
An der Hauptstraße betreibt Maher Abu Kweik ein Haushaltswarengeschäft. Der 50Jährige stammt ursprünglich aus Lod, heute Israel, seine Frau kommt aus Gaza. Eher missmutig schaut er sich um:
"Dieses Camp ist nicht sehr gut. Es fehlt an vielem. Das betrifft unter anderem die Gesundheitsdienste und die Müllentsorgung. Schauen Sie, wie schmutzig alles hier ist. Es ist gerade noch erträglich, aber alles andere als gut."
Nur wenige Meter die Straße hinauf räumt Samir Kopti, dessen Familie aus Jaffa stammt, Schubläden mit Goldschmuck in die Schaufensterauslagen. Er zieht eine ähnlich düstere Bilanz wie sein Geschäftsnachbar:
"Das Lager ist arm, weil wir sehr viel weniger Einwohner haben als andere Lager, Wahdat oder Baqua zum Beispiel. Wir liegen auch nicht so isoliert in der Gegend wie das Baqua-Camp. Wir sind ein Ortsteil der Stadt Amman. Der Nachteil für uns: Die Leute gehen nur ein paar Minuten aus dem Lager und kaufen in den anderen Stadtteilen ein. Das merke auch ich in meinem Geschäft. Im Wahdat Camp muss man auch dort einkaufen, denn drum herum ist nur Steinwüste."

Besonders schlecht geht es den Flüchtlingen aus Gaza. Sie stellen eine absolute Minderheit im Lager dar. Ihre Rechte sind gegenüber den Vertriebenen aus dem Westjordanland stark eingeschränkt. Während die einen jordanischen Pass haben, müssen sich die Gaza-Leute mit vorläufigen Papieren begnügen.
"Die Lehrer haben mich geschlagen, wenn ich etwas falsch gemacht habe", berichtet Mohammad. "Und sie haben mich dauernd angebrüllt. Warum soll ich also weiter in die Schule gehen. Da lerne ich doch lieber bei meinem Vater in der Metzgerei. Das ist viel besser." Ansonsten interessiert sich Mohammad nur noch für Fußball. Und einen Lieblingsverein hat er natürlich auch.
"Jordanien ist ein Land, das nicht mit zehn Millionen Einwohnern zurechtkommt. Wir haben geringe natürliche Ressourcen, unsere Wirtschaft liegt am Boden, wir hängen von ausländischer Hilfe ab, die aber nicht ausreicht. Vor allem nicht für die Hunderttausenden von Flüchtlingen aus unseren Nachbarstaaten."
Alle Einwohner Jordaniens bekommen die negativen Folgen dieser Entwicklung zu spüren. Am härtesten trifft es aber die Ärmsten der Armen. Dazu gehören die 350.000 palästinensischen Flüchtlinge, die in den zehn offiziellen Lagern leben. Betrieben werden diese Camps von der UNRWA, also dem UN-Hilfswerk für die Palästinaflüchtlinge. Angesichts der Not müsste die Organisation ihre Unterstützungsleistungen erhöhen.
"Wenn du plötzlich 300 Millionen Dollar weniger hast als erwartet - bei einem gesamten Budget von1,4 Milliarden - dann ist das schon ein riesiges Problem für uns. Wir müssen also sparen und Leistungen zurücknehmen. Zum Beispiel können wir nicht Ärzte, die ausfallen, wie sonst üblich durch andere Ärzte ersetzen. Das bedeutet die vorhandenen Kräfte haben mehr zu tun und weniger Zeit für die Patienten. Am schlimmsten sieht es bei der Müllentsorgung aus. Wir können nicht mehr ausreichend Mitarbeiter einstellen, um die Sauberkeit in den Camps auf dem gewohnten Niveau zu halten."‘
Das Mandat der UNRWA wird alle drei Jahre von der UN-Generalversammlung verlängert. Finanziert werden die Leistungen der Hilfsorganisation durch Spenden der Mitgliedsstaaten. Zieht ein wichtiges Geberland wie jetzt die USA die politischen Daumenschrauben an und kürzt seine Zuwendungen deutlich, dann trifft das alle fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten in ihrem täglichen Leben hart.
In Jordanien versucht UN-Direktor Roger Davis mit seinen Mitarbeitern trotz der schlechten finanziellen Lage, kreative Lösungen für die Versorgung der Palästina-Flüchtlinge in den Lagern zu finden.
"Wir betreuen 158.000 der so genannten Gaza-Flüchtlinge. Sie kamen 1967 nach Jordanien, als Gaza unter ägyptischem Mandat stand. Die Jordanier haben sie aufgenommen und sie mit vorläufigen Pässen ausgestattet. Sie haben aber keine jordanische Identitätskarte wie die anderen Palästinenser. Deswegen fordern viele bessere Leistungen für die Gaza-Flüchtlinge. Heute hat der Ministerrat in Amman entschieden, dass allen Flüchtlingen, die an Krebs erkrankt sind, eine kostenlose Behandlung gewährt wird.
