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Jüdisch-muslimischer Dialog
"Du hast denselben Struggle"

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat das Projekt "Schalom Aleikum" gestartet. Juden und Muslime aus ähnlichen Berufsgruppen sollen einander begegnen, um über ihren Alltag zu sprechen - und nicht unbedingt über Religion. Beim nächsten Termin am 25. Juli sind auch Christen dabei.

Von Carsten Dippel | 23.07.2019
Eine Muslimin mit Kopftuch und eine junge Frau mit Kippa nehmen am Samstag (15.09.2012) in Berlin gemeinsam an einer Demonstration teil.
Mit dem Projekt "Schalom Aleikum" soll der Dialog zwischen Juden und Muslimen gefördert werden (Picture Alliance / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)
"Das ist ja beides in mir drin, ich bin nicht das Eine ohne das Andere, es ist nicht so, dass ich heute meine Unternehmermütze aufhabe und morgen die Judenmütze aufhabe, sondern das geht Hand in Hand und das bin ich als Person."
Nelly Kranz hat mit "Nelly's Network" ein Unternehmen gegründet, das themenspezifische Bildungsreisen für Politik und Wirtschaft nach Israel anbietet. Sie ist der Einladung des Zentralrats der Juden in Deutschland in die Berliner Kalkscheune gefolgt. Hier treffen an diesem Abend Dutzende jüdische wie muslimische Jungunternehmer aufeinander. Sie tauschen sich aus, hören einander zu, erzählen ihre ganz persönlichen Geschichten.
"Was mir besonders gut gefallen hat, ist die Normalität hinter der Sache, Muslim oder Jude in Deutschland zu sein. Man hat Zweifel und fällt hin und scheitert und steht wieder auf und macht weiter als Unternehmer. Es ist egal, welcher Hautfarbe, Haarfarbe, Religion du zugehörst, du hast denselben Struggle."
Den Blick aufeinander richten
Aufgewachsen ist Nelly Kranz in München. Nach dem Abitur zog sie nach Israel, wo ihre Eltern herkommen. Heute lebt sie wieder in Deutschland. An diesem Abend begegnet sie unter anderem Faruk Tuncer, Mitgründer und Geschäftsführer von "Polyteia", einem Unternehmen, das Stadtverwaltungen bei Digitalisierungsmaßnahmen hilft. Tuncers Großeltern kamen einst als türkische Gastarbeiter nach Deutschland. Faruk Tuncer sagt:
"Interessant ist eigentlich nicht das Religiöse, sondern dass man irgendwie eine Minderheit ist und man einen anderen Blickwinkel auf Dinge hat, weil man es gewohnt war, zum Beispiel, zu Hause das eine kennenzulernen, aber die Mehrheit denkt anders als ich."
Ein Dialog unabhängig von verfassten institutionellen Strukturen, das ist das, was dem Zentralrat mit seinem Projekt "Schalom Aleikum" vorschwebt. Es geht um die ganz "normalen" Mitglieder der beiden Gemeinschaften, um Studierende, Sozialarbeiter, um die Ärztin, den Rechtsanwalt oder, wie an diesem Auftaktabend in Berlin, um Jungunternehmer. Das Projekt "Schalom Aleikum" will den Blick aufeinander richten, sagt Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland:
"Neu ist das Format, wir gehen ja weg von einem theologischen Diskurs zu einem gesellschaftlichen Diskurs und hier wollen wir genau dort ansetzen, wo Menschen auch tatsächlich in ihrem Alltag sind."
Die Kontaktaufnahme in einer Szene, die es gewohnt ist, schnell und direkt zu agieren, lief spielend. Telefonnummern wurden getauscht, Ideen für eventuelle gemeinsame Projekte entworfen. Ähnliche Erfahrungen, die Juden oder Muslime im Alltag machen, wurden geteilt.
"Ich hatte das Gefühl, dass weggeschaut wird"
Das Projekt "Schalom Aleikum" wird von der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert und finanziell unterstützt. Dass sich die Politik hinter dieses Projekt stellt, begrüßt Nizana Brautmann, die als Jungunternehmerin in der Immobilienbranche tätig ist.
