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Juden, Christen und Muslime in Israel
Frieden mit Abrahams Hilfe?

Er war ein Nomade und wanderte auf Gottes Geheiß ins Gelobte Land, das heutige Israel: Abraham, der Stammvater von Juden, Christen und Muslimen. Immer öfter besinnen sich die drei Religionen auf ihre gemeinsamen Wurzeln. Abraham soll in Israel als Friedensstifter dienen und ist Namensgeber für zahlreiche Koexistenz- und Tourismus-Projekte.

Von Lissy Kaufmann | 10.01.2017
    Die Ikone "Apa Abraham" in der Ausstellung "Ein Gott" im Berliner Bode-Museum. Ein gemaltes Bild eines Mannes mit grauem Bart auf rotem Stein, in einer Glasvitrine.
    Die Ikone "Apa Abraham" war in der Ausstellung "Ein Gott" im Berliner Bode-Museum zu sehen. Abraham gilt in Judentum, Christentum und Islam als Stammvater. (dpa/picture alliance/Felix Zahn)
    Gut zwei Dutzend Jugendliche suchen an diesem Winterabend im Ben Zvi Institut in Jerusalem noch einen Sitzplatz. In wenigen Monaten werden sie ihren Armeedienst beginnen, der in Israel für Frauen und Männer Pflicht ist. Die Monate davor nutzen sie für verschiedene Lernprogramme.
    An diesem Abend treffen sie das sogenannte Abrahamic Team: Vertreter der drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Die jüdische Menschenrechtsorganisation "Rabbis for Human Rights" organisiert Treffen dieser Art. Mit dabei sind eine Islamgelehrte, ein Pfarrer und der Reformrabbiner Levi Weiman Kelman:
    "Das Programm soll zeigen: Mitglieder verschiedener religiöser Traditionen beziehen unterschiedliche Positionen und sind uneins – das aber mit Respekt oder sogar liebevoll. Das ist gerade hier so wichtig, wo Streit oft zu Gewalt führt."
    Das "Grab der Patriarchen" in Hebron. Hier sollen Abraham, seine Frau Sarah und ihre Söhne begraben liegen.
    Das "Grab der Patriarchen" in Hebron. Hier sollen Abraham, seine Frau Sarah und ihre Söhne begraben liegen. (Lissy Kaufmann / Deutschlandradio)
    Die drei Religionsvertreter sprechen an diesem Abend über Menschenwürde. Sie schildern die Sichtweisen ihrer Religionen, zeigen Gemeinsamkeiten auf. Schließlich haben sie alle die gleichen Wurzeln, wie die Islamgelehrte Layla Abed Rabo erklärt:
    "Es ist mir wichtig, an diesen Treffen teilzunehmen, weil wir alle Kinder Abrahams sind. Es ist wichtig, dass wir uns zusammensetzen, um den jungen Menschen zu zeigen, dass es Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen gibt. Und auf diesen Gemeinsamkeiten können wir einen Dialog aufbauen, um Koexistenz zu fördern."
    "Dieser Hype ist wichtig"
    Dialog und Verständigung im Namen Abrahams, auf den Spuren des Stammvaters – das hat Konjunktur, in jenem Land, das von einigen als heilig bezeichnet wird und doch von Konflikten geprägt ist. Es gibt den Abraham Fund, der sich für die Koexistenz von Juden und Arabern einsetzt; das Abraham Hostel und die Abraham Tours, sowie den Wanderweg Abraham Path.
    Für den evangelischen Theologen und Bibelarchäologen Dieter Vieweger ist der Hype um Abraham verständlich. Er plädiert dafür, Abraham sogar noch stärker für Friedensinitiativen zu nutzen:
    "Diejenigen, die miteinander Verbindendes sagen wollen, die kommen natürlich auf den Abraham, und deswegen ist der Hype auch wichtig. Der müsste viel größer sein, nicht nur unter den paar wenigen Leuten, die friedlich und versöhnungsbereit sind. Das müsste allen gesagt werden: Alles, was du denkst und sagst: Denk daran, wir haben das alles geteilt, wir haben das aus einer Wurzel und denk dran, dass auch der Andere Wahrheit in sich trägt. Das ist eine große Religionsgemeinschaft, Juden, Christen und Muslime."
    Orthodoxe Juden beten in der Synagoge am "Grab der Patriarchen" in Hebron.
