Montag, 29. April 2024

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"Jörg Haider ist ein Populist"

Heinemann: Reisen bildet. Michael Glos schnürt heute seine Stiefel und macht sich zusammen mit zwei Fraktionskollegen auf den Weg nach Wien. Der CSU-Landesgruppenvorsitzende will auf seine Weise demonstrieren - nicht gegen schwarz-blau, sondern gegen rot-grün, gegen eine Ächtung der politischen Führung der Alpenrepublik durch die Bundesregierung und anderer Staaten der Europäischen Union. Glos wird in der österreichischen Hauptstadt im Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Kanzler Wolfgang Schüssel, Außenministerin Benita Ferrero-Waldner und anderen Politikern der Österreichischen Volkspartei zusammentreffen. Zugleich kündigte der CSU-Politiker an, dass das Verhalten gegenüber Österreich nächste Woche Thema einer ausführlichen Bundestagsdebatte sein wird. Dazu verlangte er eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder. Am Telefon ist jetzt Alois Glück, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag.

10.02.2000
    Glück: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Glück, zunächst einmal: Was halten Sie von Jörg Haider?

    Glück: Ich halte Jörg Haider für einen Populisten, für einen Menschen und Politiker ohne klares Koordinatensystem. Er ist ein Mensch, der es sehr gut versteht, Stimmungen und Ängste der Menschen zu instrumentalisieren. Ich halte ihn im Kern weniger für einen Radikalen.

    Heinemann: Die CSU - und überhaupt die Union - ist ja gegen die EU-Sanktionen. Aber muss man jemanden, der sich - wie Haider - immer wieder der Sprache der Nazis bedient, nicht politisch ächten?

    Glück: Man muss sich politisch auseinandersetzen. Der Versuch, zu ächten, führt nur dazu, dass sich all diejenigen, die dies gegenwärtig betreiben oder versuchen - auch bei Diskussionen bei uns im Lande -, nicht damit auseinandersetzen: Warum hat der Mann Zulauf, warum hat die Partei Zulauf? Und es sind am allerwenigsten von diesen Wählern Menschen mit irgendwelchen nationalistischen Motiven. Übrigens hat Haider bei einem Volksbegehren, das er angestrebt hat gegen den Beitritt zur Europäischen Union, nur 7 - Komma noch was Prozent in Österreich mobilisiert. Ich finde, dies Verweigern der Auseinandersetzung, der geistigen Auseinandersetzung und der Versuch zu ächten, wird ihn nur noch mehr zum Märtyrer machen. Und wir haben ja keine Beziehungen mit Herrn Haider oder mit der FPÖ, sondern mit dem Staat Österreich. Und das ist eine gefestigte Demokratie, das ist ein gefestigter Rechtsstaat. Und im übrigen: Die ÖVP hat Österreich in die Europäische Union geführt. Es war nicht die SPÖ. Die ÖVP tritt dafür ein, dass Österreich der NATO beitreten soll. Wir vertrauen auf die ÖVP. Ich habe volles Verständnis für alle, die sagen: ‚Vorsicht, diese Entwicklung muss man genau anschauen'. Aber mit Drohungen zu arbeiten, mit Vorverurteilungen - also, da kann ich nur sagen: Das ist ein europäischer Vorgang, der über Österreich hinaus von Bedeutung ist.

    Heinemann: Warum hat Haider Zulauf, wenn die ÖVP so eine - wie Sie sie geschildert haben - erfolgreiche Partei ist?

    Glück: Die ÖVP ist erfolgreich im Hinblick auf die Themen, die ich genannt habe. Aber offensichtlich haben sowohl SPÖ wie ÖVP die sozialen Fragen möglicherweise nicht ausreichend genug aufgegriffen. Tatsache ist, dass die FPÖ heute in Österreich die Partei ist, die in der Wählerschaft den höchsten Arbeiteranteil hat - nicht mehr die SPÖ, man muss sich das einmal vorstellen. Man kann doch nicht davon ausgehen, dass all diejenigen, die früher SPÖ gewählt haben und jetzt FPÖ wählen, plötzlich Radikale sind. Da ist diese ganze Problematik der Vermengungen und Vermischung von Ängsten und sozialen Konflikten - die Zuwanderer, die Ausländer, Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt. Man muss diese Ängste ernst nehmen. Wir haben von Seiten der CSU die Radikalen immer erfolgreich bekämpft, weil wir die Wähler ernst genommen haben und sie parteipolitisch bekämpft haben. Und so - glaube ich - ist der einzige erfolgversprechende Weg.

    Heinemann: Herr Glück, Sie haben Haider gerade als Populisten, als Mann ohne Koordinatensystem bezeichnet. Kann man mit einem solchen Menschen eine Koalition eingehen? Er dominiert seine Partei sehr stark, das wissen Sie. Macht man ihn damit nicht hoffähig?

    Glück: Es geht nicht mehr um die Frage ‚hoffähig machen', wenn jemand in seinem Bundesland über 40 Prozent der Stimmen hat. Was wäre denn die Alternative gewesen? Neuwahlen? Da wäre Haider und die FPÖ die stärkste Gruppe. Die große Koalition hat keinen gemeinsamen Nenner mehr gefunden und war in der letzten Legislaturperiode am Schluss schon ausgeblutet. Im übrigen hat den vereinbarten Koalitionsvertrag dann die SPÖ abgelehnt, und nicht die ÖVP. Man muss jetzt das Regierungsprogramm genau beobachten, und daran muss man die Partei messen und man muss auch den Herrn Haider messen. Und da liegt nun natürlich auch eine besondere Verantwortung bei der ÖVP.

