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"Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient"

Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat versichert, es gebe keine Berührungsängste mit Doping-Opfern. Er persönlich habe an einer Mitgliederversammlung des Doping-Opfer-Hilfevereins teilgenommen. Bestehe darüberhinaus Gesprächsbedarf, stünde er zur Verfügung. Die Weiterbeschäftigung ehemaliger Doping-Trainer sei dann zu verantworten, wenn sie gestanden, sich entschuldigt und ohne Beanstandungen weitergearbeitet hätten.

Thomas Bach im Gespräch mit Jochen Spengler | 09.04.2009
    Jochen Spengler: Am Montag haben sich fünf Trainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes dazu bekannt, als frühere DDR-Trainer gedopt zu haben. Sie betrachteten dies aus heutiger Sicht als Fehler und erklärten im Konjunktiv, sollte es gesundheitliche Schäden gegeben haben, so seien sie tief betroffen, bedauerten das und entschuldigten sich. Politiker des Sportausschusses und der Deutsche Olympische Sportbund begrüßten die Erklärung als wichtigen und hilfreichen Schritt. Der DOSB sagte, es bestünden nunmehr keine Bedenken, die Trainer weiterhin zu beschäftigen. Es solle ihnen eine neue Chance gegeben werden. Genau das aber stieß auf Empörung bei einer ganzen Reihe von Doping-Opfern, die die Entschuldigung für nicht ehrlich und nicht angemessen halten. Zunächst ein Zitat von Andreas Krieger, der 1986 als gedopte Heidi Krieger noch Kugelstoß-Europameisterin aus der DDR gewesen ist.

    O-Ton Andreas Krieger: Der DOSB beschreibt das ja, was sie jetzt im Moment versuchen, als eine moralische Aufarbeitung. Wenn ich das aber sehe, was hier passiert, dass diese Leute sich einfach mit einem Schreiben freikaufen können, dann hat das für mich mit moralischer Aufarbeitung gar nichts mehr zu tun.

    Spengler: Am Telefon ist nun der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees. Guten Morgen, Herr Bach.

    Thomas Bach: Guten Morgen!

    Spengler: Herr Bach, können Sie die Empörung des Doping-Opfers Krieger nachvollziehen, oder ist für Sie der Text eine moralische Aufarbeitung?

    Bach: Ich kann die besondere Betroffenheit der Doping-Opfer sehr gut nachvollziehen. Wenn man sieht, was Doping-Opfer gesundheitlich, aber auch psychisch erleiden mussten, dann muss man dafür Verständnis haben. Auf der anderen Seite werbe ich auch bei den Doping-Opfern um Verständnis, nicht um Vergessen, um Verständnis für die Position der Trainer, die sich jetzt, wenn auch spät, zu ihrer Verstrickung in die Doping-Vergangenheit bekennen.

    Spengler: Ich habe als Leser dieser Erklärung den Eindruck, dass es den Trainern eher um ihre berufliche Existenz als um eine ehrliche Entschuldigung geht, so wie es ihnen ja schon damals, als sie Doping-Mittel verabreicht haben, auch vor allem darum ging - so schreiben sie das selbst -, "erhebliche berufliche Nachteile zu vermeiden". Das ist ein Zitat. Glauben Sie wirklich, dass die Entschuldigung von Herzen kommt?

    Bach: Unsere unabhängige Kommission hat das geprüft. Man muss auch wissen, dass diese Initiative von den Trainern ausgeht, dass hier keine Untersuchungen anhängig waren, dass nicht wie in dem parallel laufenden Fall von Herrn Goldmann neue Erkenntnisse da waren. Das heißt, es war jedenfalls kein aktueller Druck auf diesen Trainern - weder öffentlich, noch in ihrer arbeitsrechtlichen Stellung -, um so zu reagieren.

    Spengler: Aber Sie haben ja als DOSB danach gesagt, einer Weiterbeschäftigung steht nach dieser Erklärung nichts im Wege. Deswegen könnte man doch schlussfolgern, das Ziel der Erklärung war, diese berufliche Existenz zu sichern?

    Bach: Es gab zwei Anfragen. Das eine war die Frage über den DOSB an die unabhängige Kommission und die weitergeleitete des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Aber noch einmal: Es gab keine Hinweise bei uns und keine Nachfrage über anstehende Verlängerungen oder dergleichen im Augenblick, und das zeigt ja eben auch die unterschiedliche Behandlung der Fälle der fünf Trainer, die diese Erklärung abgegeben haben, im Gegensatz zu Herrn Goldmann, der von der Kommission auch angehört worden ist.

    Spengler: Hätten die Trainer nicht, um es den Opfern, den Doping-Opfern leichter zu machen, ihnen zu verzeihen, konkrete einzelne Fälle benennen sollen, auch den persönlichen Kontakt zu den damaligen Schützlingen suchen müssen?

    Bach: Den Wunsch nach persönlichem Kontakt kann ich gut nachvollziehen, denn wir haben vom DOSB gleich nach unserer Gründung diesen persönlichen Kontakt gesucht und haben dabei gespürt, wie groß der Gesprächsbedarf auch bei den Doping-Opfern ist.

    Spengler: Herr Bach, gerade Frau Krieger-Krause, eine der Betroffenen, bedauert es, dass Sie persönlich sich mit ihnen, mit den Doping-Opfern, noch nie persönlich an einen Tisch gesetzt haben.

