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"Jetzt die Neuverschuldung deutlicher reduzieren"

Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes ifo, hält die momentane Konjunktur für ausgesprochen nachhaltig. Neben dem Boom beim Export habe auch die Investitionsgüternachfrage deutlich zugenommen. Wichtig wäre es in einer Phase sprudelnder Steuereinnahmen, den Schuldenbestand deutlich zu senken. Im Grunde sollte jetzt ganz auf Neuverschuldung verzichtet werden, betonte Sinn.

    Liminski: Die Wirtschaft blüht, die Arbeitslosigkeit sinkt, der Konsum belebt sich, die Politik reibt sich die Hände wegen der sprudelnden Steuereinnahmen. Nur die Börse ist nervös. Die Börse gilt auch als Frühwarnsystem, das sozusagen seismographisch herannahende Erschütterungen wahrnimmt. Wie robust ist die Konjunktur? Können wir uns jetzt Reformen am Arbeitsmarkt oder einen Mindestlohn leisten? Fragen, auf die wir jetzt Antworten erhoffen von Professor Hans-Werner Sinn, dem Präsidenten des ifo, des Wirtschaftsforschungsinstitutes in München. Guten Morgen Herr Sinn!

    Sinn: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Sinn, war der Minicrash an der Börse das Vorzeichen für einen Abschwung? Die Nervosität der Anleger ist ja immer noch da.

    Sinn: Ja, die Nervosität ist da, also eine gewisse allgemeine Unsicherheit ist gegeben.

    Liminski: Wie stabil und robust ist denn die Konjunktur, einmal weltweit und dann in Deutschland?

    Sinn: Also eigentlich sehr gut zur Zeit. Man muss sagen, in Friedenszeiten hatten wir nach dem Kriege überhaupt noch nie eine Situation, wo die großen Regionen der Welt so dynamisch gewachsen sind wie derzeit. Wir haben jetzt praktisch das vierte Jahr in Folge mit einem Wachstum von 5 Prozent. Anfang der siebziger Jahre hatten wir mal eine ähnlich gute Phase, aber so nachhaltig wie jetzt war das Wachstum auch da nicht. Also besser könnte es kaum sein.

    Liminski: Sämtliche Wirtschaftsbranchen in Deutschland haben in den letzten Jahren den Auslandsanteil am Gesamtumsatz vergrößert. Leben wir nur von der Weltkonjunktur, die in der Tat brummt, oder ist der Aufschwung nicht auch ein wenig selbsttragend?

    Sinn: Er ist auch selbsttragend. Der Export hat natürlich sehr stark zugelegt in den letzten Jahren, aber vor allem seit letztem Jahr haben wir einen starken Zuwachs auch bei der Investitionsgüternachfrage, und das ist nun mal ein ganz wichtiger Teil der Binnennachfrage, zwar nicht der größte, aber der konjunkturell wichtigste, denn das Auf und Ab der Wirtschaftskonjunktur kommt über die Investitionen, weil die sehr stark schwanken.

    Liminski: Nun hat der Chefvolkswirt der EZB Jürgen Stark neulich von einem extrem starken Wachstum im Jahr 2006 gesprochen, das sich in 2007 nicht wiederholen würde. Es werde eine leichte weltwirtschaftliche Abschwächung geben. Sehen Sie das auch so? Wie ist denn die Stimmung in den deutschen Unternehmen, was sagt Ihr Geschäftsklimaindex?

    Sinn: Ja, ist ein bisschen eingebrochen zu Beginn des Jahres. Das führen wir zurück auf die Mehrwertsteuererhöhung, glauben aber nicht, dass das nachhaltig ist. In der Summe glauben wir, dass Herr Stark Recht hat, die 2,7 Prozent Wachstum, die wir letztes Jahr hatten, kriegen wir dieses Jahr nicht noch mal, aber wir werden irgendwo bei knapp unter 2 Prozent landen, was ja auch schon ganz gut ist.

