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"Jeder Investor muss die Belegschaften mitnehmen"

"Es kann keiner verlangen, dass wir den Abbau von Personal in Bochum subventionieren", sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Er kämpft für den Erhalt von Arbeitsplätzen und appelliert an die Investoren, die Belegschaft einzubinden. Denn: Nur mit motivierten Beschäftigten habe der Konzern eine Zukunft.

Jürgen Rüttgers im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.05.2009
    Jasper Barenberg: Die Entscheidung über die Zukunft von Opel, am Ende wird sie in den USA fallen, in Detroit beim Mutterkonzern General Motors, bei der US-Regierung in Washington, an deren Tropf General Motors ja hängt. Und die Zeit drängt. Schon in den nächsten Tagen könnte GM gezwungen sein, Insolvenz anzumelden. Deshalb will die Bundesregierung vorher die Weichen stellen, um Opel zu retten. Noch heute Abend wollen sich alle Beteiligten bei einem Treffen im Kanzleramt auf einen Favoriten unter den Interessenten einigen.
    Als Favorit unter den Bietern gilt seit einigen Tagen der Autozulieferer Magna. Für Magna haben sich nicht nur die SPD und die Gewerkschaften ausgesprochen, sondern auch drei von vier CDU-Ministerpräsidenten mit Opel-Standorten in ihren Ländern. Als einziger sein Veto eingelegt hat der Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, und der ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Jürgen Rüttgers.

    Jürgen Rüttgers: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Rüttgers, werden Sie sich auch bei dem Treffen heute Abend im Kanzleramt gegen einen Zuschlag für Magna aussprechen?

    Rüttgers: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Ich habe klare Kriterien, nach denen sich Nordrhein-Westfalen entscheiden wird. Das erste Kriterium ist: wir brauchen eine Lösung, die mittel- und langfristig auch betriebswirtschaftlich tragfähig ist. Wir Nordrhein-Westfalen wollen keinen Einstieg des Staates in ein Industrieunternehmen - der Staat ist nicht der bessere Unternehmer -, aber wir wollen, dass Opel langfristig eine Chance bekommt, und dann muss man sehen, wer das beste Konzept hat. Sie haben ja mitbekommen, dass in den letzten Tagen nach der ersten Sichtung der Angebote sowohl von Magna wie von Fiat wie von Ripplewood noch erhebliche Nachbesserungen vorgenommen worden sind. Sie haben selber gerade darauf hingewiesen, dass die Frage der Insolvenz des amerikanischen Mutterkonzerns ansteht. Sie wissen, dass seit meinem Besuch in Detroit im vergangenen Februar klar ist, dass wir Regelungen brauchen für die Patente, für die Markenrechte, für das intellektuelle Eigentum, was notwendig ist, um weiter Opel-Autos in Deutschland und Europa zu bauen. Deshalb brauchen wir die Zustimmung der amerikanischen Regierung; da liegen die nämlich, die sind verpfändet. Ich glaube, dass eines der wichtigsten Kriterien sein wird, wie es gelingt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Opel einzubeziehen. Jeder Investor muss die Belegschaften mitnehmen, weil nur mit motivierten Arbeitnehmern ein Unternehmen wie Opel auch eine Zukunft hat.

    Barenberg: Und die Mitarbeiter, sie sprechen sich ja eindeutig für das Konzept von Magna aus. Warum können sie keine Präferenz?

    Rüttgers: Na ja, das stimmt nicht. Es gibt eine Präferenz bei den Mitarbeitervertretungen, den Betriebsräten in den Werken, wo kein massiver Personalabbau stattfindet. Das sieht hier in Bochum anders aus. Wir finden es unfair, dass bei einer Restrukturierung - und die ist unstrittig, die muss passieren, es wird einen Personalabbau geben - dieser Personalabbau hauptsächlich bei einem Werk stattfindet. Wir wollen eine Zukunft auch für den Unternehmensstandort Bochum, und deshalb - und das sage ich in Abstimmung nicht nur mit dem Betriebsrat in Bochum, sondern auch mit der IG Metall hier in Nordrhein-Westfalen - wollen wir an dieser Stelle Nachbesserungen.

