Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Jesse: Beobachten der Linkspartei ist nicht bespitzeln

Bei verfassungsfeindlichen Aussagen von Mitgliedern der Linkspartei hätte der Verfassungsschutz eine Berechtigung zur Beobachtung, sagt Eckhard Jesse. Auch die Parteispitze der Linken müsse sich diese Aktivitäten zurechnen lassen, meint der Politikwissenschaftler.

Eckhard Jesse im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.01.2012
    Tobias Armbrüster: Wie lässt sich der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland besser organisieren? Welche Strategien muss die Politik entwickeln? Das sind Fragen, mit denen sich seit dem Vormittag ein hochkarätiges Gremium in Berlin beschäftigt. Mit dabei sind Vertreter der Bundesregierung, der Kirchen und verschiedener Verbände.

    Ein Anlass für diesen Gipfel zur Gefahr von rechts war die Aufdeckung der Terrorzelle von Zwickau Ende vergangenen Jahres. Wie die Neonazis in dieser Gruppe jahrelang ungestört von Polizei und Verfassungsschutz schalten und walten konnten, das hat Politiker und Ermittler immer wieder überrascht in den vergangenen Wochen.

    Und wir bleiben beim Thema Extremismus und Verfassungsschutz, allerdings soll es jetzt um den Extremismus von links gehen. Wieso beobachtet der deutsche Verfassungsschutz ein Drittel der Bundestagsabgeordneten der Linken? Wieso steckt er darin fast ebenso viel an Ressourcen wie in die Beobachtung der NPD? Die Fragen stehen seit gestern im Raum, seitdem der "Spiegel" darüber berichtet hat, welcher Aufwand betrieben wird bei der Beobachtung der Linkspartei. Die Partei bekommt inzwischen Unterstützung auch von FDP- und Unions-Abgeordneten, aber es gibt auch Politiker, die bei der Linken nach wie vor ein gefährliches Potenzial sehen, so auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich.

    Hans-Peter Friedrich: "Es gibt erhebliche Hinweise, dass Die Linke verfassungsfeindliche Tendenzen hat. Wir haben auch Spitzenfunktionäre der NPD in Parlamenten. Wenn man die allgemeine Forderung aufstellt, es darf der Verfassungsschutz überhaupt nicht mehr beobachten, was Abgeordnete machen, dann müsste ich ja sofort auch die Beobachtung dieser NPD-Spitzenfunktionäre einstellen, und das kann ja nicht sein."

    Armbrüster: So weit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich heute Morgen in einem Fernseh-Interview. - Am Telefon begrüße ich jetzt den Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse. Schönen guten Tag, Herr Jesse.

    Eckhard Jesse: Ja! Schönen guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Jesse, kann man das so machen wie der deutsche Innenminister, Die Linke und die NPD in einen Topf werfen?

    Jesse: Na ja, zunächst einmal muss man sagen, es gibt einen starken Extremismus der NPD und einen eher schwachen Extremismus der Linken. Man sollte also keine Gleichsetzung vornehmen. Herr Friedrich hat ja von extremistischen Tendenzen bei der Linken gesprochen, ich glaube, er würde nicht sagen, extremistische Tendenzen bei der NPD, denn diese Partei ist durch und durch extremistisch und dabei auf Ideologie, Strategie und Organisationen abstellt. Aber er wollte wohl darauf hinaus: Wenn der Vorwurf kommt, dass man keine Abgeordneten beobachten darf, wenn der so lautet, dann ist es in der Tat konsequent zu sagen, wenn nein, dann generell nein. Wir können ja nicht zwei verschiedene Formen von Abgeordneten haben.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns über Die Linke sprechen. Wie gefährlich ist diese Partei für unseren Staat?

