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Juden in Italien
Mehrheitlich für den Duce

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts katapultierte sich Italien in die Moderne. Auch mithilfe von Juden. Ihre Große Synagoge in Rom wurde zum Zentrum jüdischen Lebens. Doch dann kam Benito Mussolini. Wie antisemitisch aber war der Duce und wie erging es Juden im faschistischen Italien?

Von Thomas Migge | 03.09.2015
    Casa dei Ricordi zwischen Predappio und Forlì – das Haus der Erinnerungen. Dort, wo die Mussolinis Frau Rachele Mussolini bis 1979 lebte ist ein Kultort mit unzähligen Erinnerungsstücken entstanden.
    Bis zur Verabschiedung der Rassengesetze 1938 in Italien, genießt Mussolini die Unterstützung der meisten in Italien lebenden Juden (Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler)
    Tausende von Menschen unterwegs. Vor allem Männer in schwarzen Hemden. Es geht Richtung Rom. Benito Mussolini in erster Reihe.
    Der legendäre Marsch auf Rom im Oktober 1922 gilt als die offizielle Machtergreifung des Duce in Italien. Mussolini baut die konstitutionelle Monarchie zu einer konservativen Diktatur um, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Obwohl der Ex-Sozialist Mussolini jetzt reaktionäre Parolen schwingt, ist er doch nie antisemitisch. Darin unterscheidet er sich grundsätzlich von Adolf Hitler. Bis 1938, bis zur Verabschiedung der Rassengesetze auch in Italien, genießt Mussolini deshalb die Unterstützung der meisten in Italien lebenden Juden, erklärt die römische Historikerin Anna Foa:
    "Die italienischen Juden – es waren etwa 50.000 – waren wegen des Marschs auf Rom in keiner Weise beunruhigt. Sie fühlten sich vor allem als Italiener und nicht als Juden. Nicht wenige von ihnen, etwa 230, waren zusammen mit Mussolini nach Rom marschiert."
    Unter den 119 Gründungsmitgliedern der faschistischen Partei Mussolinis sind fünf Juden. In Mussolinis Regierung werden mehrere jüdische Politiker berufen. Aldo Fini ist nicht nur Staatssekretär im Innenministerium, sondern auch Mitglied des Gran Consiglio, des höchsten faschistischen Staatsgremiums. Dante Almansi ist Vize-Chef der faschistischen Partei. Juden sind Gouverneure in den neuen Kolonien, Generäle und hohe Beamte. Dass Mussolini nichts gegen Juden hat, beweist auch Margherita Sarfatti. Sie ist seine Geliebte. Die Schriftstellerin stammt aus einer bekannten jüdischen Familie Venedigs.
    "Es ist wichtig zu verstehen, warum Italiens Juden mehrheitlich nichts gegen den Faschismus hatten: Sie hatten voll hinter der italienischen Beteiligung am ersten Weltkrieg gestanden, sie hatten gekämpft und Opfer gebracht und fühlten sich als italienische Nationalisten. Als solche kritisierten sie das politische Chaos ihres Landes vor Mussolinis Machtübernahme. Dass der Faschismus das Ideal der Nation hoch hielt, genau das führte die meisten Juden in die Arme des Duce."
    Seit der deutsch-italienischen Annährung nahm der Antisemitismus zu
    1930 verabschiedet die faschistische Regierung das Gesetz Legge Falco. Es fasst kleinere jüdische Gemeinden zu großen Gemeinschaften zusammen. Dass das Regime so die jüdische Gemeinschaft besser kontrollieren kann, kommt den italienischen Juden zunächst nicht in den Sinn. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass es schon vor 1938 antisemitische Ausfälle gibt. Auch wird damals übersehen, dass faschistische Zeitungen schon rund um Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 den deutschen Führer und sein antisemitistisches Machwerk "Mein Kampf" verehren. Antisemitische Mitglieder der faschistischen Staatspartei lassen es schon im ersten Jahr nach der Machtübernahme Mussolinis nicht bei Worten. 1926 verwüsten militante Faschisten im italienischen Padua eine Synagoge. Die Historikerin Anna Foa ist überzeugt, dass die meisten italienischen Juden nicht erkennen wollten, wie sich antijüdisches Gedankengut auch in ihrem Land langsam, aber sicher ausbreitet:
    "Bei Prozessen gegen vermeintliche Antifaschisten, 1934 und 1935 in Turin, nutzten Staatsanwälte zum ersten Mal ganz öffentlich und offen antisemitische Phrasen. In den Zeitungen war damals die Rede von 'antifaschistischen Juden'. Es handelte sich um jüdische Mitglieder der Bewegung 'Giustizia e Libertà', der unter anderem Leone Ginsburg und mein Vater Vittorio Foa angehörten, der nach seinem Prozess neun Jahre lang im Gefängnis saß."
    Seit sich Rom und Berlin, faschistisches Italien und Nazi-Deutschland annähern, nimmt auch der Antisemitismus zu. Schleichend. Dennoch, so Hochrechnungen des Deutschen Historischen Instituts in Rom, stehen rund 90 Prozent aller italienischen Juden bis 1938 hinter Mussolini. Italienische Antifaschisten, ob jüdisch oder nicht, werden anders als in Hitler-Deutschland, nicht ermordet. Sie verschwinden nicht in Konzentrationslagern. Mussolini lässt sie hinter Gitter stecken oder schickt sie ins Exil nach Süditalien – wie den jüdischen Schriftsteller Carlo Levi, der seine Erlebnisse in seinem ergreifenden Buch "Christus kam nur bis Eboli" lebhaft beschreibt.
    Jüdische Emigranten aus Nazi-Deutschland dagegen werden in Italien mit offenen Armen aufgenommen. Mussolinis Außenministerium erteilt, jedenfalls bis 1938, allen Immigranten aus Deutschenland eine Aufenthaltsgenehmigung, sofern sie nachweisen können, keine antifaschistische Propaganda betrieben zu haben. Bis 1938 lassen sich etwa 4.000 Juden aus dem Deutschen Reich und aus Österreich im faschistischen Italien nieder. Viele von ihnen wandern später, nach der Verhängung der Rassengesetze, über Frankreich in die USA aus. Nicht wenige wurden nach 1938 interniert – und später von den deutschen Besatzern Mittel- und Norditaliens in Vernichtungslager deportiert.