    Barenberg: Es hat Gespräche in der Zwischenzeit gegeben, auch mit Ihnen und Ihrer Staatskanzlei. So ist jedenfalls zu lesen. Magna hat nachgebessert, aber offenbar nicht so, dass Sie schon zufrieden wären mit dem Ergebnis.

    Rüttgers: Erst mal möchte ich das ganze natürlich auch mit Brief und Siegel haben. Ich will wissen, ob Bochum eine Zukunft hat. Das ist ja immer nicht nur eine politische Frage, sondern das ist, wie ich eben schon gesagt habe, eine betriebswirtschaftliche Frage. Da geht es ganz konkret darum, welche Autos in Zukunft auch wie lange, wie viele Jahre garantiert dann gebaut werden. Da gibt es klare Tabellen, woraus man dann ablesen kann, wie der Personalabbau abläuft. Das wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, das wollen wir Nordrhein-Westfalen wissen.

    Barenberg: Kann die Zukunft des Werkes in Bochum und die Zahl der Arbeitsplätze dort den Ausschlag geben, wenn es darum geht zu entscheiden, welcher Bieter insgesamt für den Gesamtkonzern Opel das beste Konzept hat?

    Rüttgers: Ich glaube schon, dass das eine zentrale Frage ist, weil ja sowohl die Bundesregierung wie auch die beteiligten Landesregierungen deutlich gemacht haben - etwa bei unserem Gespräch vergangenen Freitag in Berlin -, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen wollen. Insofern muss da schon Klartext geredet werden.

    Barenberg: Was muss Magna denn zum Beispiel nachbessern, damit Sie sich mit dem Angebot anfreunden können?

    Rüttgers: Bisher ist das Angebot ja immer noch das gleiche, dass von 2600 abzubauenden Stellen 2200 in Bochum abgebaut werden sollen. Das ist zu viel.

    Barenberg: Und was wäre aus Ihrer Sicht eine Alternative?

    Rüttgers: Schauen Sie, das kann ich jetzt nicht sagen, denn das ist immer so: wenn Politiker dann irgendeine Zahl nennen und dann sollen nachher im Anschluss daran im Unternehmen die entsprechenden Konzepte gemacht werden, so läuft das ja nicht. Das geht von der anderen Seite her, das heißt: welche Autos werden zukünftig gebaut, wie viele werden zukünftig gebaut, für welchen Markt wird das gebaut, ist das eine seriöse Unternehmensplanung. Das ist ja die Voraussetzung und das werden wir heute Abend ja auch erörtern.

    Barenberg: Ich frage auch deshalb nach, weil es ja Überkapazitäten in der Autoindustrie gibt, auch bei Opel, und wenn die Arbeitsplätze nicht in Bochum verloren gehen werden, werden sie möglicherweise anderswo verloren gehen, beispielsweise im Werk von Antwerpen. Würden Sie das dann unter diesen Umständen in Kauf nehmen?

    Rüttgers: Das ist das große Problem, da haben Sie Recht. Wir können da auch nicht nur an Deutschland denken, sondern es geht ja um Opel Europa, und das ist ja auch Voraussetzung - sowohl nach der Konzeption von Magna wie von Fiat -, dass das dann ein Opel Europa ist, das sich international behaupten muss.

    Barenberg: In Bochum gelten die Produktionsanlagen im Vergleich zu anderen Standorten als veraltet, es würde Hunderte von Millionen von Euro kosten, sie zu erneuern, während zum Beispiel in Rüsselsheim moderne Anlagen noch gar nicht voll ausgelastet werden. Macht es unter diesen Umständen eigentlich Sinn, darauf zu beharren, dass das Angebot mit Blick auf die Arbeitsplätze in Bochum nachgebessert wird?

    Rüttgers: Das was Sie da sagen, wird vorgetragen, aber das ist falsch und das ist unfair. In Bochum wird der Astra gebaut, in Bochum wird der Zafira gebaut, die Produktion ist so rentabel, dass Opel Bochum sich durchgesetzt hat im internationalen GM-Konzern und den Zuschlag bekommen hat. Jetzt muss die nächste Linie für Astra aufgebaut werden, dann müssen Investitionen erfolgen. Das ist wahr. Die sind aber sowohl im Plan immer drin gewesen. Wenn das jetzt woanders gebaut werden soll, dann muss es da investiert werden. Das heißt, da kann man nicht sagen, das ist ja furchtbar, in Bochum muss investiert werden. Wenn das in Rüsselsheim gebaut werden soll, muss auch da investiert werden. Insofern kann man das nicht einfach gegeneinanderstellen.