    "Schuldenbestand deutlich senken"

    Liminski: Noch brummt die Konjunktur, die Steuergelder sprudeln in die Kasse von Herrn Steinbrück. Dennoch sind weitere Schuldenaufnahmen geplant. Selbst 2011 sollen es immer noch deutlich über 10 Milliarden Euro sein. Ist das denn angesichts der jetzigen Situation Realismus oder mangelnder Sparwille? Muss man nicht eher Schulden abbauen oder zurückzahlen in dieser Zeit?

    Sinn: Ja, das wäre natürlich gut. Die Staatsschulden liegen ja bei etwa 68, 69 Prozent, und damit deutlich über dem 60-Prozent-Limit, das uns nach dem Maastrichter Vertrag erlaubt ist. Bei der Neuverschuldung halten wir uns jetzt zwar an das Limit, aber beim Schuldenbestand noch nicht, und da muss sich Deutschland schon sehr anstrengen, um diese Schuldenquote wieder unter 60 Prozent zu drücken. Das ist eine Anstrengung, die mehrere Jahre eigentlich eine Konsolidierungsstrategie verlangt, und nach meinem Eindruck wäre es nicht falsch, wenn man ganz auf die Neuverschuldung verzichten würde, ähnlich wie das Sachsen und Bayern ja im letzten Jahr getan haben.

    Liminski: Das würde aber voraussetzen, dass man stärker spart.

    Sinn: Das ist dasselbe in Grün, ja.

    Liminski: Und ist denn das überhaupt machbar in der jetzigen Konstellation?

    Sinn: Ja, das ist durchaus machbar, denn die Steuereinnahmen sprudeln ja. Man müsste jetzt nicht also immer wieder neue Programme finden, wie man das Geld unter die Leute bringt - das Geld ist ja jetzt offenbar vorhanden -, sondern sollte jetzt tatsächlich die Neuverschuldung deutlicher reduzieren noch, als es geschehen ist. Ich meine, man muss positiv sagen, sie ist reduziert worden durch den Konjunkturaufschwung, muss man das nicht nur negativ sehen. Wir hatten ja 2005 noch eine Verletzung der 3-Prozent-Grenze bei der Nettoneuverschuldung, und wir sind jetzt irgendwo im Bereich knapp über 1 Prozent. Ich würde mich freuen, es wäre noch niedriger, denn so gut wie jetzt bleiben die Zeiten ja nicht. Es kommt ja irgendwann auch wieder die Flaute, dann gehen die Steuereinnahmen wieder zurück, und dann müsste man eigentlich ein gewisses Polster haben bei der Neuverschuldung, so dass man ohne weitere Steuererhöhungen durch die konjunkturelle Delle kommt.

    Liminski: Sollte man, solange es gut geht und die Mehrheiten stabil sind, nicht auch Reformen am Arbeitsmarkt durchziehen? Einige Vorschläge liegen ja auf dem Tisch, Zuschüsse für die Einstellung junger Arbeitsloser, Kombilohn, vielleicht auch eine weitergehende Entbürokratisierung. Ist jetzt nicht der Moment dafür gekommen?

    "Sozialstaat konkurriert mit dem Arbeitsmarkt"

    Sinn: Ja, ja, das ist nun eine suggestive Frage, die Sie stellen, aber die kann ich auch nur bejahen, denn Reformen sind häufig auch etwas mühsam in der Anfangsphase, bringt einiges durcheinander, und das kann man noch leichter verkraften, wenn die Situation am Arbeitsmarkt gut ist. Also Schröder hat die Reformen angefangen, das war recht mutig, führte überhaupt noch nicht weit genug. Wir müssen diese Reformen weiterführen.

