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Jens Berger
"Wem gehört Deutschland?"

Soziale Marktwirtschaft heißt auch: umverteilen. Denn in dieser Wirtschaftsordnung soll es nicht allein um den Markt, den Wettbewerb und das Geldverdienen gehen. Nein: Ein Teil dessen, was erwirtschaftet wird, soll der Wohlfahrt der Gesellschaft dienen, soll umverteilt werden. Aber: Damit das gelingt, muss ein Staat die Vermögensverhältnisse seiner Bürger möglichst genau kennen. Und genau das ist nach Ansicht des Journalisten Jens Berger in Deutschland nicht der Fall - vor allem, wenn es um die wohlhabenden Bürger geht.

Von Caspar Dohmen | 04.08.2014
    Ein Mann sitzt an einer Hauswand und bettelt, eine schick gekleidete Frau schreitet vorüber.
    Die Vermögens-Verteilungsfrage ist für die Stabilität einer kapitalistischen Gesellschaft von Bedeutung, meint der Autor Jens Berger. (picture-alliance / dpa / Markus C. Hurek)
    Soziale Marktwirtschaft heißt auch: umverteilen. Denn in dieser Wirtschaftsordnung soll es nicht allein um den Markt, den Wettbewerb und das Geldverdienen gehen. Nein: Ein Teil dessen, was erwirtschaftet wird, soll der Wohlfahrt der Gesellschaft dienen, soll umverteilt werden. Aber: Damit das gelingt, muss ein Staat die Vermögensverhältnisse seiner Bürger möglichst genau kennen. Und genau das ist nach Ansicht des Journalisten Jens Berger in Deutschland nicht der Fall - vor allem, wenn es um die wohlhabenden Bürger geht:
    "Amtliche Zahlen über die Vermögensverhältnisse, die gibt es überhaupt gar nicht, also seit die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird. Es scheint so, als gäbe es vonseiten des Staates auch kein Interesse, überhaupt Daten zu erheben, also beispielsweise das Statistische Bundesamt in seinen großen Messungsreihen schließt Haushalte, die ein Nettoeinkommen von mehr als 18.000 Euro im Monat haben, aus, angeblich, weil es sich um statistische Ausreißer handelt."
    Guter Überblick über das vorhandene Zahlenmaterial
    Diese Daten, die Berger vermisst, liefert er in seinem Buch: Hier erfährt der Leser, dass das Vermögen der 80.000 wohlhabendsten Deutschen 16 mal so groß ist wie das von 40 Millionen Deutschen am unteren Ende der Vermögensskala. Berger schildert, dass ein Fünftel der Bevölkerung überhaupt kein Vermögen besitzt und Deutschland im internationalen Vergleich zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit zählt. Rein statistisch sei Reichtum hierzulande männlich und Armut weiblich, schreibt der Autor. Wer einen Überblick über das vorhandene Zahlenmaterial zur Vermögensverteilung in Deutschland gewinnen will, der ist mit diesem Buch zweifellos gut bedient. Ein Geheimnis sind diese Zahlen jedoch nicht. Viele stammen aus Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung oder der Deutschen Bundesbank. Wer die jüngsten Diskussionen über die Vermögensverteilung verfolgt hat, der findet wenig Neues in dem Buch des 32-jährigen Journalisten, der den politischen Blog Spiegelfechter gegründet hat und als Redakteur für die Nachdenkseiten arbeitet, ein Onlinemedium, das von den beiden Sozialdemokraten Albrecht Müller und Wolfgang Lieb betrieben wird. Interessant wird es, wenn Berger historische Vergleiche anstellt.
    "In der starren Klassengesellschaft des Kaiserreichs verfügten im Jahre 1908 die reichsten deutschen Familien – Rothschild, Krupp und Henckel von Donnersmarck – über ein Gesamtvermögen von 580 Millionen Goldmark; kaufkraftbereinigt entspräche dieses der heutigen Summe von 3 Milliarden Euro. Die reichsten Familien der Gegenwart – Albrecht/Aldi, Quandt/BMW, Schwarz/Lidl – kommen zusammengenommen auf 59 Milliarden Euro – also auf fast das Zwanzigfache ihrer Vorgänger aus der Kaiserzeit. In der aktuellen Liste würden die Familien Rothschild, Krupp und Henckel von Donnersmarck übrigens nicht in den Top 100 vertreten sein."
