Archiv

John Irving: "Der letzte Sessellift"
Nostalgie ohne Substanz

John Irvings neuer Roman erzählt auf über 1000 Seiten von sexueller Emanzipation, Queerness und Gewalt. Damit bewegt er sich thematisch auf der Höhe der Zeit. Doch erzählerisch wirkt das Buch antiquiert.

Von Samuel Hamen |
John Irving steht im Freien und blickt freundlich lächelnd in die Kamera. Der Hintergrund ist unscharf.
Der Schriftsteller John Irving (aufgenommen 2013). Sein aktuelles Buch "Der letzte Sessellift" soll sein letzter großer Roman sein. (picture alliance / dpa / Kimmo Mäntylä)
2014, da ist John Irving 72 Jahre alt und hat dreizehn Romane veröffentlicht, erscheint Judith Holofernes' Album "Ein leichtes Schwert". Im letzten Song widmet sich die deutsche Singer-Songwriterin dem amerikanisch-kanadischen Romancier: "John Irving", säuselt sie so zärtlich wie spöttelnd, "wenn ich dir ein Lied sing / legst du dann den Stift hin / und lässt mich in Ruh".

John Irvings letztes großes Buch

Zu dem Zeitpunkt ist Irving ein alternder Bestseller-Autor, hat sich mit Romanen wie "Garp und wie er die Welt sah" oder "Hotel New Hampshire" weltweit eine treue Leserschaft geschaffen. Die großen Erfolge aber liegen lange zurück. "Ich weiß, du schreibst für mich ein Leben / voller Komik und Poesie", singt Holofernes, "aber John, John, John, / brich's nicht über's Knie."
Jetzt, neun Jahre nach dieser musikalischen Mahnung, erscheint Irvings neues Buch, das gleich zwei besondere Attribute vereint: Es ist mit fast 1100 Seiten der längste Roman des Schriftstellers, zugleich soll es laut Aussage des 81-Jährigen sein letztes "großes" Buch sein.

Stöbern im Schnee

Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr lebt der Ich-Erzähler, der 1941 geborene Adam, bei seinen Großeltern in Exeter, New Hampshire. Seine Mutter, die Skilehrerin Rachel, ist während der Wintersport-Saison oft abwesend. Sie lebt mit Molly, ihrer Mitbewohnerin, im gut 200 Meilen entfernten Stowe. Von seinem Vater weiß Adam lediglich, dass dieser neun Monate vor seiner Geburt im verschneiten Aspen im Hotel "Jerome" Rachel getroffen und eine Nacht mit ihr verbracht hatte.
Der Skisport ist das atmosphärische Element, das der Geschichte ihre Motive, Farbenpracht und Codes verleiht. In quasi dokumentarischen Passagen werden die US-amerikanischen Abfahrts- und Slalom-Meisterschaften referiert, die Alpinen Skiweltmeisterschaften, schließlich der Unterschied zwischen Kabel- und Sicherheitsbindungen.
Die vielen Informationen nehmen dem Text wie anhaltender Schneefall seine prägnanten Konturen. Vor allem zu Beginn des Romans wissen Leser und Leserin über mehrere Kapitel hinweg nicht so recht, wo sie stehen und wem sie da eigentlich begegnen, weil sie schlichtweg von zu viel Flockentreiben umgeben sind.
Das lässt sich freilich auch als dornige Chance dieses ausladenden Romans lesen: Es bleiben ja immer noch genug Seiten, um es im Folgenden besser beziehungsweise anders zu machen.

Aufgewachsen mit "Moby-Dick"

Und tatsächlich: Die Geschichte wird allmählich erkennbar. Seine Kindheit verbringt Adam umringt von seiner Großfamilie und kommt sich dennoch vor wie "eine Skiwaise". Seine Großmutter liest ihm "Moby-Dick" vor, als er gerade einmal zehn ist, während sein Großvater allmählich zum "Fötus emeritus" regrediert. Er trägt Windeln und redet sich ein, einst den Posten des Schuldirektors innegehabt zu haben. Immerhin: Zu seiner Cousine Nora vermag Adam ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das lange bestehen wird.

