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"Jeder hat sein Fett abbekommen"

Der frühere WDR-Intendant und Moderator des "Bericht aus Bonn", Friedrich Nowottny, sieht die jüngste Diskussion um das angeblich schwierige Verhältnis von Politikern und Journalisten als Zeichen der Zeit. Früher sei man sich mit mehr Gelassenheit und Respekt begegnet. Weniger abschreiben, dafür mehr Fakten, empfiehlt er gleichsam den Journalisten.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Sozialdemokraten hadern mit den Medien. Erst war Gerhard Schröder in den ersten Regierungsjahren unter rot/grün Medienliebling; dann fühlte er sich unfair behandelt. Am Wahlabend 2005 platzte ihm bekanntlich der Kragen. Ähnliches durchlebt offenbar Kurt Beck im Augenblick. Auf einer Sommertour soll er den Medien einen Vernichtungsfeldzug vorgeworfen haben. Gestern legte bei uns im Deutschlandfunk Parteifreund Wolfgang Thierse nach und sprach von "Rudeljournalismus". Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten; manchmal wirft man den Presseleuten Kumpanei vor, aber manchmal kracht es eben gewaltig.
    Am Telefon begrüße ich Friedrich Nowottny, ehedem Intendant des WDR und lange Jahre Moderator des "Berichts aus Bonn". Guten Morgen Herr Nowottny.

    Friedrich Nowottny: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Haben Sie auch mal Ihr Fett abgekriegt von einem Politiker?

    Nowottny: Jeder hat sein Fett abbekommen. Die Bundeskanzler hatten ein unterschiedlich gutes oder schlechtes oder gespanntes oder entspanntes Verhältnis zu den Journalisten in Bonn, und manchmal hatten sie Grund dazu, meistens nicht.

    Meurer: Wer hatte denn das gespannteste Verhältnis von unseren Bundeskanzlern zur Presse?

    Nowottny: Wenn ich das einmal so überschlage würde ich sagen, das gespannteste Verhältnis hatte Ludwig Erhard in der Folge von Konrad Adenauer, der ungeliebte Nachfolger des Gründungskanzlers der Bundesrepublik. Ein gespanntes Verhältnis hatte Helmut Kohl zu den Journalisten und auch, in der letzten Phase seiner Amtszeit, Gerhard Schröder.

    Meurer: Was trifft denn, Herr Nowottny, Politiker am meisten? Wenn ihnen Journalisten sozusagen machtpolitisch in die Quere kommen wie bei der "Spiegel"-Affäre – damals musste immerhin der Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß zurücktreten -, oder ärgert es sie mehr, wenn sie zum Beispiel verspottet und durch den Kakao gezogen werden?

    Nowottny: Für das, was Journalisten für Humor halten, haben die Politiker meistens keinen Sinn – es sei denn, es gibt eine gelungene Karikatur in Gemeinschaft mit der Umgebung zu belachen. Aber ansonsten halten sie das, was die Journalisten von sich geben, zumeist als unzutreffend, Informationen aus vierter Hand und so weiter und so weiter. Journalisten leben immer auch davon, was sie tatsächlich erfahren von denen, die Politik machen, von den Abgeordneten, von den Parteifreunden und aus der Umgebung des Kanzlers selbst.

    Meurer: Nun sagt ja Wolfgang Thierse, es gebe einen "Rudeljournalismus". Damit meint er, dass einige vermeintlich irgendwas wissen und dann das ganze Rudel einfach abschreibt. Ist da was dran?

    Nowottny: Ach Herr Meurer, da ist natürlich etwas dran. Journalisten erfinden ja nicht jeden Tag die Politik neu, sondern sie leben auch davon, was möglicherweise einer, der rein zufällig ganz nahe dabei war oder ganz nahe dran war, schreibt, vorgibt und die bauen dann die Geschichten aus. Es gibt natürlich auch unter den Journalisten diejenigen, die die Meinung bestimmen. In früheren Jahren war es ganz ohne Frage der "Spiegel"; heute ist er es nicht mehr. Heute in diesem Riesenangebot von Berlin, im politischen und journalistischen Angebot, pickt sich jeder jene Goldkörner heraus, wo er glaubt, dass aus ihnen ein Goldbarren werden wird – und zwar auf beiden Seiten, Politik und Medien.

    Meurer: Er pickt sich etwas heraus oder er bläst Banalitäten auf?

    Nowottny: Kann man auch sagen, ja. Die Meute greift es gerne auf oder das Rudel, wie der Vizepräsident des Bundestages, Herr Thierse, in seiner bemerkenswert kritischen Art immer wieder gerne von sich gibt. Also gut: damit müssen Journalisten leben. Die sollten nicht so empfindlich sein wie Politiker. Wenn ich daran denke, was Helmut Kohl alles in seinen 16 Amtsjahren erlitten hat, dann könnte Kurt Beck mit ruhiger Gelassenheit oder, wie der Sprecher der SPD, Lothar Schwarz, früher immer gesagt hat, mit fassungsloser Gelassenheit ertragen, was da über ihn kommt. Denn Helmut Kohl – Herr Meurer, Sie werden sich erinnern – wurde in den Jahren, in denen er auf dem Weg nach Bonn und nachdem er in Bonn angekommen war, verspottet. Er war die Birne der Nation. Er wurde von den Karikaturisten bis zum geht-nicht-mehr in den Fruchtkorb gelegt. Also was Beck passiert und was er so überbewertet, wie ich finde, ist nichts anderes als Ausdruck seiner eigenen Unsicherheit. Er könnte sich sie sparen.

