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Jemen
"Humanitäre Katastrophe wird sich eher verschlechtern"

Die Versorgungslage im Jemen ist schlecht, es droht eine humanitäre Katastrophe. Mit dem Tod von Ali Abdullah Saleh, dem ehemaligen Präsidenten des Jemens, scheint nun der Frieden im seit drei Jahren tobenden Bürgerkrieg erneut in weite Ferne gerückt. Im Gegenteil: Es drohe sogar mehr Gewalt, sagte die Politikwissenschaftlerin Mareike Transfeld im Dlf.

Mareike Transfeld im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 05.12.2017
    Demonstranten fordern am 13.11.2017 in Sanaa (Jemen) bei einem Protest die Öffnung der Flug- und Seehäfen in dem Land. Ein von Saudi-Arabien geführtes Bündnis fliegt im Jemen Luftangriffe gegen Huthi-Rebellen. Die Koalition hatte in der vergangenen Woche die Flug- und Seehäfen geschlossen. Hilfsorganisationen warnten jedoch, dem Land drohe durch die Blockade eine der größten Hungerkatastrophen weltweit.
    Demonstranten fordern am 13.11.2017 in Sanaa (Jemen) bei einem Protest die Öffnung der Flug- und Seehäfen in dem Land. Ein von Saudi-Arabien geführtes Bündnis fliegt im Jemen Luftangriffe gegen Huthi-Rebellen. Die Koalition hatte in der vergangenen Woche (picture alliance / dpa / Hani Al-Ansi)
    Ann-Kathrin Büüsker: Er sei als Märtyrer bei der Verteidigung der Republik gefallen. So erklärten es gestern die Unterstützer von Ali Abdullah Saleh, ehemaliger Präsident des Jemen, seit knapp drei Jahren Verbündeter der Huthi-Rebellen. Am Wochenende, da hatte er dieses Bündnis aber gelöst. In der Hauptstadt Sanaa kam es in der Folge zu schweren Kämpfen zwischen den Huthis und Salehs Truppen, und dabei wurde der ehemalige Präsident getötet, so wie auch viele Zivilisten in der schwer umkämpften Stadt. Sie sind es, die im Jemen ganz besonders leiden, vor allem unter der schlechten Versorgungslage.
    Über die Entwicklung im Jemen möchte ich jetzt mit Mareike Transfeld sprechen, Doktorandin an der FU Berlin. Guten Morgen!
    "Die Huthis sind deutlich stärker, als bisher eingeschätzt"
    Mareike Transfeld: Guten Morgen.
    Büüsker: Saleh und die Huthis waren ja über viele Jahre hinweg verbündet, haben gemeinsam gekämpft. Wie erklären Sie sich, dass Saleh dieses Bündnis gelöst hat?
    Transfeld: In erster Linie ist es wichtig zu verstehen, dass es ein Zweckbündnis war. Sie sagten ja selbst, es war knapp drei Jahre, dass die Huthis und Saleh zusammen gekämpft haben. Aber vorher, als Ali Abdullah Saleh selbst Präsident war, befanden sich die Huthis tatsächlich in einem Krieg gegen Ali Abdullah Saleh und die haben sich lediglich zusammengeschlossen, um eine Front gegen den Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der seit 2011 Präsident ist und nun von Saudi-Arabien gegen die Huthis und Ali Abdullah Saleh unterstützt wird.
    Spannungen gab es seit ein paar Wochen zwischen den zwei Seiten und es ist so, dass die Vereinigten Arabischen Emirate darin eine Chance sehen, diese zwei Seiten auseinanderzubringen, um Saudi-Arabien einen Weg aus dem Krieg zu ebnen, und es sieht so aus, als wäre das jetzt der Fall gewesen, dass tatsächlich da möglicherweise ein Deal gemacht wurde zwischen Saudi-Arabien und Ali Abdullah Saleh und damit versucht wurde, Saudi-Arabien einen Weg aus diesem Konflikt als Sieger zu ebnen.
    Büüsker: Ein Deal, der nicht funktioniert hat, der Saleh den Tod gebracht hat. Was bedeutet das denn nun?
    Transfeld: Zum ersten zeigt das auf jeden Fall, dass die Huthis deutlich stärker sind, als sie bisher eingeschätzt wurden, stärker noch als Ali Abdullah Saleh, der noch Teile des Militärs unter seiner Kontrolle hatte. Aber das heißt auch, dass der Nordjemen nun zunehmend in die Hände der Huthis fällt, was für die Saudis auf keinen Fall hinnehmbar ist, und das macht natürlich auch die Tür weiter offen für den Iran, sich dort mit einzubringen im Jemen. Ich gehe davon aus, dass dies sehr viel mehr Gewalt nun mit sich bringen wird. Die Fronten werden sich jetzt neu ordnen vor Ort. Die Unterstützer von Ali Abdullah Saleh werden nun sicherlich die Seite wechseln und auch Unterstützung von den Saudis erhalten. Von daher wird sich auf jeden Fall am Boden sehr viel neu ordnen. Es sieht auf jeden Fall auch so aus, als hätten die Saudis da deutlich verloren.