Sie waren schon ein wenig außergewöhnlich, aber wer in meiner Familie war das nicht? Meine lachenden, schulterklopfenden Onkel waren schräge Norweger. Meine Drachentanten hätten sich bei den Hexenprozessen ihrer puritanischen Vorfahren in Salem wohlgefühlt, wo sie mit schrillen Stimmen die Hinrichtung der Angeklagten gefordert hätten. Lewis Brewster, emeritierter Englischlehrer, hatte sich selbst erfunden, aufgehört zu sprechen, sich vergessen und war wieder Kleinkind geworden.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 169
"Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie" sei aber, so der vielfach zitierte erste Satz von Tolstois "Anna Karenina", "unglücklich auf ihre Weise". In Irvings Prosawerk – und "Der letzte Sessellift" stellt da keine Ausnahme dar – gleichen indes alle unglücklichen Familien einander, und so gibt es auch in Adams Familie geschwisterliche Missgunst und Vaterschaftsrätsel, kleinstädtische Mittelklasse-Konventionen und zeternde Verwandte.

Ich schämte mich für sie, für ihre verstockte Missbilligung meiner Mutter, für ihre beständige Unzufriedenheit mit mir. In Tante Abigails und Tante Marthas Augen war ich das Ergebnis der unappetitlichen Schlafarrangements meiner Mutter. In geringerem Maße schämte ich mich auch für meine Onkel, aber nicht wegen ihrer Geschmacklosigkeit alle Dinge des Geistes betreffend oder ihrer allgemeinen Grobschlächtigkeit. Onkel Martin und Onkel Johan waren gutherzige Dummköpfe, die gern ihren Spaß hatten.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 123

Sexualität und Scham

Liest man sich so durch die kurzen Kapitel des langen Romans, hat man immer stärker den Eindruck, alte Bekannte zu treffen, und das, obwohl einem die vielen Figuren gerade erst vorgestellt werden. Das skurrile Porträtieren des Personals – eines der Markenzeichen Irvings – wirkt bis auf wenige Ausnahmen maschinell.
Reihum werden alle Figuren mit ein, zwei Attributen ausgestattet. Hier haben wir die schüchterne Freundin von Adams Cousine Nora, Emily, gerufen: Em, die ohrenbetäubend laute Orgasmen hat. Dort haben wir Adams Freundin Jasmine, der im Zuge des Geschlechtsverkehrs ein typisch irvingsches Malheur passieren muss: "Um nicht zurückzustehen, oder weil sie schlicht das letzte bisschen Verstand verloren hatte, verlor Jasmine (immer noch auf dem Bett stehend) die Kontrolle über ihren Darm; oder über ihren Darm und über ihren Verstand, in nicht erkennbarer Reihenfolge. Ja, Jasmine schiss mir ins Bett."
Die wenigen, glücklicherweise zentralen Figuren des Romans gewinnen indes an Kontur, an Leben. Dazu zählt die erwähnte Nora, aber auch Elliot Barlow, ein junger Englischlehrer und Wrestling-Coach, den der 14-jährige Adam beim Schneelaufen kennenlernt. Er stellt ihn seiner Mutter vor.

'Ich glaube, du wirst Mr. Barlow sehr attraktiv finden, gut aussehend und klein', betonte ich. 'Ach, Adam – willst du mich verkuppeln?', fragte sie. 'Liebling, das ist ja so süß!', rief sie. Es war mir natürlich in den Sinn gekommen, dass ich ganz bewusst auf Partnersuche für meine Mutter war. 'Er wird dir gefallen', sagte ich nur. 'Ich weiß, dass du ihn attraktiv finden wirst, gut aussehend und klein', wiederholte ich. 'Adam: Versprich mir, dass dich Abigail und Martha nicht dazu angestiftet haben', sagte meine Mom unvermittelt. 'Ich glaube nicht, dass die beiden Mr. Barlow mögen', erwiderte ich. 'Abigail hat gesagt, er sei ein Warmer oder so was, und Martha hat ihn Zwergtunte genannt.'