    Meurer: Also Sie meinen nicht, dass er unfair von den Journalisten behandelt wird? In den letzten Tagen hat er vor der Fraktion gesagt "ich klebe nicht an meinem Sitz" und das wurde dann interpretiert als Rücktrittsdrohung. Dann lässt Beck oder Freunde von ihm sagen, das ist eine furchtbar falsche Interpretation von uns Journalisten.

    Nowottny: Herr Meurer, die Interpretation der Journalisten ist eine Sache. Ich möchte doch darauf hinweisen – und Sie wissen das genauso wie es viele andere, die aktiv im politischen Leben stehen, auch wissen. Alle Bundeskanzler, die gescheitert sind, am Ende zumeist einer erfolgreichen Amtszeit, sind an ihrer eigenen Klientel gescheitert, an der eigenen Partei. Die eigene Partei hat Konrad Adenauer aufs Altenteil geprügelt. Die eigene Partei hat Ludwig Erhard verprügelt. Bei Kiesinger war es etwas anders; da war es die Große Koalition und der Regierungswechsel. Helmut Schmidt scheiterte in seiner eigenen Partei mit der Nachrüstung und Helmut Kohl hat ihn beerbt in einem konstruktiven Misstrauensvotum. Na also! Gerhard Schröder hat sich als Medienkanzler geriert. Und wer ist Medienkanzler? Medienkanzlerin dieser Tage ist Angela Merkel, die mit unglaublicher Souveränität die Medien händelt, mit einem gewissen Abstand und mit Sensibilität im Zugriff auf die Medien. Also, wir sollten uns da nichts vormachen.

    Meurer: Die auch einmal verspottet worden ist wegen ihrer Kleidung oder wegen ihrer Frisur.

    Nowottny: Ja, genau. Aus dem Mädchen von Helmut Kohl ist eine der stärksten Kanzlerinnen unserer Tage geworden.

    Meurer: Würden Sie, Herr Nowottny, bestreiten, dass die Journalisten früher – und mit früher meine ich die, ich sage mal, 60er, 70er Jahre – doch respektvoller mit Politikern umgingen?

    Nowottny: Das war ohne Zweifel so. In den Gründungsjahren der Republik war das Verhältnis Kanzler, Parteien, Parteipolitiker von einem gewissen gegenseitigen Respekt geprägt. Was heißt gegenseitig? – Die Journalisten hatten Respekt vor dem jeweiligen Kanzler, und zwar mehr als heute.
    Ich muss sagen, als ich nach Bonn kam in der Zeit der Großen Koalition, habe ich festgestellt, dass noch immer bei den altvorderen Journalisten, die wir als solche empfanden, bei den alten Männern der damaligen Zeit, die auch schon in der Nazi-Zeit Journalisten waren, der Drang vorherrschte, dass man den jeweiligen Bundeskanzler beraten sollte. Konrad Adenauer ließ sie gewähren. Er lud sie zum Tee ein und tat so, als wenn er zuhören würde. Zugehört hat er möglicherweise, aber sich daran gehalten hat er sich natürlich nicht.
    Bei Ludwig Erhard war das anders. Der umgab sich mit seinem intellektuellen Zirkel von Nachdenkern, die ihm die formierte Gesellschaft aufgeschwatzt haben als Begriff ohne Inhalt. Und so ging das dann weiter. In der Großen Koalition bröckelte die Beziehung Kanzler, Kanzleramt, Journalisten etwas. Dann gab es Willy Brandt, der zu Journalisten ein ganz entspanntes Verhältnis hatte. Helmut Schmidt haben Sie ja schon vorgeführt. Der war so wie er war. Der hat die Journalisten als Wegelagerer empfunden und als Wadenbeißer. Und bei Helmut Kohl: der hat schlicht und einfach mit den Journalisten das getan, was er mit allen anderen auch getan hat.

    Meurer: Er hat sie weggebürstet!

    Nowottny: Da galt das Freund-Feind-Verhältnis und er ließ einfach die Journalisten ganz weit von seinem Amt entfernt halten und an der langen Leine laufen. Gerhard Schröder – wie gesagt Medienkanzler – hat sich selbst empfunden und beklagte hinterher, dass die Medien ihm in die Suppe gespuckt haben. Sie kennen die ganze Geschichte. Angela Merkel hat noch nicht ihr Urteil über die Journalisten abgegeben.

    Meurer: Wenn Sie Kurt Beck mehr Gelassenheit empfehlen, was empfehlen Sie uns Journalisten heute?

    Nowottny: Etwas mehr Präzision im Umgang mit den Fakten. Das Berliner Journalistenleben hat nichts mehr mit den Journalistenjahren in Bonn zu tun. Die Kolleginnen und Kollegen dort stehen unter ungeheuerem Druck, der sich aus der Konkurrenz auch der neuen Medien ergibt – und damit meine ich nicht etwa das Fernsehen, sondern das Internet und die Seiten, die dort abrufbar sind, die die Zeitungen und Nachrichtenmagazine reinstellen. Fakten scheinen nicht mehr die große Rolle zu spielen. Mich ärgert jedes Mal, wenn ich in Nachrichtensendungen – und ich höre sehr viel Nachrichten tagsüber – verfolgen kann, wie aus 30 Millionen in den 7-Uhr-Nachrichten drei Milliarden in den Mittagsnachrichten werden. Der kleine Unterschied sollte mehr beachtet werden - in der Politik, und in der Politikberichterstattung ganz allgemein.

    Meurer: Friedrich Nowottny, der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks und Moderator des "Berichts aus Bonn", zum schwierigen Verhältnis von Politik und Presse. Herr Nowottny, herzlichen Dank und auf Wiederhören!

    Nowottny: Ich danke Ihnen.