    Orthodoxe Juden beten in der Synagoge am "Grab der Patriarchen" in Hebron. (Lissy Kaufmann / Deutschlandradio)
    Abraham ist für die drei großen Weltreligionen eine Vaterfigur und ein bedeutsamer Ausgangspunkt, wenn auch je auf eigene Weise. Für das Judentum ist Abraham auch der erste Siedler im Gelobten Land, wie der Bibelwissenschaftler Yair Zakovich erklärt:
    "Abraham ist der Vater unserer Nation, so wird er uns in der Bibel präsentiert. Er wurde von Gott gerufen, die alte Welt zu verlassen und in das Land Kanaan, nach Israel, zu kommen. Er wandert durch das Land, baut hier und da einen Altar. Grundstein für alle heiligen Stätten hier in Israel."
    Pilgerstätte für Juden und Muslime
    Hebron, gut 50 Kilometer südlich von Jerusalem, im von Israel besetzten Westjordanland. Hier sollen Abraham, seine Frau Sarah und ihre Nachfahren begraben liegen, im "Grab der Patriarchen". Hier stehen heute nicht nur 2000 Jahre alte jüdische Grabbauten, sondern auch die islamische Abrahamsmoschee und Überreste einer christlichen Kirche aus der Kreuzfahrerzeit.
    Das Grab ist eine Pilgerstätte für Muslime und Juden, aber beide Religionen bleiben für sich, erklärt Theologe Dieter Vieweger. Mehr noch: Sie teilen sich das Grab.
    "Machpela, also das Abrahamsgrab, ist ja auch eine der skurrilsten Gelegenheiten zu sehen, wie etwas miteinander funktioniert", sagt Vieweger. "Und die normale Regel ist eben die, dass Abraham und Sarah in der Mitte liegen und geteilt sind, für beide zugänglich sind. Und die anderen Gruppen haben jeweils einen Erzvater, also Isaak und Jakob und deren Frauen. Das ist schon auch skurril, aber es ist wenigsten ein Modus Vivendi."
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    Eine Gruppe Touristen wird durch die Abrahamsmoschee am "Grab der Patriarchen" geführt. (Lissy Kaufmann / Deutschlandradio)
    Der Reiseanbieter Abraham Tours zeigt Touristen aus aller Welt die Region - auf den Spuren des Nomaden Abrahams. Die Dual Narrative Tour führt in die umstrittene Stadt Hebron.
    Ein ehemaliger jüdischer Siedler und ein muslimischer Einwohner zeigen nacheinander einer Gruppe Touristen ihre Stadt. Sie schildern jeweils ihre Sicht der Dinge – nicht neutral und ungefiltert. Tourguide Mohammed führt in die Abrahamsmoschee:
    "Wir sind hier auf der muslimischen Seite des Grabes der Patriarchen. Vom jüdischen Teil trennt uns dieses Eisengitter. Das Gitter gibt es seit dem Massaker in der Moschee. Es war ein Wendepunkt, mit dem Massaker hat sich alles verändert."
    Massaker in der Grabanlage
    Bei dem Massaker im Jahr 1994 tötete der jüdische Attentäter Baruch Goldstein 29 Muslime. Um heute auf die andere Seite des Grabes zu gelangen, müssen die Touristen einmal außen herumlaufen, vorbei an Sicherheitsleuten, und durch einen zweiten Eingang wieder hinein.
    Hier, auf der jüdischen Seite, betet gerade eine Gruppe Ultraorthodoxer. Doch an einem historischen und multireligiösen Ort ist eine vollständige Trennung zwischen Juden und Muslimen kaum möglich, sagt der jüdische Tourguide Adam.
    "Drei Mal am Tag eskortiert die israelische Polizei hier einen Muslim durch die Synagoge, durch diesen Gang, durch den wir gerade gekommen sind. Dort hinten ist ein Raum mit einem Mikrofon, und dort ruft der Muslim zum Gebet."
    "Es wird Frieden geben, wenn alle miteinander reden"
    Sicherheitspersonal und Soldaten – sie gehören zum Stadtbild von Hebron. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen. Und mittendrin liegt womöglich Abraham begraben, in gewisser Weise der Quell für allen Streit.
    Und doch ist der Stammvater genau an diesem Ort auch ein Hoffnungsschimmer für den Frieden. Weil er an die Gemeinsamkeiten erinnert. So sucht auch Noam Arnon den Kontakt zu den anderen Nachfahren Abrahams. Er ist Sprecher der jüdischen Siedler in Hebron:
    "Ich treffe Oberhäupter und Clanführer der arabischen Seite. Ich glaube, es wird in diesem Land Frieden geben, wenn alle miteinander reden. Vor allem Hebron, die Stadt der Vorväter und -mütter, soll, kann und wird der Ort sein für ein neues Friedenskonzept."