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Journalisten in Afghanistan
Amiri: "Die Verzweiflung der Menschen wird immer größer"

Nach dem Siegeszug der Taliban sehen Journalistenorganisationen Medienschaffende in Afghanistan in akuter Lebensgefahr. Mehrere deutsche Medien fordern nun ein Visa-Notprogram. Die Journalistin Natalie Amiri steht mit mehreren Personen vor Ort in Kontakt. Diese würden fliehen wollen, kämen aber kaum noch durch, sagte sie im Dlf.

Natalie Amiri im Gespräch mit Brigitte Baetz |
Natalie Amiri am 20.10.2019 in der ARD-Talkshow ANNE WILL
Natalie Amiri, Diplom-Orientalistin, Moderatorin des ARD-"Weltspiegels" und Kennerin Afghanistans, über das sie gerade auch ein Buch vorbereitet (IMAGO / Eventpress / Stauffenberg)
Nach dem Abzug der internationalen Truppen konnten die Taliban in überraschender Geschwindigkeit die Macht in Afghanistan erobern. Ortskräfte, Frauenrechtlerinnen aber auch Medienschaffende sind nach dem Siegeszug der radikalislamistischen Bewegung in akuter Lebensgefahr.
Laut dem Deutschen Journalistenverband machen die Taliban Jagd auf unabhängige Journalistinnen und Journalisten und sogenannte Stringer, die für westliche Medien gearbeitet haben. Auch von gezielten Hinrichtungen sei die Rede. Ohne schnelles Handeln drohen laut der Organisation Reporter ohne Grenzen weitere Opfer.
Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer fahren in einem Fahrzeug durch Mehtarlam, die Hauptstadt der afghanischen Provinz Laghman.
Diese Strategie verfolgen die Taliban
Die überraschend schnellen militärischen Erfolge sind auch auf Fehler des Westens zurückzuführen. Wie organisieren sich die Taliban und was kommt nun auf die afghanische Bevölkerung zu? Ein Überblick.

"Es gab keine Exit-Strategie"

Die Journalistin Natalie Amini steht mit mehreren Journalistinnen und Menschenrechtsaktivistinnen vor Ort in Kontakt. Sie berichtet von erschütternden Szenen, teilt auf ihren Social-Media-Kanälen Video und Tonmaterial der Menschen vor Ort.
Die Namen ihrer Kontaktpersonen habe sie an die deutschen Behörden weitergegeben, hier zeigt sich aus Sicht von Amiri aber vor allem Hilflosigkeit und Chaos - "das ist nicht vorhergesehen worden, es gab keine Exit-Strategie", sagte sie im Deutschlandfunk.
Es seien vor allem Frauen, die sie schon früher begleitet hatte, so Amiri: Menschenrechtsaktivistinnen und Journalisten, die nun fliehen müssten. Viele hätten keinen Zugang zum Flughafen, "die kommen einfach nicht mehr rein". Daher werde die Verzweiflung dieser Menschen immer größer.

Feature-Reihe: Deutschlands Einsatz in Afghanistan -
Der verlorene Frieden


Ähnlich beschreibt es die deutsch-afghanische Journalistin Waslat Hasrat-Nazimi, Reporterin, Moderatorin und Leiterin des Sprachangebots Dari/Paschtu bei der Deutschen Welle. Viele afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden verzweifelte Nachrichten schreiben, ihre Häuser seien durchsucht worden, ihr Leben sei in Gefahr, schreibt Hasrat-Nazimi auf Twitter.

Medien fordern Visa-Notprogram

Mehrere deutsche Verlage, Redaktionen, Sender und Medienhäuser haben aus Sorge um ihre Mitarbeiterinnen und Helfer vor Ort in einem Offenen Brief die Bundesregierung gebeten, sich für die Helfer einzusetzen, darunter Deutschlandradio, "Spiegel", "Zeit", Deutsche Welle, dpa und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Sie fordern ein Visa-Notprogram für Mitarbeitende in Afghanistan.
Man befürchte Racheakte der Taliban gegenüber den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, heißt es im Brief. Selbst das Leben in Kabul sei für Beschäftigte internationaler Medienorganisationen extrem riskant geworden.