    Barenberg: Sollte heute Abend im Kanzleramt eine andere Weichenstellung getroffen werden als Sie sich wünschen, was wird das dann für Konsequenzen haben beispielsweise für die Frage, mit welchen Hilfen ein neuer Opel-Konzern aus dem Land Nordrhein-Westfalen rechnen kann?

    Rüttgers: Schauen Sie, es kann ja keiner von der nordrhein-westfälischen Landesregierung verlangen, dass wir noch mit Steuermitteln den Abbau von Personal in Bochum subventionieren. Das ist nun wirklich keine denkbare Lösung. Aber ich bin sicher, dass wir es schaffen werden, eine Zukunftslösung, einen Zukunftsplan für Opel inklusive Bochum zu entwickeln.

    Barenberg: Im Gespräch ist immer noch das Insolvenzverfahren. Wie beurteilen Sie diese Option? Manche sagen ja, ein Insolvenzverfahren könnte am Ende mehr Arbeitsplätze sichern als einer der Investoren es möglicherweise könnte.

    Rüttgers: Das sind immer so wohlfeile Erklärungen von Leuten, die in Redaktionsstuben oder in öffentlich bediensteten Arbeitsverhältnissen über solche Probleme reden. Da geht es um viele, viele tausend Menschen, da geht es um viele, viele tausend Familien, die jetzt auch ein Anrecht darauf haben, eine klare Perspektive zu bekommen. Ich glaube, dass das Insolvenzverfahren im Moment gar nicht im Vordergrund steht. Das ist im Moment keine Sache, die erörtert werden muss, weil wir ja Gott sei Dank, private Investoren haben. Übrigens die Leute, die ich gerade ein wenig beschimpft habe, das sind dieselben Leute, die noch im Februar behauptet haben, Opel sei so schlimm, das Unternehmen wolle keiner haben wollen. Jetzt haben wir schon vier Investoren, die einsteigen wollen, was eben zeigt: man muss auch, wenn man das von außen als nicht betroffener macht, immer an die Menschen denken, die davon betroffen sind.

    Barenberg: Insolvenz ist kein Thema, sagen Sie, es gäbe ja schließlich Bieter. Warum aber beharrt Wirtschaftsminister zu Guttenberg immer mal wieder auf dieser Option?

    Rüttgers: Ganz einfach, weil natürlich Voraussetzung ist, dass die amerikanische Regierung mitspielt, und wenn das nicht kommt, dann nützen die besten Angebote nichts. Wenn wir über die Markenrechte nicht verfügen können, die Patente nicht verfügen können, wenn nicht klar ist, wie das Rechtsverhältnis zwischen der neuen Opel Europa AG und einer vielleicht in Insolvenz befindlichen GM in Amerika ist, dann kann man natürlich kein deutsches Steuergeld da reinstecken. Insofern muss auch immer klar sein, dass wir das ja nur machen können, wenn wir sicherstellen können, dass das Steuergeld, das von der deutschen Bundesregierung und den Landesregierungen aufgebracht wird, also von den Steuerzahlern in Deutschland, dann auch für Arbeitnehmer in Deutschland investiert wird.

    Barenberg: Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass dieses Geld nicht dazu dient, am Ende innovative Konkurrenzprodukte auszubremsen?

    Rüttgers: Das wird ja so sein, dass das neue Unternehmen das Geld auch irgendwann zurückzahlen wird. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt, der mindestens genauso wichtig ist: ich glaube, dass jeder Investor auch bei Überbrückungsfinanzierungen mit eigenem Kapital in die Haftung rein muss. Man kann ja sonst Zweifel an der Ernsthaftigkeit bekommen, wenn jemand eine Firma übernehmen will, will kein eigenes Geld in die Hand nehmen oder eigene Betriebsteile voll mit einbringen, die auch werthaltig sind, und sagt, dann wollen wir mal schauen, ob wir mit diesem Steuergeld die Firma in Gang bekommen. Da muss man dann schon selber auch ins Risiko gehen.

    Barenberg: Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, im Gespräch im Deutschlandfunk. Vielen Dank!