"Ich hatte sehr lange das Gefühl, dass weggeschaut wird. Dass die Problematik von diesem neuen Rassismus und Antisemitismus, eben egal in welcher Form, ein bisschen totgeschwiegen wird. Und ich hatte heute das Gefühl, das wird offen angesprochen."
Ihren Militärdienst hat Brautmann in Israel absolviert, bevor sie zurück nach Berlin ging. Naomi Afia Günes-Schneider wuchs in einem Dorf in Nordrhein-Westfalen auf. Als "Afrodeutsche", wie es ihr oft entgegenschallte, weiß sie, wie sich Ausgrenzung anfühlt. Die Muslimin lebt heute in Wien und entwirft für ihr eigenes Label "Naomi Afir" sogenannte Modest Fashion, Kleidung, die modern ist und dennoch religiöse Vorschriften berücksichtigt. Sie sagt:
"Ich bin schon im interreligiösen Dialog tätig, aber man bleibt immer auf einer Ebene. Und ich finde es spannend, sich auf einer ganz anderen Ebene zu treffen, die beruflich ist, wo jede Person eine ganz andere Geschichte, ganz andere Erfahrungen hat. Und sich da einfach auszutauschen und diesen Identitätsaspekt trotzdem mit reinzunehmen, der aber auch wieder ganz unterschiedlich ist bei jedem."
Ein Miteinander jenseits des Nahostkonflikts
Unter Muslimen hierzulande und erst recht unter jenen muslimischen Migranten, die aus "Frontstaaten" des Nahostkonflikts wie Syrien kommen, sind antijüdische Vorurteile stark verbreitet. Hier anzusetzen, sei dringend geboten, sagt Micha Brumlik, Senior Professor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg:
"Dass sich Muslime und Juden wechselseitig besser verstehen und sie realisieren, dass sie hier in Deutschland eine neue Beziehung religiös-kultureller Art aufbauen, die nicht mehr von den Spannungen im Nahen Osten überlagert wird."
Viele Juden fühlen sich nicht mehr sicher
Boris Moshkovits, der mit seiner Firma "Aleph Sana" auf den Import von medizinischem Cannabis setzt, engagiert sich schon seit vielen Jahren auf lokaler Ebene für den Dialog. So hat er in Berlin-Kreuzberg einen jüdisch-türkischen Roundtable organisiert. Er erlebe häufig aber auch die andere Seite, Momente, wo Dialog nicht mehr fruchtet. "Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, wenn meine Frau ihre Kette mit dem Davidstern trägt, spüren wir, dass es kritisch gesehen wird. Bemerkungen, Blicke, noch keine Gewalt, eine aggressive Grundstimmung gegenüber dem Jüdischen."
Die Kinder von Boris Moshkovits gehen in einen liberalen jüdischen Kindergarten. Dort erlebt er eine zunehmend defensive Haltung anderer Eltern.
"Es war so, dass immer mehr gesagt haben, verzichtet doch darauf. Warum tragt ihr den Davidstern, lasst das doch lieber, ist einfach nicht mehr sicher. Diese Einschränkung im alltäglichen Leben ist schon bedenklich, dass es soweit gekommen ist."
Der Radikalisierung den Boden entziehen
Doch auch auf jüdischer Seite in Deutschland gebe es Vorbehalte gegenüber Muslimen - bis hin zu islamophoben Einstellungen, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster.
"Das muss man auch ganz ehrlich und klar so sagen. Und wenn es darum geht, Vorurteile abzubauen, dann ist das für mich auch ein Begriff der Prävention, die weder die eine noch die andere Seite unter Generalverdacht stellt."
19.07.2018, Bayern, München: Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, aufgenommen während der Vergabe des Simon-Snopkowski-Preis.
Zentralratspräsident Schuster möchte auch Vorurteile in den eigenen Reihen abbauen (dpa / picture alliance / Peter Kneffel)
Der Zentralrat setzt große Hoffnungen in das Projekt.
"Wenn es uns gelingt, auf dieser Ebene Menschen unterschiedlicher Religion, hier Juden und Muslime, miteinander ins Gespräch zu bringen, die von Haus aus mit Vorurteilen gegenseitig belastest sind, wenn wir zunehmend zu einem Miteinander kommen zwischen Juden und Muslimen, wird einer zunehmenden Radikalisierung der Boden entzogen."