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Jimmy Schulz: Es gibt noch sichere Verschlüsselungsmethoden

Bestimmte Methoden zur E-Mail-Verschlüsselung könnten auch weiterhin nicht geknackt werden, sagt der FDP-Politiker Jimmy Schulz. Nach den neuesten Enthüllungen über die Entschlüsselungsfähigkeiten der US-Geheimdienste fordert er aber Aufklärung und Verhandlungen über Datenschutzabkommen.

Jimmy Schulz im Gespräch mit Thielko Grieß | 07.09.2013
    Thielko Grieß: Digitale Kommunikation kann mitgelesen, mitgehört werden. Dieser Leitsatz, diese Warnung hat sich in den vergangenen Monaten wohl bei vielen im Hinterkopf festgesetzt. Zu deutlich waren die vielen Veröffentlichungen, die auf Edward Snowden zurückgehen, den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter. Und zu begrenzt waren die Dementis der US-amerikanischen und britischen Behörden, begrenzt auch die Erklärungen aus der Politik beider Länder. Und weil mitgelesen werden kann, haben viele darauf vertraut, es gebe ja noch eine Möglichkeit, Geheimes geheim zu lassen: Man müsse es nur verschlüsseln! Aber auch zu diesen Schlössern haben die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ angeblich in vielen Fällen den Schlüssel, so Medienberichte von gestern.
    Am Telefon ist jetzt einer, der vor noch einigen Tagen in Berlin sogenannte Cryptopartys veranstaltet hat. Da konnten Bundestagsabgeordnete und andere Interessierte erfahren, wie sie ihre Daten verschlüsseln. Organisiert hat das unter anderem Jimmy Schulz, FDP-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Innenausschuss, guten Morgen!

    Jimmy Schulz: Guten Morgen!

    Grieß: Haben Sie auf den Partys den Besuchern Tricks beigebracht, die nun doch nicht funktionieren?

    Schulz: Nein, ich gehe davon aus, dass die wirkliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wie zum Beispiel die E-Mail-Verschlüsselung mit GNU Privacy Guard, also PGP, weiterhin als sicher gilt und auch weiterhin nicht geknackt werden kann.

    Grieß: Aber wir halten fest, Dinge wie Online-Banking et cetera, das ist doch löchriger, als wir das bis gestern gedacht hatten?

    Schulz: Ja, das ist also wirklich eine schlimme Nachricht, wenn das sich bewahrheiten sollte. Ich habe bis jetzt auch noch keine technischen Details erfahren, aber das legt den Verdacht nahe, dass Websurfen sicher, also die Kommunikationsverschlüsselung beim Websurfen per SSL, knackbar ist. Wenn dem so ist, dass die das wirklich können, dann würde das wesentliche Grundpfeiler des Internets aushöhlen.

    Grieß: Sie haben gerade eine Methode, eine Technik genannt, die Sie noch für sicher halten. Aber Herr Schulz, da wird mit Milliardenaufwand versucht seitens der Geheimdienste offenbar, das zu knacken. Da darf ich doch misstrauisch bleiben, oder?

    Schulz: Na ja, es ist, wenn man sich länger damit beschäftigt, schon so, dass die Verschlüsselungstechnologie, die zum Beispiel GNU Privacy Guard verwendet, als sicher gilt, also auch mathematisch als sicher gilt. Das, was SSL zum Beispiel macht, wäre angreifbar an den Stellen, die die Zertifikate austeilen.

    Grieß: Ich habe die Alternative, auf diese Methoden auszuweichen, dazu gibt es Anleitungen. Aber ich muss sozusagen einwenden, Herr Schulz, als privater Anwender, der sich nicht täglich damit beschäftigt, ist das doch relativ kompliziert, oder?

    Schulz: Es ist vor allem jetzt kompliziert zu durchschauen, was ist noch sicher und was ist nicht mehr sicher. Und das, glaube ich, ist die große Gefahr im Moment, dass eine erhebliche Verunsicherung da ist. Denn nicht jeder kann sich da voll jeden Tag informieren und hineinlesen, sodass es eben grundsätzlich eine tiefgreifende Verunsicherung gibt, ein Misstrauen, und damit natürlich das ganze Internet in Gefahr ist. Denn wenn wir nicht mehr sicher sind, dass wir Online-Banking sicher machen können, dass wir viele andere Transaktionen nicht mehr sicher machen können, ist das natürlich auch nicht nur für Bürgerinnen und Bürger und durch den Eingriff in ihre Privatsphäre ein hohes Risiko beziehungsweise ein Problem, sondern natürlich auch für die gesamte Wirtschaft, die auf dem Internet basiert.

    Grieß: Was folgt daraus?

