"Alles ist relativ!" – Das war Credo von Jorge Bolet. Obwohl dieser Satz nichtssagend allgemein klingt, führte er ihn vor allem in großangelegten Werken zu beeindruckenden Gesamtkonzepten. Liszts Es-Dur Konzert im Live-Mitschnitt von 1971 ist ein Beispiel hierfür. Aufs Ganze betrachtet nimmt sich Bolet die Freiheit und wählt ein langsameres Anfangstempo als andere Pianisten. So bleiben ihm Reserven, das Tempo wirkungsvoll zum Ende des Stückes hin zu steigern.
Und auch im Kleinen ist sein Credo erkennbar: Im ersten Einsatz hebt er die Doppeloktaven, die per Intervallsprung nach oben erreicht werden, klanglich und auch durch Verzögerungen hervor.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur, 1. Satz
Grobe Temposchwankungen – wie an dieser Stelle – bilden allerdings bei Jorge Bolet die Ausnahme.
Ein auffälliges Merkmal in seinem Gesamtklang ist sein durchdachter Pedalgebrauch: Er geht über das simple "Pedal, kein Pedal" hinaus. Durch verschiedene "Tretstufen" entfernt Bolet Töne mittlerer und hoher Lage aus dem Gesamtklang, ohne dabei das Bassfundament zu ersticken. Die Oktav-Läufe, die sich nahezu in jedem Satz befinden, pedalisiert er von der Tendenz her "trocken", spielt dabei aber mit breiterem Klavierton.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur, 1. Satz
Wie kaum ein anderer Pianist entfaltet Bolet eine besondere Magie im Leise-Spielen. Selbst bei schnellen Doppelgriff-Folgen bleibt jeder Ton verständlich und vor allem klingend.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur, 3. Satz
Sucht Bolet im Leisen verschiedene Schattierungen, verfolgt er im Lauten den Ansatz, nicht zu dominant zu spielen. Dies birgt auch Gefahren. An Tutti-Stellen droht er im Orchesterklang unterzugehen. Im Großen und Ganzen stimmt die Balance zwischen Bolet und dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter Lawrence Foster aber gut.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur, 4. Satz
Ursprünglich nannte Franz Liszt sein zweites Klavierkonzert: Concert Symphonique. Der Solopart ist weniger brillant gestaltet , der Fokus des Konzerts liegt dafür mehr auf dem sinfonischen Gestus. Jorge Bolet hat das Konzert 1982 mit dem Dirigenten Edo de Waart aufgeführt.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur, 1. Satz
Liszts sinfonischen Ansatz fasst Bolet nahezu kammermusikalisch auf. Seine Triolenläufe in der rechten Hand nimmt er zurück, die Achtellinie der linken Hand versteht er begleitend, überlässt dem Horn die Führung.
Im Sinne eines kammermusikalischen Verständnisses vermeidet Bolet selbst im zwei- oder dreifachen Forte, dynamisch das Äußerste anzustreben. Er entfernt sich nur selten vom Notentext und nimmt sich interpretatorische Freiheiten, etwa wenn er sich einer langsamen Passage nähert und vorausschauend das Tempo drosselt.
Im Sinne eines kammermusikalischen Verständnisses vermeidet Bolet selbst im zwei- oder dreifachen Forte, dynamisch das Äußerste anzustreben. Er entfernt sich nur selten vom Notentext und nimmt sich interpretatorische Freiheiten, etwa wenn er sich einer langsamen Passage nähert und vorausschauend das Tempo drosselt.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur, 3. Satz
Das Einzigartige in Bolets Spiel liegt im farbenreichen Klavierton und darin, die Extreme zu meiden: Er hetzt nicht, er ertränkt die Töne nicht im Pedal oder spielt schlicht zu laut - gerade Liszts Musik verführt Pianisten gerne zu solchen Extremen. Bolet dagegen erfasst die Gesamtdramaturgie eines Werkes und bildet sie ab. In den zwei Liszt-Konzerten offenbart sich diese Fähigkeit auf besondere Weise.
Musik: Liszt – Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur, 6. Satz