    Büüsker: Schauen wir vielleicht noch mal gemeinsam auf die Huthi-Rebellen. Wer ist das überhaupt? Ist das eine geeinte Front, oder dürfen wir uns das viel mehr als ein Bündnis aus verschiedenen Stämmen vorstellen?
    Transfeld: Es ist sicherlich ein Zusammenschluss von unterschiedlichen Kämpfern, die auch von unterschiedlichen Stämmen kommen. Aber es ist im Prinzip eine vereinte Front unter einer Hierarchie mit einem Führer, Al-Houthi. Das ist eine Familie, die aus Sa'da kommt, die auch schon in den 90er-Jahren sich dafür engagiert hat, dass die Saadia nicht marginalisiert wird. Saadia ist eine Richtung des Islam, die dem schiitischen Islam zugerechnet wird, die in den 80er und 90er-Jahren von dem Zentralstaat im Jemen deutlich marginalisiert wurde, weil Religionsrichtungen, die auch von Saudi-Arabien unterstützt wurden, dominant wurden. Also war es in erster Linie eine Gruppe, die sich darum bemühte, die eigene kulturelle und religiöse Identität zu bewahren. Allerdings hat sich das dann in eine politische Bewegung gewandelt, die auch mehr Autonomie für die Heimatregion forderte, und seit dem Arabischen Frühling, seit 2011 sind die Ambitionen von den Huthis immer größer geworden.
    Büüsker: Es heißt ja immer, dass die Huthis vom Iran unterstützt werden in ihrem Tun. Wie dürfen wir uns diese Unterstützung vorstellen?
    "Humanitäre Katastrophe wird sich eher verschlechtern"
    Transfeld: Es ist da nicht ganz durchsichtig, wie diese Unterstützung aussieht. Wir können auf jeden Fall feststellen, dass die Huthis eine sehr ähnliche Strategie gefahren sind seit 2011 wie die Hisbollah im Libanon, die natürlich vom Iran offen unterstützt wird. Der Fernsehsender von den Huthis wird auch von Beirut aus ausgestrahlt und da besteht auch Unterstützung durch die Hisbollah. Wir gehen auch davon aus, dass Kämpfer von den Huthis durch Hisbollah-Trainer ausgebildet wurden, so dass diese Unterstützung vom Iran hauptsächlich durch Hisbollah kanalisiert wird. Es kann auch sein, dass der Iran Waffen an die Huthis liefert. Da ist aber überhaupt gar nicht klar, wie diese Waffen überhaupt in den Jemen kommen. Dafür gibt es überhaupt gar keine Beweise. Aber es wird den Iranern immer wieder vorgeworfen, dass sie Raketen in den Jemen schmuggeln, und deswegen werden auch die Häfen blockiert, was zu dieser humanitären Lage beiträgt.
    Büüsker: Genau darauf wollte ich jetzt hinaus. Schauen wir auf die Menschen in dem Land. Jetzt haben wir eine Verstärkung der Konflikte gerade rund um die Stadt Sanaa. Da gab es in den vergangenen Tagen heftige Gefechte. Was bedeutet all das für die Zivilbevölkerung?
    Transfeld: Diese Verschärfung des Konflikts bringt überhaupt gar nichts Gutes für die Bevölkerung. Zum ersten wird die See- und Luftblockade in der nächsten Zeit wahrscheinlich nicht aufgelöst, da die Saudis jetzt erst recht Angst haben werden, dass die Iraner versuchen werden, dort Waffen reinzuschmuggeln. Natürlich bringt es auch mehr Gewalt. Gerade jetzt haben natürlich die Menschen in Sanaa sehr große Angst, dass sich der Konflikt in der Zukunft auch verstärkt auf die Hauptstadt konzentrieren wird, was nicht auszuschließen ist. Ich denke, gerade die Gegenden um Sanaa werden in den nächsten Tagen auch mehr Gewalt erfahren. Von daher wird sich die humanitäre Katastrophe in der nächsten Zeit nicht verbessern. Es wird sich eher verschlechtern.
    Büüsker: Haben die Hilfsorganisationen im Moment überhaupt noch Möglichkeiten, die Menschen in irgendeiner Art und Weise zu versorgen?
    Transfeld: Es gibt Gespräche zwischen den Saudis und den Hilfsorganisationen. Es gibt Versuche, dass diese Blockade aufgelöst wird oder zumindest gelockert wird. Und immer mal wieder wird was durchgelassen. Aber es reicht auch einfach nicht aus. Die humanitäre Hilfe, die vor der Verschärfung der Blockade in das Land gekommen ist, war nicht ausreichend, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Es ist einfach so, dass der kommerzielle Handel, der auch unterbrochen wurde durch diese Blockade, weiter fortgesetzt werden muss, damit diese humanitäre Situation deutlich verbessert werden kann.
    Büüsker: … sagt Mareike Transfeld, Doktorandin an der FU Berlin mit Forschungsschwerpunkt Jemen. Wir haben über das Bürgerkriegsland gesprochen. Vielen Dank für das Interview heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Transfeld: Ja, danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.