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 98
Die Ressentiments laufen ins Leere, die homophoben Beleidigungen führen zu keinem Applaus – und die Hochzeit findet statt. So wird die "schon ein wenig außergewöhnliche" Familie noch ein wenig außergewöhnlicher.

Queere Solidarität

Denn während die Jahrzehnte vergehen und Adam erwachsen wird, widmet sich John Irving den Themen, die seine Literatur von Beginn ausmachen: Es geht um sexuelle Emanzipation, individuelle Freiheit und körperliche Selbstbestimmung. Wie sich bald herausstellt, ist Skipistenpflegerin Molly, nicht nur Mitbewohnerin von Adams Mutter, sondern auch deren Partnerin, und Rachels Ehemann, der Wrestling-Coach Elliot, wird im Laufe der Zeit die Transition vom Mann zur Frau vollziehen:

Als Frau war es für Elliot Barlow eine Last, dass 1977 Geschlechtskürzel auf dem US-Reisepass eingeführt wurden. Die Kennzeichnung, ein M oder F, erschwerte Transmenschen das Reisen ins Ausland. Mr. Barlow war ein M, aber sie sah aus wie ein F. Sich die Brüste abzubinden war eine schlechte Idee, sie hatte sich auch schon Leibesvisitationen unterziehen müssen. Besser war es, wenn die Schneeläuferin ein locker sitzendes Flanellhemd trug, keinen BH und weite Jeans.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 516
Adams Tanten betrachten Rachels und Elliots Zusammensein mit Schrecken. Für die beiden steht hinter der Scheinehe hingegen eine queere Solidarität.

'Mr. Barlow ist eine bessere Frau als so manch eine, die eine Vagina hat, Junge', sagte Molly. 'Mr. Barlow hat mehr Eier als manch einer, der Eier hat – wenn du weißt, was ich meine, Liebling', sagte meine Mutter. 'Er weiß, was du meinst, Ray', sagte die Pistenpflegerin.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 710
Elliot wird für Adam im Laufe der Zeit zu einer geliebten Bezugsperson, die die Lücke füllt, die sein abwesender Vater hinterlassen hat. Zugleich ist dieser eine treibende Kraft in der Erzählung. Denn natürlich will der Sohn die väterliche Identität enthüllen. Aus diesem Grund plant er immer wieder, nach Aspen in das mysteriöse Hotel "Jerome" zu fahren, den Ort seiner Zeugung.

Im Hotel gehen die Geister um

Die Suche nach dem Unbekannten findet Ausdruck auch in Geistererscheinungen, die sich Adam seit seiner Jugend zeigen und die in loser historischer Verbindung zum Hotel stehen. Aber ihre Konturen bleiben unklar, figürlich wie strukturell. "Hatte ich meinen Vater als Gespenst gesehen?", heißt es im Roman. "Und warum fand ich, dass dieses Gespenst so aussah, als lebte es noch?"

Ronald Reagan und die Aids-Krise

In einer Hinsicht tut es dem Buch gut, dass es einen solch epischen Anspruch hat: Die Figuren verharren nicht in einer mehr oder weniger fernen Vergangenheit. Irving verfolgt Lebenswege bis in unsere Gegenwart. Entlang der Biografien seines fiktionalen Personals schreibt er so an einer sehr realen Geschichte politischer Verhältnisse und sexueller Emanzipation in den USA.

