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"Jetzt müssen wirklich die Griechen liefern"

Der Geduldsfaden sei sehr dünn geworden, sagt der Europaparlamentarier Markus Ferber (CSU). Das griechische Parlament habe zwar alle Forderungen erfüllt, "aber Parlamentsbeschlüsse lösen in der Verwaltung in Griechenland scheinbar nichts aus."

Markus Ferber im Gespräch mit Christiane Kaess | 16.02.2012
    Christiane Kaess: Wie lange reicht die Geduld der EU-Politiker noch, und auf der anderen Seite, wie lange ist man in Griechenland selbst bereit, das dort als Spardiktat empfundene Programm noch mitzumachen? Am Telefon ist Markus Ferber. Er ist Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Guten Tag!

    Markus Ferber: Schönen guten Tag!

    Kaess: Herr Färber, wie viel Vertrauen haben Sie noch in Griechenland?

    Ferber: Wir sind natürlich schon enttäuscht. Es sind jetzt fast zwei Jahre, dass Griechenland um Hilfe gebeten hat und eine Reihe von Zusagen getroffen hat. Und wenn man sich die Realität seit dem Frühjahr 2010 in Griechenland anschaut, hat sich fast nichts geändert. Und deswegen ist der Geduldsfaden sehr, sehr, sehr dünn geworden.

    Kaess: Aber im Moment hat man doch alle Forderungen erfüllt soweit?

    Ferber: Bisher wurden immer alle Forderungen durch Parlamentsbeschlüsse erfüllt, aber Parlamentsbeschlüsse lösen in der Verwaltung in Griechenland scheinbar nichts aus. Viele Dinge, die zugesagt wurden, haben nicht die Effekte gehabt, die zugesagt wurden. Wenn Sie allein das Privatisierungsprogramm sich anschauen, wo gegenüber dem Internationalen Währungsfonds Verpflichtungen eingegangen wurden, das sich jetzt als nicht haltbar herausstellt, wenn Sie sich anschauen, wie die Steuereintreibung nach wie vor den Vorgaben hinterherhinkt, die sich das Finanzministerium selber gesetzt hat, dann sehen Sie nur an diesen zwei Stellen, dass Parlamentsbeschlüsse und Briefe der Parteivorsitzenden alleine nicht ausreichen, um in diesem Land Strukturen zu verändern.

    Kaess: Ist es jetzt vor diesem Vordergrund, dass Deutschland jetzt eine Freigabe des zweiten Rettungspaketes für das krisengeschüttelte Griechenland einen überzeugenden Vertrauensbeweis von den Spitzenpolitikern in Athen fordert? Wie könnte der dann aussehen?

    Ferber: Wir erwarten selbstverständlich, dass die Athener Regierung an den Stellen, die ich gerade benannt habe, mehr Kooperationsbereitschaft zeigt und deswegen auch in der …

    Kaess: Was heißt Kooperationsbereitschaft?

    Ferber: Ja, gut, wenn sie nicht in der Lage sind, Grundbücher herzuschaffen, dann muss das extern gemacht werden, und wenn sie nicht bereit sind, in der Steuergesetzgebung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, mal ein einheitliches Softwaresystem und ein einheitliches Computersystem zu installieren – das sind alles Dinge, die man innerhalb der letzten zwei Jahre hätte machen können –, dann müssen sie auch zugestehen, dass das von Externen gemacht werden muss.

    Kaess: Sollte man das Geld erst geben, wenn Konkretes umgesetzt worden ist?

    Ferber: Wir haben natürlich die andere Situation, dass zum Ende des Monats rund 14 Milliarden Euro an Staatsschulden fällig werden. Wenn Griechenland diese Staatsschulden nicht bedient, ist es faktisch pleite, und von daher ist ein gewisser Zeitdruck auch für die Troika, also auch für die Europäische Union und für die Finanzminister vorhanden. Aber noch mal …

    Kaess: Das heißt, eine Pleite ist keine Option?

    Ferber: Eine Pleite ist keine Option, weil es einen unkontrollierbaren Mechanismus auslöst, der auch für den deutschen Steuerzahler wesentlich riskanter ist, als die Hilfspakete unter den Konditionen, wie sie bisher geschnürt wurden.

    Kaess: Mit welcher Entscheidung am Montag der Euro-Finanzminister rechnen Sie denn?

    Ferber: Ich gehe davon aus, dass vonseiten der griechischen Administration weitere Zusagen gemacht werden in konkreten Aktionsplänen, was bis wann an welcher Stelle in den einzelnen Ministerien umgesetzt wird, und wenn dies entsprechend vorliegt, dann gehe ich davon aus, dass das Hilfspaket auch entsprechend verabschiedet werden kann.