    Heinemann: Hat er sich je an Programme gehalten?

    Glück: Er muss sich an das Regierungsprogramm halten, ansonsten wird die Regierung scheitern. Und das wäre sowohl für die ÖVP wie für die FPÖ wahrscheinlich eine mittlere Katastrophe.

    Heinemann: Herr Glück, Bundeskanzler Schröder wirft Ministerpräsident Stoiber eine ‚problematische politische Nähe' zum FPÖ-Vorsitzenden Haider vor. Beim Thema ‚Ausländer' spreche er - Stoiber - eine ähnliche Sprache wie Haider. Das sagte Schröder im Magazin STERN. Was sagen Sie dazu?

    Glück: Das ist eine sehr absurde Verdächtigung. Wir haben all die Menschen, die auch Sorge haben um den Bereich der Zuwanderung, in die demokratische Mitte und in die demokratische Rechte integriert. Und wir haben natürlich in der konkreten Ausländerpolitik einen Unterschied zu Herrn Schily. Im übrigen ist für mich niemand als Richter geeignet gegenüber etwa Herrn Haider und der FPÖ, der die PDS in Deutschland hoffähig und regierungsfähig macht, denn die sind mindestens genau so populistisch wie der Herr Haider, wenn es um soziale und wirtschaftliche Fragen geht, und die haben nach wie vor ein sehr gebrochenes Verhältnis zum Rechtsstaat und zu unserer Gesellschaftsordnung.

    Heinemann: Noch einmal zum Vergleich Stoiber - Haider. Vom bayerischen Ministerpräsidenten stammt immerhin der Begriff der ‚Durchrastengesellschaft'. Ist das nicht Haiders Sprache?

    Glück: Schauen Sie, das ist eine Art der politischen Auseinandersetzung, wo ich sagen muss, dass das auch nicht die politische Kultur ist. Edmund Stoiber hat vor langer Zeit diesen Begriff gebraucht, hat ihn zurückgenommen und sich entschuldigt. Gilt nun im Leben noch etwas, wenn jemand sagt: ‚Ok, ich hab da einen Fehler gemacht, das sage ich auch offen, dazu stehe ich'. Wenn wir jetzt aufräumen wollten, was der Bundeskanzler Schröder als Jungsozialist alles an Aktionen und an Worten gebraucht hat, wenn wir uns darüber auseinandersetzen wollten, was der Außenminister Fischer in seinem politischen Leben schon alles an Positionen vertreten hat, wie er gegen die Verfassung gekämpft hat, gegen Polizisten - ja, es wäre doch irrsinnig, wenn wir dieses alles wieder aufs Neue aufrollen und niemandem zugestehen, dass er sich auch weiterentwickelt, zumal, wenn auch jemand sagt: ‚Ok, ich habe einen Fehler gemacht'. Das halte ich für falsch. Das gilt im übrigen auch für Herrn Haider, wenn er sich wo wirklich korrigiert hat.

    Heinemann: Nicht erst seit Sissys stehen die Österreicher den Bayern näher als die Preußen. Versucht Bayern, durch grenzüberschreitende Kontakte die offizielle Berliner Außenpolitik zu korrigieren - sagen wir's mal so?

    Glück: Also, zu unserem Nachbarschaftsverhältnis zu Österreich wird sich durch den Regierungswechsel gar nichts ändern. Die Bundesregierung und all diejenigen, die da großspurig jetzt von Sanktionen und Isolierung reden, werden gezwungen sein, sich zu korrigieren. Wir haben sowieso viele grenzüberschreitende Formen der Zusammenarbeit; das ist nicht gegen Berlin, sondern das ist nach unserer Überzeugung eine ganz vernünftige Nachbarschaftspolitik. Und ich sage noch einmal: Ich empfinde es tief beunruhigend, wenn es in Europa dazu führen soll, dass europäische Gremien und Nachbarländer sich jeweils in die innenpolitischen Meinungsbilder, etwa im Sinne von Koalitionsbildungen, einmischen. Das ist inakzeptabel. Das kann nicht die Form von Europa sein, die wir uns wünschen. Was ist denn dann die Steigerung? Werden dann das nächste Mal Wahlen nicht mehr anerkannt, wenn es nicht zu ‚richtigen' Koalitionen kommt? Hier kommt ja eine ganz neue europapolitische Problematik hinzu.

    Heinemann: Herr Glück, kurz zur innenpolitischen Lage noch: Herr Koch hat gestanden, dass er in der Spendenaffäre nicht die Wahrheit gesagt hat. Ist der Mann Ihrer Meinung nach noch glaubwürdig?

    Glück: Für mich ist er glaubwürdig, weil er sich wie kein anderer gleichzeitig ganz konsequent um die Aufklärung des Sachverhaltes bemüht hat, es auch weitestgehend erreicht hat, und weil er sich auf offen zu seinem Fehler bekennt.

    Heinemann: ‚Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht' - sagt der Volksmund.

    Glück: Wenn das ja jeder ernst nimmt, dann würde es in unserer Welt ganz schwierig ausschauen. Ich halte es mehr mit denjenigen, die zu ihren Fehlern stehen; die sind für mich glaubwürdiger.

    Heinemann: Alois Glück, der Vorsitzende der bayerischen CSU-Landtagsfraktion. Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach München.

    Glück: Auf Wiederhören.

    Link: (Wolfgang Ischinger (SPD): Vereidigung der Koalitionsregierung in Österreich (4.2.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/545.html)