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"Jeder ist ersetzbar"

Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Peter Struck wird auch nach dem Rücktritt von Arbeitsminister Müntefering die Kontinuität in der SPD gewahrt bleiben. Münteferings designierter Nachfolger Scholz werde die Arbeitsmarktpolitik fortsetzen, die in Partei und Fraktion beschlossen worden sei, sagte Fraktionschef Struck. Da werde es sicher keinen Bruch geben.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Ein Rücktritt von Franz Müntefering, er galt noch vor einigen Wochen als schlimmes Szenario für die Große Koalition, insbesondere aus Sicht der Sozialdemokraten. Nun ist der Fall eingetreten, allerdings mit einer ausschließlich privaten Begründung Münteferings. Tiefe Betroffenheit bei der SPD war und ist zu spüren. Gleichzeitig versuchen die Koalitionäre zu betonen, "Business as usual", es geht schon irgendwie weiter. Alles halb so wild also ohne den bisherigen Vizekanzler und Arbeitsminister? - Am Telefon ist Peter Struck, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag. Guten Morgen Herr Struck!

    Peter Struck: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Herr Struck mit Verlaub, Sie wirkten bei der vom Fernsehen gestern übertragenen Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus sehr traurig. Wie schwer wiegt der Verlust, den die SPD in der Regierung jetzt zu verkraften hat?

    Struck: Zunächst war es auch für mich persönlich ein Schock, als uns Franz Müntefering am Montag erklärt hat, dass er sein Amt niederlegen wird. Ich habe allerdings Verständnis für seine Entscheidung. Die persönlichen Gründe sind absolut überzeugend. Ich hätte im ähnlichen Fall genauso gehandelt. Natürlich geht die Politik weiter auch ohne Franz Müntefering in dieser Funktion, aber trotzdem ist er ein großer Verlust, denn er war schon eine der tragenden Säulen dieser Koalition.

    Klein: Ist er ersetzbar in der Koalition?

    Struck: Ja. Jeder ist ersetzbar, natürlich. Wir haben eine Nachfolgeentscheidung, was die Vizekanzlerschaft angeht, mit Frank-Walter Steinmeier getroffen und was das Amt angeht mit Olaf Scholz. Beide werden sich in diese Aufgaben hineinfinden, zumal Frank-Walter Steinmeier ja auch schon seit über zwei Jahren Mitglied des Kabinetts ist. Aber natürlich werden sich die beiden langsam daran gewöhnen müssen, dass sie jetzt neue Aufgaben und zusätzliche Verantwortung übernommen haben. Die Politik geht natürlich weiter.

    Klein: Herr Struck, es ist dennoch so ein bisschen eigenartig. Franz Müntefering galt immer als die zentrale Säule, ein tragender Pfeiler dieser Koalition und sein möglicher Rücktritt als wirklich ein schlimmes Szenario für die Koalition, auch für die SPD. Nun ist der Fall eingetreten und alles scheint doch nicht so schlimm zu sein. Da waren die Befürchtungen dann doch übertrieben, was seine Rolle angeht?

    Struck: Der Hintergrund dieser damaligen Debatte war ja, dass er aus politischen Gründen zurücktreten würde. Das wäre natürlich für die SPD, aber auch für die Koalition insgesamt ein ziemlicher Schlag gewesen. Jetzt geht es um ein ganz anderes Motiv, das jeder nachvollziehen kann.

    Klein: Aber das Ergebnis ist doch das gleiche. Er ist im Kabinett nicht mehr vertreten, auch nicht mehr als Vizekanzler. Sein Vertrauensverhältnis zur Kanzlerin wirkt auch nicht mehr.

    Struck: Ich will noch hinzufügen: Ein Punkt bereitet mir schon großen Ärger. Wenn ich Herrn Lafontaine und Herrn Niebel höre, deren Kommentierungen zu der Entscheidung von Franz Müntefering, das ist einfach nur noch menschlich unanständig. Aber das bei Seite geschoben: Alle anderen haben sich ordentlich verhalten. Dass Franz Müntefering eine bestimmte Verantwortung hatte auch gerade im Ressort, weil es uns vor allen Dingen in dieser Regierung darum geht, dass wir die Arbeitsmarktpolitik verbessern, dass wir weniger Arbeitslose haben in Deutschland, ist völlig klar, aber ich weiß genau, dass Olaf Scholz ein guter sachverständiger Politiker ist in dieser Frage und dass wir mit ihm natürlich die Politik auch fortsetzen werden, die wir begonnen haben. Auch in den Bereichen, Frau Klein, in denen wir unterschiedliche Auffassungen zur CDU/CSU oder zur Kanzlerin haben, wenn ich das Thema Mindestlohn jetzt anspreche, werden wir die gleiche Linie behalten, die Franz Müntefering und die SPD-Fraktion eingeschlagen haben.

    Klein: Aber Sie haben das Vertrauen in eine Einigung mit der Union verloren oder nicht?

    Struck: Das ist wohl richtig. In der Frage Mindestlohn gibt es massive ideologische Unterschiede. Die Union verweigert diesen Mindestlohn überhaupt, den gesetzlichen Mindestlohn. Auch Versuche, andere Bereiche schon vorweg zu nehmen, beispielsweise wie bei den Post- und Briefdienstleistern, sind ja am vergangenen Montag in der Nacht gescheitert wie man weiß. Das ist ein Punkt, den werden wir die nächsten zwei Jahre natürlich immer kontrovers diskutieren. Es ist vereinbart worden, dass Branchen, die es wollen, in das Entsendegesetz aufgenommen werden können. Dazu werden auch Gesetze im Arbeitsministerium erarbeitet. Aber ich weiß genau: Es wird immer wieder Ärger geben mit der Kanzlerin, mit der CDU/CSU-Fraktion. Wir werden in diesen Fragen aber nicht nachlassen und nicht nachgeben.

