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Journalismus in der Ukraine
Bloß nicht "prorussisch" wirken

Seit der Maidan-Revolution ist die Ukraine im Umbruch. Für Journalisten hat sich die Lage im Land seitdem verbessert - sie können unabhängiger und freier berichten. Aber es gibt nach wie vor Probleme - besonders bei der Berichterstattung über Russland und die Annexion der Krim.

Von Danylo Bilyk | 16.07.2018
    Flaggen der EU und Ukraine
    Was hat sich für Journalisten nach der Maidan-Revolution 2014 verändert? (picture alliance / dpa / Christophe Gateau)
    Auch für die Meinungsfreiheit gingen die Menschen auf die Straße. Vieles hat sich seitdem zum Positiven gewandt. Auch wenn es bei der Schlüsselreform Korruptionsbekämpfung deutlich stockt, wurden viele umfassende Veränderungen in anderen Bereichen in die Wege geleitet. Zum Beispiel auf dem Energiemarkt, im Rentensystem, bei der Polizei, im Bildungs- und Gesundheitswesen. Zu sehen sind die Reformen auch an der großen Zahl unabhängiger Medien.
    Sogar das erste öffentlich-rechtliche Fernsehen wurde auf der Welle der Begeisterung nach der Revolution gegründet - auch wenn die Regierung gerade kein Geld für eine ordentliche Ausstattung freigeben möchte. Vielleicht deshalb nicht, weil sie eine kritische Berichterstattung fürchtet. Dennoch, man muss eben beharrlich bleiben, sagt Pavlo Kolotvin:
    "Die Zahl der investigativen Recherchen, die wir in den letzten zwei, drei Jahren beobachten können ist immens gestiegen, das alles hat es in den vielen Jahren davor nicht gegeben. Da haben verschiedene Reformen gegriffen. Es wurden viele Instrumente für Journalisten, für Bürgeraktivisten geschaffen, damit sie recherchieren können", erzählt Pavlo Kolotvin, der als Online-Journalist in Odessa arbeitet.
    Probleme bei der Krim-Berichterstattung
    Die Hafenstadt am Schwarzen Meer wurde zum Paradebeispiel für Korruptionsbekämpfung. Selbst in den höheren öffentlichen Ämtern wird hier genau hingesehen. Gegen den dortigen Bürgermeister und seine Anhänger in der Stadtverwaltung wird wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelt.
    Seit dem Verfahren können lokale Journalisten wieder aufatmen, erzählt Pavlo. Noch 2017 wurden sie regelmäßig aus Sitzungen des Stadtrats rausgeworfen. Auf ihre Anfragen gingen die Stadtoberen nicht ein.
    Deutlich angespannter ist die Arbeitssituation von Journalisten, die über den von Russland unterstützten Krieg in der Ostukraine oder die russische Annexion der Krim berichten. Schnell werden sie von ukrainischen Sicherheitsbehörden und nationalistischen Organisationen des Staatsverrats bezichtigt - oder einer russlandfreundlichen Berichterstattung.
    Das kann in der aktuellen Lage das berufliche Aus bedeuten, erzählt die Radio- und Online-Journalistin Iryna Romaliiska. So tauchten Namen der Journalisten, die die Konfliktgebiete besucht haben, auf dubiosen Internetseiten auf - mit Vor- und Zunamen und Kontaktdaten. Die ukrainische Regierung aber unternehme nichts dagegen, kritisiert Romaliiska. Einige ihrer Kollegen stehen schon lange auf solchen Listen.
    "Ich frage jedes Mal: Leute, wollt ihr nicht wissen, was in den besetzten Gebieten passiert? Nur, wenn ich da war, kann ich wirklich wissen, wie es dort ist. Auf die Krim kann man aber nicht ohne Akkreditierung des russischen Außenministeriums reisen. Wenn ich die aber habe, bin ich für die ukrainische Seite sofort verdächtig, die Russen zu unterstützen. Und wenn ich keine Akkreditierung habe, steigt mein Risiko, dort von russischen Separatisten verhaftet zu werden. Das bedeutet nicht, dass ich die Annexion der Krim gut heiße. Das bedeutet, dass ich Journalistin bin, dort arbeiten möchte und mich bestmöglich absichere."
    "Entwicklungen müssen weitergehen"
    Und trotz dieser beruflichen Fallstricke möchte Pavlo Kolotvin die Zeit nicht zurückdrehen. Er ist froh, dass sich vieles im Staat und in der Gesellschaft zum Positiven entwickelt hat - auch dank der EU. So wurde eine unabhängige Antikorruptionsbehörde errichtet und mit genügend finanziellen Mitteln ausgestattet. Gerichtsurteile bleiben jedoch nach den Korruptionsermittlungen in hohen staatlichen Ämtern meist aus. Viele Richter gelten immer noch als korrupt.
    Jetzt gibt es aber neue Hoffnung. Vor einigen Wochen ging das monatelange Ringen um die Schaffung eines Antikorruptionsgerichts zu Ende. Es soll aus Richtern bestehen, die in unabhängigen Verfahren ausgewählt werden, und ausschließlich für brisante Korruptionsfälle zuständig sind.
    "Das Wichtigste ist, dass diese Entwicklungen weitergehen und es zu keinen drastischen Veränderungen auf geopolitischer Eben kommt. Alle positiven Reformen, die in der Ukraine umgesetzt werden, wurden nur angegangen, weil die ukrainische Regierung unter Poroschenko unter Druck von internationalen Partnern steht."
    Pavlo Kolotvin hat der Austausch mit seinen Kollegen in Deutschland ermutigt: Eine ausgewogene Berichterstattung über die Probleme in seinem Land möchte er sich nicht mehr nehmen lassen.