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Joachim Zelter: "Untertan"
Der moderne Duckmäuser

Angelehnt an Heinrich Manns "Der Untertan" hat Joachim Zelter seine Version eines Mannes erschaffen, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Dieser Schnelldurchlauf durch die Zeit ab den 70er-Jahren hat einigen Erkenntniswert.

Von Sabine Peters | 31.01.2014
    Es verrät hohe Ambitionen, wenn Autoren sich in ihren Romanen auf berühmte alte Stoffe beziehen und sie neu gestalten; dabei gibt es Adaptionen, die ihrerseits längst in den Rang von Klassikern aufgestiegen sind. So hat etwa der amerikanische Schriftsteller E.L Doctorow mit seinem Roman "Ragtime" die Geschichte von Kleists Michael Kohlhaas aufgegriffen und in die Vereinigten Staaten zu Anfang des 20 Jahrhunderts verlegt.
    Joachim Zelter, Jahrgang 1962, hat soeben einen Roman mit dem anspielungsreichen Titel "Untertan" veröffentlicht. Zur Erinnerung: In Heinrich Manns Roman "Der Untertan" ging es um einen Duckmäuser, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Dieser Antiheld verkörperte anschaulich "den" deutschen Mann in Kaiserzeiten; eine Natur, die später als "autoritärer Charakter" bezeichnet wurde. Joachim Zelters neues Buch umfasst den Zeitraum von den Siebzigerjahren bis heute, und es will die Entwicklung eines modernen Untertanen deutlich machen.
    Ein verträumtes Kind, das nicht funktioniert
    Zelter hat sich schon in vorausgegangenen Büchern mit der Zurichtung des Einzelnen im Hier und Heute befasst, ob es dabei um herumgeschubste Arbeitslose ging oder um einen Ministerpräsidenten, der sein Gedächtnis verlor und seine Rolle nicht mehr spielen konnte.
    Der zweifelhafte Held des neuen Romans heißt Friederich Ostertor. Seine Eltern sind behäbige, solide Vertreter des Mittelstandes, der für sie den Nabel der Welt darstellt. Friedrich ist ein verträumtes Kind, das in der Schule nicht funktioniert und deshalb auf ein Internat kommt - und zwar auf eines der Institute, die sich auf verkommene Söhne aus gutem Haus spezialisiert haben. Selbst der Dümmste wird hier mithilfe von Bestechungsgeldern und Vitamin B durchs Abitur gepaukt.
    Friederich leidet unter seinen Mitschülern, die ihn zu ihrem Hofnarr machen und ihm diverse Dienstleistungen abverlangen. Als vollkommen verwaschene, willenlose Natur weiß er nach der Schule kein geeignetes Studienfach, deshalb schreibt er sich in Soziologie ein. Zelters Schilderung der Studienjahre ist eine boshafte und komische, aber teilweise auch etwas grobe Parodie auf die Generation der Nach-68er an den Unis. Strickende Studentinnen, undurchschaute linke Theorien, gestelztes Gequatsche - so hat sich das der Stammtisch immer schon gedacht.
    Die alte Mittelklasse hat ausgespielt
    In Friederichs Umfeld taucht der frühere Schulkamerad Conti auf. Ein Blender, der nichts tut, aber von allen bewundert wird. Friedrich schreibt ihm eine Doktorarbeit, wird sein Assistent und bleibt auch später, als Conti in ungeahnte Höhen aufsteigt, sein diensteifriges Werkzeug. Zeit läuft. Der Neoliberalismus wird zur vorherrschenden Theorie und Praxis; die alte Mittelklasse hat ausgespielt. Conti ist an vorderster Front unterwegs, um den Segen des deregulierten Weltmarkts und die Unvermeidlichkeit von Sparprogrammen zu verkünden. Alles wird auf seinen Geldwert reduziert, und daher kann man nicht nur Häuser, nicht nur Wasser und Menschen verkaufen – warum nicht gleich auch noch die Sprache? Als der mächtige Conti Friedrich eines Tages fallen lässt, verliert der jeden Lebenssinn, geht ins Wasser und stirbt. Ein perfekter Untertan.
    Nun könnte man dem Roman entgegenhalten: Das Aufgehen in einem Conti, die Überidentifikation mit einem "Höherem", Stichwort "Wir sind Papst", ist eher ein gesellschaftliches Oberflächenphänomen; wie auch der Kult, den die Anhänger eines zu Guttenberg von ihrem Idol machten. Und außer im Billiglohnbereich wird kaum ein Unternehmer behaupten, er suche untertänige Mitarbeiter. Die neoliberale Rhetorik setzt doch gerade auf selbstständige, markante, "authentische" Persönlichkeiten, auf die Fähigkeit, sich zu positionieren und zu profilieren. Zu den Umwälzungen, die in nahezu allen Arbeitsbereichen stattfinden, gehört es, dass die Trennungslinie zwischen Herr und Knecht nicht mehr säuberlich zu ziehen ist: Der Herr ist sein eigener Knecht, und der Knecht beherrscht sich.
    Trotz dieses Einwandes hat Joachim Zelters Schnelldurchlauf durch die Zeit ab den Siebzigerjahren einigen Erkenntniswert: Ohne dass der Autor die Theorien des Soziologen Pierre Bourdieu von der Kanzel herab doziert, zeigt sein Roman, welche Bedeutung neben dem ökonomischen auch das soziale, symbolische und kulturelle Kapital haben - für einen Conti werden Beziehungen eben nach ihrem Geldwert geschätzt und entsprechend geführt.
    Nur noch ein Personalproblem
    Der Reiz dieses Buchs liegt in seinem Wechsel zwischen Komik und Tragik: Hat man eben noch gelacht über die sogenannte Generation gerne, die so beflissen nicht nur alles tut, sondern das auch noch gern oder sehr gern, so bleibt einem das Lachen im Hals stecken, wenn der tumbe Friedrich eines Tages nur noch ein Personalproblem darstellt, oder wenn die Eltern nicht begreifen, dass ihre Welt im Untergehen begriffen ist.
    Man staunt anhand von zahlreichen, knapp und präzis formulierten Details, wie sehr sich die Gesellschaft verändert hat - als sei man unterwegs auf einer Zeitreise. Denn es sind nicht die oft weit entfernt stattfindenden Großereignisse, nicht die markanten Daten, die unseren Alltag bestimmen und mit denen man umzugehen hat. Es sind Kleinigkeiten, jede für sich allein genommen unscheinbar, die aber zusammengesetzt noch einmal deutlich machen, wie sehr ein jeweiliges Sein das Bewusstsein verändert und bestimmt. Damit wirft Joachim Zelter ganz unter der Hand die Frage auf, was eigentlich unter Normalität zu verstehen ist. Es ist ja nicht nur "die Jugend", die derzeit oft von oben herab als biedermeierlich kritisiert wird. Auch für die Generation, die in den rebellischen sechziger, Siebzigerjahren heranwuchs, ist Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung und Anpassungsbereitschaft zum Imperativ, zur Normalität geworden.
    Einmal kommt Friedrich der Gedanke, was wohl wäre, wenn er schreien, wenn er opponieren könnte - wenn also dieser Untertan zu einem Bewusstsein seiner selbst käme. Aber der Gedanke zerfasert in seinem Kopf. Zelters Roman ist konsequent erzählt und kommt dabei leicht und verspielt daher; ein Lesevergnügen, das dabei auch noch zu denken gibt - was will man mehr.
    Joachim Zelter: "Untertan". Klöpfer & Meyer, 220 Seiten, 19,50 Euro.