    Jens Berger: "Um mir jetzt den Vorwurf der Meinungsmache, um den ein wenig abzuwehren habe ich in dem Buch auch sehr, sehr exzessiv mit Zahlen gearbeitet, als dass es dort auch eine objektive Basis gibt in die ich meine subjektive Position mit einfließen lassen kann."
    Berger mag es gut gemeint haben, aber er hat es mit den Zahlen übertrieben, was das Lesen anstrengend macht. Überhaupt hätte dem Buch eine Straffung gutgetan. Der Autor unternimmt nämlich einige Exkurse; er schreibt über den Boom der Solo-Selbstständigen, über Lebensversicherungen und Hedgefonds. All das ist zwar für sich genommen interessant, hat aber mit dem eigentlichen Thema wenig zu tun, nämlich mit der Frage, wem Deutschland tatsächlich gehört. Der Autor arbeitet gut heraus, wie Reichtum in Deutschland in erster Linie entsteht:
    "Ja, am besten man erbt es, also die Fälle, in denen ein echtes Vermögen selbst erarbeitet wurde, die kann man wirklich an einer Hand abzählen, es sind sehr wenige."
    Berger schreibt über die Aldi-Erben:
    "Mit einem geschätzten Vermögen von 33 Milliarden Euro gehört die Familie der Discount-Giganten, die Deutschland in Aldi Nord und Aldi Süd geteilt haben, auch heute zu den reichsten Familien der Republik. Da stellt sich unwillkürlich die Frage, ob und wie viel Geld bei der Übertragung des immensen Familienvermögens an die nächste Generation über die Erbschaftsteuer an den Staat fällt. Die Antwort: gar nichts! Beide Albrecht-Brüder haben ihr gesamtes Betriebsvermögen nämlich bereits zu Lebzeiten steuervergünstigt in Familienstiftungen übertragen, deren jeweiliger Zweck es ist, die Nachkommen zu alimentieren und den Konzern zu steuern."
    16 politische Maßnahmen zur gerechteren Verteilung des Besitzes
    Der parteilose Autor formuliert am Ende seines Buches 16 politische Maßnahmen, um den Besitz in Deutschland gerechter zu verteilen. Dazu gehören eine Millionärssteuer von 75 Prozent, die Rücknahme der Hartz-Reformen und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer. Das ist ein radikales linkes Programm. Man mag über Sinn und Unsinn jeder dieser einzelnen Forderungen streiten, zu Recht verweist der Autor jedoch auf die grundsätzliche Bedeutung der Verteilungsfrage für die Stabilität einer kapitalistischen Gesellschaft:
    "Öffnet sich die Vermögensschere, wird das System im Kern instabil und neigt zur Bildung von Finanzblasen, die irgendwann zusammenbrechen und die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen - insofern sorgt die anhaltende Umverteilung von unten nach oben für Instabilität."
    Welchen Preis Gesellschaften dafür zahlen, zeigt die Finanzkrise mit ihren anhaltenden Folgen. Gewöhnliche Bürger haben in den Industrieländern mit Milliardensummen Banken gerettet, während sie selbst unter der Krise leiden müssen. Denn die Europäische Zentralbank betreibt eine Niedrigzinspolitik, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Teuer ist das vor allem für Kleinsparer, die ihr Geld auf dem Sparbuch oder in Lebensversicherungen anlegen. Trotz der Krise gibt es jedoch nur wenige und sehr zaghafte Versuche, die Vermögenden stärker für die Krisenbewältigung zur Kasse zu bitten. Solche Entwicklungen stimmen auch Berger nachdenklich:
    Jens Berger: "Wir erinnern uns an den letzten Bundestagswahlkampf, als die Grünen eine Steuererhöhungsdebatte angestoßen haben und im Endeffekt wurden sie vom Wähler und auch von den anderen politischen Parteien und von den Medien, das muss man ganz klar sagen, für diese Umverteilungspläne abgestraft und das Ganze ist für die Grünen leider nicht gut ausgegangen."
    Jens Berger: Wem gehört Deutschland? Die wahren Machthaber und das Märchen vom Volksvermögen
    Westend Verlag, 218 Seiten, 17,99 Euro
    ISBN: 978-3-864-89053-6