Donnerstag, 25. April 2024

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Journalisten und Populismus
"Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen"

US-Journalismusforscher Jay Rosen war drei Monate lang als Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin und hat deutsche Medien untersucht. Dabei ist ihm aufgefallen, dass Journalisten noch immer Probleme im Umgang mit Rechtspopulisten haben.*

Jay Rosen im Gespräch mit Antje Allroggen | 29.08.2018
    Alexander Gauland und Alice Weidel, umringt von Mikrofonen und Journalisten.
    Journalisten sprechen zwar viel mit AfD-Politikern, haben laut Jay Rosen aber noch keinen souveränen Umgang mit ihnen gefunden (picture alliance / Kay Nietfeld/dpa)
    Antje Allroggen: Vor Ihrem dreimonatigen Stipendium in Berlin waren Sie noch nie in Europa. Hatten Sie vor Ihrer Zeit in Berlin bestimmte Vorurteile gegenüber Europa, speziell gegenüber Deutschland?
    Jay Rosen: Ja, ich habe vor meinem Aufenthalt noch nie in einer europäischen Stadt und noch nie in Berlin gelebt.** Ich wusste also nicht wirklich, was mich erwartet. Deshalb habe ich mein Stipendium in Berlin einfach auf mich zukommen lassen, und ich habe einiges über die Situation der Medien in Deutschland zur Vorbereitung gelesen. Aber so genau wusste ich nicht, was da auf mich zukam, und das war gut so.
    Allroggen: Und was war das, was Ihnen während Ihres Aufenthalts am meisten aufgefallen ist am Journalismus in Deutschland?
    Rosen: Mein Schlüsselerlebnis war vermutlich die Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Deutschland. Das Finanzierungsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird hier gerade in Frage gestellt. Die Rundfunkgebühren werden gerade nicht nur von der AfD kritisiert, sondern auch von anderen politischen Parteien. Und die diskutieren, ob man die Gebühren reduzieren und das Angebot von ARD und ZDF besser aufeinander abstimmen kann, um Geld zu sparen. Das sind alles Fragen, die zu diskutieren sind. Aber ich denke, es wäre sehr unklug, wenn Deutschland sein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem aufgäbe.
    Fernsehmikrofone mit den Logos von ARD und ZDF stehen vor Beginn einer Pressekonferenz nebeneinander
    Seit Monaten wird über die Höhe des Rundfunkbeitrags für ARD, ZDF und Deutschlandradio diskutiert (picture alliance / Peter Kneffel/dpa)
    Allroggen: Könnten Sie sich vorstellen, dass es das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in Deutschland in einigen Jahren nicht mehr geben könnte, aufgrund der Kritik daran?
    Rosen: Ich kann mir das vorstellen, dass das System Veränderungen erfahren wird.*** Aber auch deshalb, weil die jungen Leute eben keine Fernseher oder Videogeräte mehr besitzen. Sie kommen über das Internet an Informationen und an Unterhaltung. Und selbst wenn sie Sendungen von den Öffentlich-Rechtlichen über das Internet konsumieren, dann verbinden sie das nicht mit den Gebühren. Dieser Herausforderung müssen sich die Öffentlich-Rechtlichen stellen. Selbst wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute sehr solide wirkt, mache ich mir Sorgen, dass er in den nächsten zehn Jahren an Kraft verlieren wird.
    Keine scharfe Trennung zwischen Meinung und Bericht
    Allroggen: Wie haben sie die deutschen Journalisten erlebt? Haben sie mehr Angst als ihre Kollegen in den USA, Haltung zu zeigen oder eine Meinung zu haben?
    Rosen: Nein, das würde ich nicht sagen. Sie unterscheiden sehr genau zwischen den Begriffen Haltung und Meinung. Und es gibt gerade unter den deutschen Journalisten eine lebendige Debatte darüber, ob es problematischer ist, eine Haltung zu zeigen oder eine Meinung zu haben. Oder ob man durchaus beides zeigen sollte. Mir wurde gesagt, dass es in Deutschland durchaus üblich ist, dass der Reporter, der eine Sache recherchiert hat, sowohl den Aufmacher darüber schreibt als auch den Kommentar dazu. Das würde es in den USA so nicht geben. Mich interessiert dabei die Frage, ob Objektivität bei der Berichterstattung eine große Rolle spielen sollte. In der deutschen Medienlandschaft hat sie, glaube ich, nicht so die Bedeutung.
    Allroggen: Und Sie haben bemerkt, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel Medien wie etwa den "Spiegel" nicht als Fake News bezeichnet. Good news für uns, aber Sie stellten auch fest, dass Deutschland schon mit rechten Kräften zu tun hat, die einige Medien bewusst angehen. Sie haben also einige alarmierende Signale festgestellt. Welche?
    Rosen: Ein Warnzeichen zum Beispiel ist das, wie der deutsche Innenminister Seehofer auf die Medien reagiert hat, als es deutliche Spannungen zwischen ihm und Angela Merkel gab. Über die Konsequenzen dieser Krise wurde in den Medien viel spekuliert. Darüber, ob es wirklich zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommen würde. Die Presse berichtete darüber, was ein solches Zerwürfnis bedeuten würde. Man hat kaum darüber gesprochen, dass Seehofer über Fake News sprach. Er labelte diesen Begriff, indem er den ganz normalen politischen Journalismus als Fake News bezeichnete. Da habe ich mir schon gedacht, das müsste doch eine größere Geschichte für die Journalisten sein. Ich habe das als ein schlechtes Zeichen gelesen. Es gab aber kaum Reaktionen darauf, obwohl natürlich über seine Äußerungen berichtet wurde. Das ist ein Beispiel dafür, dass da etwas nicht so gut läuft.
    Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, spricht zu Reportern nach einer Sitzung des Bundestags-Innenausschusses.
    Horst Seehofer spricht zu Journalisten im Bundestag. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Allroggen: Sie dachten bei diesen Äußerungen von Seehofer sicherlich sofort an Donald Trump.
    Rosen: Ja. Wenn man normale politische Berichterstattung als Fake News bezeichnet, dann bringt man die Anhänger seiner eigenen Partei, der CSU, dazu, die Berichterstattung der Presse geringzuschätzen. Und so ist das gemeint. Fake News sind mehr als Nachrichten, die einem nicht gefallen. Sondern der Begriff meint, dass Journalisten diese Geschichten erfunden haben. Das ist eine wirklich krasse Behauptung.
    Schwieriger Umgang mit der AfD
    Allroggen: Kommen da also Probleme auf den Journalismus in Deutschland zu? Müssen wir sehr ernsthaft darüber reden, wie wir mit dieser Art der Einflussnahme umgehen? Sollten wir zum Beispiel über alles berichten, was die AfD uns an Geschichten liefert, oder sollen wir das ignorieren? Haben Sie da konkrete Ideen für uns?
    Rosen: Ich glaube, die Fragen stellen sich die Medien hier gerade jeden Tag. Ich glaube, es herrscht allgemein Konsens darüber, dass die Medien der AfD nicht zu viel Raum geben sollten. Dadurch werden Tabus gebrochen, die der AfD wiederum weiteren Zulauf bescheren. Wollen Journalisten wirklich einen Zuwachs dieser Bewegung bewirken? Auf der anderen Seite können sie die AfD nicht ignorieren, weil sie mit 12, 13 Prozent und mit etwa 90 Abgeordneten gewählt worden sind. Also sind sie von den Medien auch wie eine normale politische Partei zu behandeln. Auf der anderen Seite aber auch wieder nicht. Als ich deutsche Journalisten danach fragte, wie sie diesen Konflikt lösen wollen, kam es zu keinem Konsens unter ihnen. Sie wissen wirklich nicht, wie sie damit umgehen sollen.
    Alexander Gauland (l), Fraktionsvorsitzende der AfD, unterhält sich mit Thomas Walde, Journalist, während des "Berlin direkt" ZDF-Sommerinterviews.
    Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland bei der Aufzeichnung eines Interviews mit dem ZDF (Jule Roehr/ZDF/dpa )
    Allroggen: Haben Sie unter den Journalisten in Deutschland so etwas wie Solidarität verspürt, auch dadurch, dass sie gemeinsam für eine Sache kämpfen, oder gibt es das nicht, weil der Konsens, wie Sie gerade sagten, eben fehlt?
    Rosen: Ich denke, es gibt Solidarität unter den deutschen Medien. Ich glaube, die Journalisten hier begreifen sich als einen wichtigen Berufszweig. Sie sind sich darüber einig, dass sie deshalb Verantwortung zu übernehmen haben, dass sie den Kräften der deutschen Demokratie vertrauen. All das bedeutet aber nicht, dass sie dadurch zwangsläufig wissen, wie man mit diesem rechten Problem umgeht. Wir haben es mit einer politischen Bewegung zu tun, die die Rolle der Medien schwächen will, indem sie diese Medien als Lügenpresse oder als Systempresse diskreditiert. Damit wird ein komplettes System in Frage gestellt, auch das der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Und deshalb handelt es sich hier nicht um eine normale politische Partei. Also wird es viele Gespräche brauchen, um herauszufiltern, wie die Journalisten mit dieser Partei umgehen wollen.
    Wehmütig zurück in die USA
    Allroggen: Und sind Sie jetzt glücklich darüber, dass es jetzt für Sie in die USA zurückgeht? Haben Sie genug über die deutschen Medien erfahren oder werden Sie das Thema weiter verfolgen?
    Rosen: Ich bin schon traurig, wieder fahren zu müssen. Ich werde in zwei Tagen zurückfliegen. Aber ich merke, dass ich wirklich Vieles verstanden habe über die Hauptstadtberichterstattung und auch über Medien in Deutschland. Das interessiert mich sehr, und ich bin mir sicher, dass ich das Thema weiter verfolgen werde. Mich interessiert, wie es für die Medien in Deutschland weitergehen wird: Wird es den Medien hier gelingen, sich gegen den Populismus zu behaupten? Wird es vielleicht eine linke Bewegung geben, die sich ähnlich wie jetzt die rechte gegen die Medien richten wird? Und Deutschland ist umgeben von anderen Ländern, die mit noch extremeren Ausformungen zu tun haben. Ich glaube, jedes Land muss für sich selbst herausfinden, wie es mit diesen rechten Bewegungen umgehen muss, die Medien als Körperschaften, als öffentliche Einrichtungen nicht mehr akzeptieren wollen. In den USA haben wir darauf noch keine Antwort gefunden, in Europa ist man da schon weiter. Ich werde sicher verfolgen, wie es mit den deutschen Medien weitergeht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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    Jay Rosen hat uns nachträglich gebeten, unsere Übersetzungen seiner Antworten an drei Stellen zu präzisieren, damit sie noch klarer verstanden werden.
    * Ursprünglich stand an dieser Stelle:
    Trotzdem seien die Medien in Europa bei diesem Thema schon weiter als in den USA, sagte Rosen im Deutschlandfunk.
    ** Ursprünglich stand an dieser Stelle:
    Ja, ich war vor meinem Aufenthalt noch nie in einer europäischen Stadt und noch nie in Berlin gewesen.
    *** Ursprünglich stand an dieser Stelle:
    Ich kann mir das vorstellen, dass man sich davon trennt, auch aufgrund der Kritik daran.