    Schulz: Ich glaube, wir müssen ganz klar und schnell folgende vier Schritte machen: Erstens, ich will und erwarte und fordere restlose Aufklärung. Wir müssen wissen, was da passiert, was die machen können, wer was, auf welcher Basis welcher Gesetze macht. Wir müssen zweitens internationale Abkommen treffen und das heißt Verhandlungen aufnehmen. Ich finde da die Idee von dem Ex-BND-Präsident Geiger ganz charmant zu sagen, wir machen einen Intelligence Codex, also eine Kodifizierung, und zwar unter Freunden. Das heißt, Europäische Union und zum Beispiel NATO. Ich fand die Idee von Viviane Reding, zu sagen, wir machen auf europäischer Ebene was hier mit einer ganz klaren Datenschutzverordnung, das halte ich auch für den richtigen Weg. Wir müssen aber international natürlich auch weiter verhandeln, wir müssen das auch auf große Vereinten-Nationen-Ebene heben, zum Beispiel im Rahmen des Internet Governance Forum. Wir werden nicht mit jedem Staat auf dieser Erde ein Abkommen treffen, dass sie sofort aufhören, hier in Deutschland zu spionieren, das halte ich für utopisch. Aber wenigstens unter Freunden sollte man das doch hinbekommen.

    Grieß: Drittens?

    Schulz: Drittens glaube ich, dass wir vielleicht auch einfach mal grundsätzlich überlegen sollten, ob wir unsere Daten wirklich immer in die weite Welt verschieben müssen oder ob wir die, wie Reding sagt, in Europa lassen oder zum Beispiel auch auf deutschem Boden lassen, da sind sie geschützt vom Grundgesetz und da sind sie geschützt durch die hohen Datenschutzstandards in Deutschland. Und viertens sichere Verschlüsselungsmethoden auch anwenden, die Daten müssen, sobald sie das Haus verlassen, genauso selbstverständlich wie ich das Auto absperre, auch die Daten abgesperrt werden, also verschlüsselt werden. Es gibt noch sichere Methoden, die sollten wir anwenden, die sollten wir nutzen.

    Grieß: Herr Schulz, schauen wir auf Ihren ersten Punkt: Sie fordern restlose Aufklärung. Ich habe vor wenigen Tagen noch aus Ihrer Regierung, von dem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erklärt, er halte die – und er erkläre vor allem –, die NSA-Affäre für beendet. Gestern dann der Regierungssprecher Georg Streiter: kein Handlungsbedarf seitens der Regierung!

    Schulz: Ja, das halte ich für Quatsch. Ich glaube, dass wir hier noch einen Riesenberg an Aufklärung vor uns haben.

    Grieß: Wie wollen Sie Ihren Koalitionspartner, die Union dazu bewegen, das ähnlich zu sehen?

    Schulz: Ich glaube, dass dort auch mittlerweile Nachdenken eingesetzt hat. Ich halte das angesichts auch der jüngsten Enthüllungen für unwahrscheinlich, dass wir hier nicht weiter arbeiten sollten. Sondern dass wir sehr wohl den Kontakt zu den Amerikanern, zu den Briten suchen müssen. Und ich habe auch meinen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel aus den Parlamenten schon Briefe geschrieben, weil ich glaube, das sollten wir nicht nur auf Regierungsebene tun, sondern auch auf Parlamentsebene tun. Die Parlamente kontrollieren ja die Regierung, das ist ja ihre vornehmste Aufgabe. Deswegen glaube ich, dass wir auf allen Ebenen für schnellstmögliche Transparenz und Aufklärung sorgen müssen.

    Grieß: Es könnte sein, dass da noch sehr viel Arbeit vor Ihnen liegt, was die Innenpolitik angeht. Aber Punkt zwei, den Sie genannt haben, war ja unter anderem die Ebene der Europäischen Union, Datenschutz dort zu verankern. Sie haben Viviane Reding zitiert, ich zitiere ein anderes Zitat von ihr, gestern: Sie sagt, Datenschutz sollten wir schnellstens umsetzen und lösen in Europa, aber ohne die Briten, die haben offenkundig daran kein Interesse! Lassen Sie auch die Briten außen vor?

    Schulz: Ich glaube, wir sollten zuerst mal mit den Briten darüber reden, ob es einen gemeinsamen Weg gibt. Ich meine, wir sollten erst mal einen gesamteuropäischen Weg versuchen, und wenn das nicht funktioniert, eine andere Variante suchen.

    Grieß: Haben Sie in den vergangenen Wochen irgendetwas aus London gehört, das in irgendeiner Form konziliant gewesen wäre?

    Schulz: Bis jetzt nicht, nein.

    Grieß: Heute in Berlin findet eine Demonstration statt: 30.000 Menschen werden erwartet, organisiert von Opposition und Gewerkschaften. Das Thema: "Freiheit ohne Angst". Es geht auch um Datenschutz. Jemand wie Sie, wenn ich Ihnen jetzt genau zugehört habe, müsste doch dort eigentlich auch hingehen?

    Schulz: Ja, das werde ich auch tun. Außerdem ist sie nicht nur von der Opposition organisiert, sondern die FDP ist ja Unterstützer dieser Veranstaltung.

    Grieß: Ich bedanke mich für das Gespräch! Jimmy Schulz, Internetpolitiker und Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, FDP-Politiker, vielen herzlichen Dank für das Gespräch heute Morgen!

    Schulz: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.