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Jubiläumsfeier "200 Jahre Turnen“

Vor 200 Jahren gründete Friedrich Ludwig Jahn in der Berliner Hasenheide den ersten deutschen Turnplatz. Das war der Beginn der Turnbewegung, die heute unter dem Dach des Deutschen Turner Bundes fünf Millionen Mitglieder vereint. Die Erfolgsgeschichte ist nicht unumstritten.

Von Sandra Schmidt |
    "Es bleibt zu hoffen, daß der 200. Geburtstag einer Zäsur gleichkommen wird. Hat das geschichtliche Bewußtsein nicht nur eine erinnernde, sondern auch eine kritische Funktion, dann ist eine kritische Retrospektive das Gebot der Stunde" – so Hajo Bernett 1978 über das deutsche Jahn-Bild. Dem 200. Jahrestag der Einweihung des ersten Turnplatzes durch Friedrich Ludwig Jahn wurde jetzt mit einer Jubiläumsfeier auf der Berliner Hasenheide gedacht. Von Zäsur war keine Rede. Es klang zunächst so:

    "Turner auf zum Streite, tretet in die Bahn, Kraft und Mut geleite, uns zum Sieg hinan"

    Rund 100 Gäste hatten vor dem Jahndenkmal Platz genommen, sie applaudierten dem Singekreis des Berliner Turner-Bundes, hocherfreut über das berühmte Lied "Turner auf zum Streite".

    An den schulfreien Nachmittagen hatte der Hilfslehrer Jahn vor über 200 Jahren seine Zöglinge an den Berliner Stadtrand gebracht, um Leibesübungen zu betreiben. Das Neue ans Jahns Turnplatz bestand in der Öffentlichkeit: das Gelände an der Hasenheide stand Männern aller Schichten und jeden Alters offen. Man duzte sich, der Turnbetrieb war kostenlos. Jahn verteilte Ledermarken als Zeichen der Zugehörigkeit und verordnete eine egalitäre Kleidung. Hier finden sich positive Anknüpfungspunkte. Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turner-Bundes:

    "Unsere Vereine bieten heute Heimat. [...] Wir schaffen damit gesellschaftliche Mitte und damit auch ein Stück sozialer Frieden. Das ist heute auch ein Auftrag, der vor 200 Jahren hier entstanden ist."

    Brechtken spricht auch von der Herausforderung, Menschen gesund alt werden zu lassen, von der Leistungsbereitschaft und von bürgerschaftlichem Engagement. Doch die frühe Turnbewegung Jahns war alles andere als ein Sportverein in unserem Sinne: Sie war zuvorderst eine politische Bewegung, die sich die Bildung einer deutschen Nation zum Ziel gesetzt hatte. So war denn auch das Spielen Jahns zumeist ein Krieg-Spielen und die Übungen waren auch Übungen zur Wehrertüchtigung. 1813 nahmen Jahn und zahlreiche Turner an den Befreiungskriegen gegen Frankreich teil. Die preußische Regierung hatte das Turnen zunächst gefördert, nach der Breslauer Turnfehde und der Ermordung des Schriftstellers Kotzebue durch einen Turner aber ließ sie die Turnplätze verbieten. Jahn wurde nach nur acht Jahren Wirken als oberster Turner festgenommen.

    Auch am Festtag wurde auf der Hasenheide wieder geturnt und zwar parallel an einem alten Holzpferd aus Jahnscher Zeit und dem heute olympischen Seitpferd. Die historischen Turner trugen graue Hosen und angeklebte Schnurbärte; der ein oder andere junge Auswahlturner im Dress der Nationalmannschaft schaute ein wenig irritiert. Dass die Wahl auf das Pferd fällt, ist kurios, ist doch ausgerechnet dieses Gerät keine Erfindung Jahns, sondern der italienischen Renaissance. An das heute Selbstverständliche, das mit Jahn in Deutschland seine Anfänge nahm, erinnerte Festredner Jürgen Dieckert:

    "Das Recht des Menschen auf Spiel und Bewegung und das auch außerhalb schulischer Unterweisung oder staatlicher Förderung. Das war neu. Das war revolutionär."

    Nach Aufhebung der Turnsperre 1842 allerdings spielte Jahn für die Turnbewegung so gut wie keine Rolle mehr. Er wurde noch zu Lebzeiten zum Mythos. Die anfänglich national-emanzipatorische Turnbewegung wandelte sich im Kaiserreich in eine nationalistische und dann ohne Zögern in eine nationalsozialistische. Jahn hatte auch hierfür das entscheidende Stichwort geliefert. "Je reiner ein Volk, je besser; je vermischter, je bandenmäßiger" meinte er. Mit Beschimpfungen von Zigeunern und Juden machte er sich – wie die Historikerin Christiane Eisenberg urteilt – "einen Namen [...] als früher Propagandist antisemitischer und völkischer Ideen".

    Von all dem war freilich bei der Jubiläumsfeier nicht die Rede. Eine Breakdance-Tanzdarbietung brachte selbst den ältesten unter den zumeist ergrauten Gästen vor Augen, was aus dem Turnen heute auch geworden ist. Nicht nur der wissenschaftlichen Sportgeschichte, auch dem Deutschen Turner-Bund ist im Übrigen längst klar, dass sich Jahn nicht für einseitige Lobhudeleien eignet. Rainer Brechtken:

    "Wir haben allen Anlass stolz zu sein, aber wir haben auch Anlass, sehr vieles kritisch zu würdigen. Und es ist kein Widerspruch eine kritische Auseinandersetzung auch mit den Widersprüchen Jahns zu führen und trotzdem die klaren positiven Beispiele herauszuarbeiten, die uns heute noch prägen."

    Das war längst nicht immer so.