Nora beobachtete, dass Reagan rechtschaffend für das Schulgebet und Ungeborene eintrat, aber zur Aids-Krise schwieg. In den Vereinigten Staaten wurde Aids 1981 entdeckt, im selben Jahr, in dem Reagan sein Amt antrat. Als er sich zum ersten Mal ausführlich zu der Epidemie äußerte – 1987, sechs Jahre später –, war die Krankheit bei mehr als 36.000 Amerikanerinnen und Amerikanern diagnostiziert worden, und über 20.000 waren daran gestorben. Nora hielt Pat Buchanan nur für einen Handlanger des schweigenden Reagan. Buchanan war eine Zeit lang Reagans Kommunikationsdirektor; er war es, der sagte, Aids sei 'die Rache der Natur an den Homosexuellen'. 'Das ist wieder dieses Gott-liebt-Aids-Ding. Reagan steckt mit der christlichen Rechten unter einer Decke', schrieb mir Em. 'Nora sagt, wir schauen mal, wie das im Gallows ankommt.'

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 602
Adams Cousine Nora und deren Partnerin Em, die Produzentin der ohrenbetäubenden Orgasmen, treten ab den 1970er-Jahren im Comedyclub "Gallows Lounge" auf. In ihrer Nummer mit dem Titel "Zwei Lesben, eine spricht" verhandeln sie gesellschaftspolitische Themen. Em liefert die Pantomime, Nora interpretiert ihre Darbietung für das Publikum.
Es geht um konservative Brandredner, darum, "wie das römisch-katholische Erzbistum den Aufklärungsunterricht an New Yorks Schulen beurteilte oder das Verteilen von Kondomen oder was der Kardinal von Homosexualität hielt – ganz zu schweigen vom unveränderten Widerstand der Katholiken gegen Abtreibungen".

Von der Wahl Donald Trumps bis heute

Später wird der Club von einem gewaltbereiten Fanatiker heimgesucht. Er gesteht niemandem zu, seiner Weltsicht zu widersprechen.

Trowbridge hielt den Gewehrkolben fest an die Schulter gedrückt, aber er zielte nicht mehr. Seine Unentschlossenheit ergab keinen Sinn. Er hatte das hier doch offensichtlich geplant, und nun schoss er nicht weiter. Er sah mich ganz sicher. Voller Abscheu schaute er mich an, dann richtete er plötzlich alle Aufmerksamkeit auf die Bühne. Ich tat es ihm gleich. Die Leute schrien, als sie Em auf der Bühne stehen sahen, aber es klang anders als ihr Kreischen beim ersten Schuss.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 676
Der Weg der Gewalt führt geradewegs in die USA von heute. Folgerichtig behandelt "Der letzte Sessellift" auch die jüngsten politischen Entwicklungen in den Staaten. Dazu gehört die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten sowie Diskreditierung und Demontage der Rechte auf körperliche Selbstbestimmung.

Erzählerisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit

Doch im Hinblick auf den radikalisierten Diskurs, wie Irving ihn skizziert, wirkt seine Prosa eher stumpf, eingeklemmt in bekannte Motive, Jargons, Witzeleien.
Das ist die Tragik dieses Buches: Während die gesellschaftspolitische Diskussion gefährlich an Fahrt aufnimmt, bewegt sich die Prosa des Autors nicht weiter. Sie ist Ausdruck einer Gleichzeitigkeit von Aktualität und Verschlafenheit: Nie waren Irvings Themenschwerpunkte relevanter. Zugleich hat sich die Lektüre eines seiner Romane noch nie so beschaulich angefühlt wie in diesem Fall. Die Sujets haben gewissermaßen ihren treuesten literarischen Gestalter überholt und hinter sich gelassen.

Als Ronald Reagan 2004 mit dreiundneunzig starb, war Molly drei- oder vierundachtzig. Dass sie halbtags arbeitete, meist als Skilehrerin, hatte ihre Interessen nicht sonderlich erweitert. Ohne meine Mom bestand Mollys Welt mehr denn je aus Bromley Mountain. 1997 hatte der Sun-Mountain-Express-Vierersessel die alte 'Nummer eins' ersetzt, aber Molly nannte auch den neuen Lift 'Nummer eins'. Ich versuchte der alten Skiretterin zu erklären, dass dies nicht dasselbe war wie das, was Em und ich mit dem verfluchten Déjà-vu meinten, das wir politisch gesprochen so deprimierend fanden. 'Für mich klingt das völlig gleich, Junge', sagte Molly. 'Der neue Lift bringt mich zum alten Punkt.'