    Klein: Es wird immer wieder Ärger geben, sagen Sie. Wie viel Vertrauen ist in der Koalition noch vorhanden zwischen den beiden Partnern?

    Struck: In diesem Punkt muss ich sagen bin ich sehr enttäuscht über das Verhalten der anderen Seite innerhalb der Regierung, denn wir hatten eine Vereinbarung getroffen, dass wir bei den Briefdienstleistern oder besser gesagt Briefzustellern, Briefträgern eine Regelung finden wollen auf der Grundlage eines Tarifvertrages zwischen der Post AG und der Gewerkschaft ver.di. Diese Vereinbarung ist überraschend am vergangenen Montag aufgekündigt worden und das lässt mich nun sehr skeptisch werden in Bezug auf die Verlässlichkeit gerade in diesen Fragen der Arbeitsmarktpolitik von Frau Merkel und der CDU/CSU.

    Klein: Sehen Sie es auch als einen taktischen Schachzug der Kanzlerin, aus ihrer Sicht einen klugen Schachzug, mal abgesehen von den inhaltlichen Argumenten pro und kontra, denn ein klares Nein hätte auf jeden Fall eine Schwächung des Arbeitsministers so oder so bedeutet und nun ist Franz Müntefering ganz aus dem Kabinettsspiel?

    Struck: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Ich glaube, dass Frau Merkel dem Druck von bestimmten Lobbyisten nachgegeben hat, vor allen Dingen von den großen Zeitungskonzernen, die ja ein eigenes Unternehmen, die so genannte Pin AG betreiben, deutlich niedrigere Löhne bezahlen als das, was mit ver.di von der Post AG vereinbart worden ist. Da hat sie dem Druck nicht Stand halten können. Hier hätte sie stehen müssen. Es geht ja nicht, dass sie - das war ihr letztes Angebot - sagt Okay, wir können einen solchen Lohn ins Entsendegesetz schreiben von mehr als zwei Euro unter dem, was vereinbart worden ist zwischen ver.di und der Post AG. Da ist sie klein geworden, mit Sicherheit vom Springer-Konzern und anderen die gedrückt haben nach unten.

    Klein: Herr Struck, mancher in der Partei dürfte sich freuen über den Rückzug von Franz Müntefering, denn dessen Haltung entsprach in wichtigen Streitpunkten nicht mehr der Mehrheitsmeinung der Partei.

    Struck: Nein, das ist überhaupt nicht so. Sie wissen, dass Franz Müntefering auf dem Parteitag in Hamburg große Zustimmung gefunden hat mit seiner Rede. Auch in der SPD-Fraktion gestern ist er mit standing ovations begrüßt worden und auch nach seiner Rede bedacht worden. Er ist eine Figur in der SPD, eine große Figur in der SPD und niemand hat ihm gewünscht, dass eine solche Entscheidung nötig wäre.

    Klein: Aber gut, er lag in einigen Punkten eben nicht mehr auf der Linie von Kurt Beck, vom Parteivorsitzenden. Die Interpretationen gehen auseinander, ob es Detailfragen waren oder nicht. Aber jedenfalls ist ja auch ein politischer Gegenspieler von Beck in bestimmten Fragen nun nicht mehr vorhanden im Kabinett?

    Struck: Ja. Das ist aber doch normal, dass es in einer demokratischen Partei unterschiedliche Auffassungen in manchen Fragen gibt. Wir hatten eine Auseinandersetzung mit Franz Müntefering. Das betraf die Frage der längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes I. Diese Auseinandersetzung ist gegen das Votum von Franz Müntefering entschieden worden, aber deutlich entschieden worden auf dem SPD-Parteitag. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir nicht sonst freundschaftlich zusammengearbeitet hätten. Dass in einer Partei mal unterschiedliche Auffassungen entstehen, ist ja geradezu wünschenswert.

    Klein: Und wir brauchen uns nicht darauf einzustellen, dass es eine inhaltliche Weichenstellung geben wird mit diesem Personalwechsel, der jetzt zum Beispiel im Amt des Arbeits- und Sozialministers auf uns zukommen wird?

    Struck: Nein, keineswegs. Olaf Scholz wird die Politik fortsetzen, die wir als Partei beschlossen haben, die wir in der Fraktion beschlossen haben, in dem Sinne wie ich es vorhin dargestellt habe. Wir werden vor allen Dingen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik weiter die Instrumente fördern, was die Problemgruppen angeht, die älteren Arbeitslosen, vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosen und auch die unter 25-Jährigen. Die Programme werden weiter entwickelt. Wir werden versuchen, die Arbeitsmarktinstrumente, die es gibt, zu bündeln. Es gibt ja nahezu fast 80 Einzelmaßnahmen, die die Bundesagentur in diesem Bereich einsetzen kann. Da wird es für Olaf Scholz eine Aufgabe sein, das alles mehr zu konzentrieren, aber das war auch von Franz Müntefering schon begonnen worden. Da gibt es keinen Bruch in der Arbeit des Ministeriums.

    Klein: Peter Struck, Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Struck.