"Die Zahlen differieren sehr. Ich denke, irgendwas zwischen 40 und 60 Prozent der Bevölkerung sind palästinensischen Ursprungs. Es ist eine sehr delikate Sache. Bis wann willst du denn deine Herkunft zurückverfolgen? Bin ich nun Jordanier oder Jordanier mit palästinensischen Wurzeln?
Fast ein Jahr dauerten die Kämpfe, dann waren die extremen Palästinenser aus Jordanien vertrieben. Dieses Ereignis ging als "schwarzer September" in die Geschichte ein und wirkte in der jordanischen Gesellschaft noch lange nach. Beide Bevölkerungsgruppen misstrauten sich zutiefst. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.
Mit den heranwachsenden neuen Generationen hat sich das Verhältnis aber merklich entspannt. Die Kluft zwischen echten Jordaniern und denen mit palästinensischen Wurzeln existiert nicht mehr. Jawad Anani, stammt selbst aus dem Westjordanland. Lange Jahre war er unter anderem der politische Chef des jordanischen Königshauses. Er hat die Gründe für die Normalität im Verhältnis zwischen Jordaniern und Palästinensern im Königreich analysiert.
"Der erste Grund sind die Ehen, die zwischen allen Bevölkerungsgruppen geschlossen werden. Junge Leute interessieren sich nicht für die alten Geschichten. Sie besuchen dieselbe Schule, sie treffen sich, sie arbeiten in derselben Firma. Zweitens: Sie machen mit ihren Bekannten gemeinsame Geschäfte. Früher war das anders.
"Für mich als Person, was ich so alles mache, die Kultur und die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die Zeit, die ich mit Familien und Freunden verbringe – ich fühle überhaupt keinen Unterschied zwischen Jordaniern und Palästinensern. Ich bin mit einem Jordanier aus Salt verheiratet. Meine Schwiegermutter möchte, dass ihre Söhne Palästinenserinnen heiraten, weil die ihre Ehemänner besser behandelten als Jordanierinnen."
Das muss ihr Mann Amer kurz lachen. Aber, er bekräftigt die Sichtweise seiner Frau.
"1992 konntest du hier von 500 Dinar exzellent leben. Damals hatten wir – also Jordanier und solche mit palästinensischen Wurzeln - Zeit und Muße, uns über unsere Herkunft zu streiten. Uns ging es einfach richtig gut. Heute musst du dich um deine Sicherheit kümmern und darum, dass du die Kinder ernähren und ausbilden kannst.
"Die jordanische Gesellschaft kann aufgeteilt werden zwischen zwei verschiedenen Trennlinien. Jordanier und Palästinenser sind das eine, Muslime und Christen das andere Merkmal. Das war schon immer so. Was aber immer deutlicher dazu kommt, ist die Trennung zwischen reich und arm. Diese wirtschaftliche Spaltung, egal ob du Muslim oder Christ, Palästinenser oder Jordanier bist, diese Spaltung führt dazu, dass alle ein ähnliches Leben führen. Das ist die neue Trennlinie in der Gesellschaft. Vielleicht etwas weniger sichtbar. Es wird aber mehr und mehr problematisch, wenn das so weitergeht."
Diese immer weiter auseinandergehende Schere zwischen arm und reich treibt vor allem die jungen Menschen aus dem Land. Gleichgültig, ob sie jordanischen oder palästinensischen Ursprungs sind. Sie sehen für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr in Jordanien. Europa, die USA und Kanada sind die Ziele ihrer Träume.
Die palästinensischen Flüchtlinge im Hussein Camp haben ganz andere Sorgen. Sie müssen im harten, täglichen Kampf ums Überleben bestehen. Ihre Träume beschäftigen sich mit dem eigenen, palästinensischen Staat, den es vielleicht irgendwann doch geben wird. Aber, würden sie dann auch zurückkehren nach Palästina, wenn sie dieses Recht bekämen?
Samir Kopti schaut aus dem Fenster seines Schmuckladens hinaus auf die Straße und schüttelt mit dem Kopf: "Ich bin hier geboren. Das ist meine Heimat. Zurückkehren nach Palästina würde ich nicht. Zum Besuch rüberfahren, das schon. Aber, ich lebe und arbeite hier in Jordanien. Ich bin Jordanier. Was soll ich denn in Palästina machen?"

"Natürlich würde ich nicht nach Jenin ziehen. Was soll ich dort machen? Meine Familie ist hier, meine Kinder und ich sind hier geboren. Soll ich etwa ein wieder Kind werden und dort leben. Das geht nicht."
Die meisten der 2,3 Millionen palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien denken so. Sie stehen zu ihren Wurzeln und sind auch stolz darauf. Das heißt aber nicht, dass sie nach Palästina zurückkehren würden. Aber, das Recht dazu zu haben, ist und bleibt ein wichtiger Teil ihres politischen Bewusstseins.