    Jesse: Nein, diese Partei ist nicht gefährlich. Sie ist relativ stark, vor allem im Osten, verficht einen schwachen Extremismus. Die NPD hingegen ist sehr schwach und vertritt einen starken Extremismus. Wenn es umgekehrt wäre, dann wäre es eine Gefahr. Aber man muss natürlich auch sagen, eine Partei, die es nicht schafft, klar zu sagen, die DDR war ein Unrechtsstaat, die es nicht fertigbringt zu sagen, Kuba ist eine Diktatur, die muss sich natürlich fragen lassen, ob es nicht vielleicht doch berechtigt ist, die Partei zu beobachten. Zu beobachten heißt ja nicht zu überwachen und heißt nicht zu bespitzeln. Man geht ja nur mit öffentlich zugänglichem Material heran. Es ist nicht so, dass man jetzt eine Art Bespitzelung von Abgeordneten vornimmt. Das wäre nicht tolerabel. Und Gysi hat gesagt, der Verfassungsschutz lügt, es geschieht doch. Jetzt müsste man klären: lügt Gysi, oder lügt der Verfassungsschutz.

    Armbrüster: Aber welche Gefahr geht denn tatsächlich davon aus, wenn Vertreter der Linken beispielsweise sprechen von einem Systemwechsel, von einem Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung, oder auch von Wegen zum Kommunismus? Ist so etwas tatsächlich gefährlich?

    Jesse: Nein! Das habe ich ja nicht gesagt. Aber der gesetzliche Auftrag der Verfassungsschutzbehörden ist, Parteien zu beobachten, die keine Gralshüter des demokratischen Verfassungsstaates sind. Die Linke ist keine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat, aber gleichwohl hat der Verfassungsschutz diese Aufgaben, eine entsprechende Beobachtung vorzunehmen, und ich halte das für völlig berechtigt. Wenn Sie sich vorstellen, Sie haben gesagt "Systemwechsel", "Systemfrage stellen" - man übt Kritik am Stalinismus, nicht am Kommunismus, man sagt, Kommunisten sind uns willkommen, aber Antikommunisten sind uns nicht willkommen. Und meines Erachtens ist durch die Vereinigung der Linkspartei mit der WASG im Jahre 2007 zur Linken keine Entradikalisierung eingetreten, sondern eher eine Radikalisierung, denn die eher bodenständigen Leute im Osten werden in der Tat stark beeinflusst durch die Radikalen aus dem Westen, ehemalige Trotzkisten, jetzige Trotzkisten, Kommunisten aus K-Gruppen. Das muss man insgesamt sehen und die führende Spitze der Partei muss sich solche Aktivitäten zurechnen lassen.

    Armbrüster: Jetzt kann ich mir vorstellen, Herr Jesse, dass viele Leute sich denken, das sind wahrscheinlich alles ein paar Spinner, die den Wandel der Zeit nicht mitbekommen haben, die jetzt hier mit alt bekannten Phrasen um sich werfen. Aber muss man da wirklich Hunderttausende von Euro an Gehältern für hoch bezahlte Verfassungsschützer reinstecken?

    Jesse: Gut, das ist jetzt eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Aber ich muss natürlich sagen, ich bin auch verwundert über die jetzige öffentliche Verwunderung, denn wir wussten alle, Die Linke ja auch, sie hat ja eine Anfrage gestellt an die Bundesregierung im Jahre 2009, und da wurde gesagt, dass 27 Abgeordnete beobachtet werden. Das ist also gar nichts Neues. Insofern ist diese Diskussion etwas künstlich, die Empörung ist gespielt.

    Armbrüster: Aber die Frage war eher, lohnt sich dieser Aufwand für ein paar solche Äußerungen, die möglicherweise viele Leute für nicht ganz voll nehmen würden?

    Jesse: Na ja, diese Äußerungen sind klar verfassungsfeindlich und der Verfassungsschutz muss ja beobachten, ob die Partei Die Linke keine extremistische Partei mehr ist, oder ob sie noch in Teilen eine extremistische Partei ist, und das kann sie nur dann, wenn sie entsprechend die Äußerungen beobachtet, auch derer, die in der Partei das Sagen haben.

    Armbrüster: Professor Eckhard Jesse war das, Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz. Besten Dank, Herr Jesse, für dieses Interview.

    Jesse: Ja, bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.