Weil man uns im Stadtraum immer mehr verbietet, haben wir das Bedürfnis entwickelt, immer mehr zu machen. Die Überwachung und die vielen Vorschriften in manchen Städten führen dazu, dass automatisch eine Gegenbewegung entsteht. Und außerdem findet eine Weiterentwicklung statt. Jedem ist heute klar, dass er die Stadt verändern kann. Und mit der Zeit werden immer neue Praktiken dazu kommen. Es ist eine Demokratisierung, die wir da erleben. Dinge, die aus einem künstlerischen Mikrokosmos gekommen sind, werden plötzlich von breiten Gesellschaftsschichten ausprobiert. Problematisch wird es nur dann, wenn die Konsumwelt sich das wieder einverleibt, wie bei den Skatern und ihren Markenklamotten. Vielleicht gibt es das demnächst auch bei "Urban Hacktivists", alles verwandelt sich ja irgendwann in ein T-Shirt. Aber eine echte Revolution ist es trotzdem!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Gesprächsinfos:
    Der "Urban Hacktivist" Florian Rivière ist 26 Jahre alt. Tanja Runow hat im Rahmen des Paypublik-Festivals in Berlin getroffen, welches am Sonntag endete.

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