    Für meine Begriffe müssen wir einen neuen Sozialstaat, der in unheilvoller Art und Weise mit dem Arbeitsmarkt konkurriert. Bislang der Sozialstaat zahlt ja Lohnersatzleistungen, das ist Geld, welches man bekommt, wenn man nicht arbeitet, und dieses Geld ist praktisch ein Konkurrenzlohn, den die private Wirtschaft überbieten muss. Wir haben also praktisch einen Mindestlohn in Deutschland, und den haben wir aufgebaut über die letzten Jahrzehnte. Dieser Mindestlohn, dieser implizite faktische Mindestlohn in Deutschland hat uns die Massenarbeitslosigkeit beschert, und da müssen wir irgendwie runter.

    Wir müssen die Löhne wieder flexibler machen und wir müssen denen, die dann irgendwie das Nachsehen haben und die zu den Verlierern dieser Flexibilität gehören, einen Zuschuss geben, so dass sie in der Summe aus diesem staatlichen Zuschuss und dem eigenen Lohn ein Gesamteinkommen erzielen, welches unseren sozialen Vorstellungen genügt. Also die Devise müsste eigentlich sein: Mindesteinkommenssicherung statt Mindestlohnsicherung. Beides ist nicht dasselbe.

    Liminski: Halten Sie die jetzige Diskussion über den Mindestlohn also für überflüssig?

    Sinn: Ja, die halte ich für völlig verfehlt, weil wir doch nun über Jahrzehnte hinweg die Erfahrung mit dem impliziten Mindestlohn gemacht haben, den wir in Deutschland über das staatliche Sozialsystem. Wenn der Staat Geld fürs Nichtstun zahlt und dieses Geld nicht mehr zahlt, wenn man arbeitet, dann ist das ein Mindestlohn. Die Privatwirtschaft muss diesen Lohn überbieten, sonst kriegt sie keine Leute. Und dieser Mindestlohn, den wir hatten in Deutschland, hat uns die Massenarbeitslosigkeit beschert. Jetzt werde ich doch nicht einen draufsetzen und zu dem impliziten Mindestlohn auch noch einen juristischen, gesetzlichen Mindestlohn hinzugesellen. Dann mache ich es ja nur schlimmer.

    "Man muss bei den Löhnen Bescheidenheit üben"

    Liminski: Die fetten Gewinne der Unternehmen üben einen starken Anreiz auf die Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen aus. Ist das nicht zu verstehen?

    Sinn: Das ist völlig zu verstehen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten. Das Problem ist nur, dass die Kräfte der Globalisierung, die Niedriglohnkonkurrenz aus den exkommunistischen Ländern, die Löhne für einfache Arbeit hier unter Druck setzen und den Unternehmen immer höhere Gewinne eigentlich verschaffen, während auf der anderen Seite eben Verlierer da sind. Dieser Prozess hat mit Gerechtigkeit wirklich nichts zu tun, aber ihn dadurch zu bekämpfen, dass man jetzt künstlich Lohnanforderungen setzt, die der Markt nicht hergibt, die diesen neuen Wettbewerbsverhältnissen nicht entsprechen, das geht ja nun gar nicht, denn das führt ja zu immer mehr Massenarbeitslosigkeit. Dieser Weg ist nicht möglich.

    Es geht nur ein anderer Weg: Man muss bei den Löhnen Bescheidenheit üben, im Bereich der einfachen Arbeit jedenfalls, wir reden ja auch über die Lohnspreizung zwischen oberen und unteren Löhnen, die größer werden müsste, und dann muss man den unteren Löhnen noch was hinzugesellen, ein staatliches Kombilohneinkommen, eine Subvention, die hinzutritt, so dass in der Summe aus beiden Lohnkomponenten das richtige Gesamteinkommen entsteht. Noch mal: Das ist die Devise.

    Liminski: Reformen angehen, solange wir noch können und die Konjunktur das erlaubt. Das war Professor Hans-Werner Sinn, der Präsident des IFO-Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Danke für das Gespräch, Herr Sinn.

    Sinn: Gerne.