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 1037
Zahlreiche Irving-Leser werden diesen alten Punkt, diese Stagnation gewiss als Beständigkeit schätzen. Sie werden sich in diesem 15. Roman zurechtfinden wie in diesen charmant altmodischen Hotels, in die man aus Treue seit Jahrzehnten eincheckt.

Schreiben über das Schreiben

Eine zweifelhafte Überraschung, mit der "Der letzte Sessellift" aufwartet, besteht in der bemerkenswert selbstbezüglichen Konsequenz, mit der John Irving seinen Text mit John-Irving-Memorabilien ausschmückt. Dazu gehört neben der unkonventionellen Entourage die Tatsache, dass die Hauptfigur Schriftsteller ist und wie Irving an Drehbüchern schreibt.
Im Buch selbst sind sogar zwei Drehbücher mit einem Umfang von gut 150 Seiten abgedruckt. Es fällt schwer, sie zu goutieren. Als eigenständige Texte sind sie zu abhängig von dem Roman, in den sie eingesetzt wurden. Als integrierte Drehbücher sind sie wiederum zu redundant, weil sie hinlänglich bekannte Motive wieder und wieder auswalzen. Adams Schriftstellerei ist jedenfalls ein integraler Aspekt seiner Identität, prägend seit seiner Jugend.

Wie damals, als er mir bei den Hausaufgaben geholfen hatte, kümmerte Elliot Barlow sich noch immer um mich. Er bemühte sich darum, dass meine Rückkehr nach New Hampshire nicht wie eine Niederlage aussah. 'Molly und Deine Mom werden froh sein, wenn Du in der Nähe wohnst', schrieb der Schneeläufer. Das Entscheidende war jedoch, dass Elliot mir das Gefühl gab, ich könne Schriftsteller sein, bevor ich einer war. Der Schneeläufer flößte mir Vertrauen in meine Zukunft ein, als ich noch nichts als eine Menge unfertige Sachen geschrieben hatte.

John Irving: "Der letzte Sessellift", Seite 316
Aus dieser Nähe zwischen Ich-Erzähler Adam und John Irving, zwischen Schriftsteller-Figur und Schriftsteller, generiert der Roman keinen ästhetischen Nutzen. Es geht nicht darum, die Vergoldung des eigenen Lebens zu hinterfragen, die so viele Menschen im Alter selbstgerecht betreiben, wenn sie zurückblicken. Es geht ebenso wenig darum, im Rahmen neuerer autofiktionaler Schreibweisen die eigene Biografie zu verspiegeln und zu erweitern.

Literatur der alten Zeit

Letztlich ist die Nähe vor allem ein Einfallstor für eine außerliterarische Nostalgie, die ein Autor seiner Figur unterjubelt. Oft wirkt es so, als würde Irving sich privater Erlebnisse der Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre entsinnen, um dann Adam davon schwärmen zu lassen.
"Aber John, John, John", das werden viele Leser und Leserinnen frei nach Judith Holofernes seufzen, "brich's nicht über's Knie". Sie werden den "Letzten Sessellift" eher früher als später zur Seite legen, weil diese Literatur der alten Zeit nicht mehr zu ihnen spricht.
Stattdessen werden sie wahrscheinlich zu anderen Büchern greifen, zu einer Literatur, die es vermag, John Irvings immer noch so aktuellen Lebensthemen eine aufregend gegenwärtige Gestalt zu verleihen.
John Irving: "Der letzte Sessellift"
aus dem amerikanischen Englisch von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg
Diogenes Verlag, Zürich
1088 Seiten, 36 Euro