    Bach: Wir haben von Seiten des DOSB verschiedene Gespräche geführt. Die sind nicht von mir persönlich geführt worden, das ist richtig, aber ich kann leider nicht alle Gespräche persönlich führen, die den DOSB betreffen. Diese Gespräche haben aber dennoch zu dem Ergebnis geführt, dass die Doping-Opfer von Seiten des DOSB damals finanziell entschädigt worden sind. Der DOSB hat gleichzeitig auch noch sich sehr dafür eingesetzt, dass die Firma Jenapharm ebenfalls eine Entschädigung an die Doping-Opfer leistet, und das ist zusammen mit dem Doping-Opfer-Hilfeverein geschehen, auf dessen Mitgliederversammlung ich dann auch persönlich war. Also diese Kontakte seitens des DOSB sind von uns gesucht worden, unmittelbar nach unserer Gründung.

    Spengler: Nun habe ich den Eindruck, dass es den Opfern gar nicht so sehr in erster Linie um Geld, um Entschädigung geht, sondern darum, dass man von ihrem Schicksal erfährt. Wäre es nicht auch wirklich an der Zeit, dass Sie persönlich sich mit denen ins Benehmen setzen, an einen Tisch setzen, von Angesicht zu Angesicht?

    Bach: Nun noch mal: Ich war bei der Mitgliederversammlung des Doping-Opfer-Hilfevereins anwesend, persönlich anwesend. Gespräche seitens des DOSB sind geführt worden. Ich stehe mit Frau Krieger-Krause im Briefwechsel.

    Spengler: Sie haben aber eben doch selber gesagt, dass Sie persönlich noch nicht mit ihnen gesprochen haben.

    Bach: Ich war bei dieser Mitgliederversammlung des Doping-Opfer-Hilfevereins da. Es kann ja nun in dieser Aufarbeitung nicht darum gehen, wer jetzt einzeln mit wem wann welches Gespräch geführt hat. Der DOSB war immer als Ansprechpartner da. Es kann auch nicht um finanzielle Entschädigung gehen, das sagen Sie richtig, weil die vom DOSB geleistet worden ist, die Initiative damals vom DOSB mit ausging. Also hier besteht kein Nachholbedarf.

    Im Übrigen gibt es keine Berührungsängste, in welcher Form auch immer, und gerade deswegen hat der DOSB auch das Forschungsprojekt mit der Thematik "Doping in Deutschland" initiiert, um auch die soziologischen Bedingungen des Dopings in einem Gesellschaftssystem wie der DDR, aber auch in einem Gesellschaftssystem wie der damaligen Bundesrepublik festzustellen, und dort wird weitere Aufarbeitung dann erfolgen.

    Spengler: Also Sie sagen nicht, irgendwann muss Schluss sein mit der Aufarbeitung?

    Bach: Nein, das nicht. Noch mal - und das ist auch in dem Briefwechsel mit Frau Krieger-Krause eben sehr deutlich - ich werbe nicht um Vergessen; ich werbe für einen, wenn auch späten, aber doch beginnenden Dialog zwischen den Verbänden, den Trainern und den Doping-Opfern. Frau Krieger-Krause hat in diesem Briefwechsel auch anerkannt, dass es den Dialog mit dem DOSB gegeben hat, aber expressis verbis werbe ich nicht für Vergessen. Das wäre auch töricht.

    Spengler: Für sich persönlich sehen Sie aber nach wie vor keinen Nachholbedarf, was Dialog mit den Opfern angeht?

    Bach: Noch mal: Ich bin zu jedem Gespräch bereit. Ich war damals auch in der Mitgliederversammlung dieses Doping-Opfer-Hilfevereines. Wenn jemand einen Gesprächswunsch hier noch einmal zusätzlich hat, bin ich immer bereit, wie der DOSB immer diesen Dialog gesucht hat.

    Spengler: In dem Brief von Frau Krieger-Krause heißt es, "Herr Dr. Bach, ein persönliches Gespräch mit anerkannten Doping-Opfern haben Sie im September 2007 vorgeschlagen. Dieses Versprechen blieb uneingelöst." - Also offenbar besteht da ein Bedarf bei den Opfern.

    Bach: Ich habe damals das gesagt, was ich auch heute sage, dass ich für ein Gespräch offen bin. Wenn hier Gesprächswünsche bestehen, möge man sich an mich wenden. Diese Bereitschaft besteht nach wie vor.

    Spengler: Eine Frage habe ich noch. Warum dürfen Trainer, die die Gesundheit ihrer Sportler vorsätzlich geschädigt haben, überhaupt weiter mit Sportlern zusammenarbeiten?

    Bach: Nun, weil hier ein Dreiklang vorliegt aus einem Geständnis, einer Entschuldigung und einer Bewährung von fast 20 Jahren, einer Arbeit ohne irgendwelche Beanstandungen durch unsere Verbände. Wenn diese drei Faktoren gegeben sind, dann hat jeder Mensch eine zweite Chance verdient.

    Spengler: Kommt der deutsche Sport ohne solche Trainer nicht aus?

    Bach: Es geht hier nicht um auskommen; es geht hier nicht um Fragen von Abwägung, sondern es geht auch um eine menschliche Bewertung, und hier ist im DOSB und darüber hinaus die einhellige Meinung, dass jeder Mensch unter diesen Prämissen und nach so langer Zeit eine zweite Chance verdient hat.

    Spengler: Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, Vizepräsident des IOC. Herr Bach, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Bach: Danke auch.