    Kaess: Auf der anderen Seite sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Eurozone könne eine Pleite des Landes heute besser verkraften als vor zwei Jahren.

    Ferber: Das ist sicherlich richtig, ja, und das zeigt auch, dass sich die Mitgliedsstaaten, die Banken, die Versicherungen, auf einen möglichen Ausfall Griechenlands vorbereitet haben, und das heißt, das Erpressungspotential Griechenlands – ihr könnt uns ja nicht pleitegehen lassen – ist geringer geworden. Jetzt müssen wirklich die Griechen liefern.

    Kaess: Herr Ferber, muss man denn nicht auf der anderen Seite auch mal anerkennen, was geleistet wurde? Wir hören mal in ein Zitat rein von Dora Bakoyannis. Sie ist frühere Außenministerin Griechenlands, und sie hat heute Morgen bei uns im Programm Folgendes gesagt.

    Dora Bakoyannis: Es ist von keinem Land so viel verlangt worden als von Griechenland in einer so kurzen Zeit! Es ist irrsinnig schwer, das Volk leidet sehr. Wir haben eine Million Arbeitslose.

    Kaess: Dora Bakoyannis, frühere Außenministerin Griechenlands. Herr Ferber, vor diesem Hintergrund noch mal die Frage: Muss man nicht anerkennen, was bisher geleistet wurde?

    Ferber: Ja, natürlich wird anerkannt, was geleistet wurde, aber ich glaube schon, dass es für einen modernen Staat selbstverständlich ist, dass man die Zahl seiner Beschäftigten im öffentlichen Dienst kennt, dass es selbstverständlich ist, das Menschen, die verstorben sind, keine Rente mehr ausbezahlt wird, dass es möglich sein muss, ein Grundstück zu erwerben, um darauf zu investieren, dass im Bereich der Ausbildung Maßnahmen ergriffen werden, die die Jugendarbeitslosigkeit dämmen. Die Europäische Union stellt für all diese Dinge auch Mittel zur Verfügung, und Griechenland ruft die Mittel nicht ab, hat sie in der Vergangenheit nicht abgerufen. Hier sind so viele Versäumnisse zusammengekommen, dass es auch zu rechtfertigen ist, ein so umfassendes und schmerzliches Sparprogramm abzuverlangen.

    Kaess: Das heißt, so etwas wie ein "Marshallplan" in Anführungsstrichen, der jetzt öfter diskutiert wird, wäre eigentlich schon vorhanden – hab' ich das richtig verstanden?

    Ferber: Es ist so, dass Griechenland noch rund 16 Milliarden Euro an Strukturfonds-Mitteln abrufen kann. Wir haben ja die Bedingungen für die Co-Finanzierung zugunsten Griechenlands verändert, sodass der Co-Finanzierungsanteil auf fünf Prozent reduziert wurde, und die Mittel fließen trotzdem nicht ab. Das heißt, hier ist die Europäische Union solidarisch, es muss aber auch von der Verwaltung in Griechenland entsprechend Programme aufgelegt werden, dass diese Mittel in Ausbildung, Weiterbildung, Qualifikation, Infrastrukturverbesserung fließen.

    Kaess: Es ist nicht nur der griechische Finanzminister Venizelos, der einen finanziellen Untergang fürchtet, weil er sagt, das reißt auch die Demokratie mit in den Abgrund. Machen Sie sich Sorgen angesichts der Szenen und der Gewalt auf den Straßen Athens?

    Ferber: Natürlich macht uns das große Sorgen, wir haben auch diese Woche im Europäischen Parlament darüber debattiert, ich habe mich selber an dieser Debatte auch beteiligt, und das war unisono die Meinung der Kolleginnen und Kollegen, dass wir das sehr ernst nehmen müssen und den Menschen ja auch Perspektive geben müssen. Und von daher …

    Kaess: Perspektive – wie genau?

    Ferber: Ja, dass sie auch wirtschaftlich wieder partizipieren können, dass wir mithelfen müssen, dass Griechenland wirtschaftlich wieder einen Boden unter die Füße bekommt.

    Kaess: Und wie da genau? Den Marshallplan haben wir schon angesprochen.

    Ferber: Ja, genau mit diesen Dingen, Infrastrukturverbesserungen im Bereich der Ausbildung, Qualifikation muss was gemacht werden, im Bereich der Energieversorgung muss was gemacht werden, die Griechen müssen mal anfangen, auch ihre Telekommunikationsmärkte zu liberalisieren, die Energie …

    Kaess: Das alles mithilfe der EU?

    Ferber: Das alles mithilfe der EU. Das ist verabredet, es muss nur abgerufen werden.

    Kaess: Markus Ferber war das. Er ist Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ferber!

    Ferber: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.