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Jüdisches Leben sichtbar machen

Einen Monat lang wird in Warschau an den Getto-Aufstand im April 1943 erinnert. Die Gedenkveranstaltungen sind gut besucht - zur Freude von Golda Tencer, der Leiterin des Jüdischen Theaters. Ihr persönliches Projekt: Eine Ausstellung mit 9000 Fotos einfacher jüdischer Menschen.

Von Sabine Adler | 19.04.2013
    Rundgänge durch das ehemalige Getto, Ausstellungen, Theatervorführungen: Einen ganzen Monat lang wird in Warschau des Aufstands der 700 Juden gegen die 2000 Mann starken deutschen Kräfte gedacht. Viele der inzwischen wenigen Juden in Polen fragen sich an Tagen wie diesem Jubiläum: Interessiert der für uns wichtige Tag auch den großen Rest der polnischen Gesellschaft?

    "Jude - das ist in Polen ein kontroverses Wort. Erste Assoziation ist eben das Warschauer Getto, das war eine unglaubliche Tragödie, der ganze Zweite Weltkrieg. Ich erinnere mich an den Film 'Der Pianist'. Leider gibt es immer noch Antisemitismus in Polen. Er drückt sich auf verschiedene Weise aus, das kann man nicht vertuschen."

    "Getto? Das fällt mir nichts Gutes ein."

    "Es gab hier viele Plätze, wo sie schikaniert wurden."

    Erster Höhepunkt der offiziellen Feiern war gestern Abend das Konzert des Israelischen Philharmonieorchesters dirigiert von Zubin Mehta.

    Beethoven stand auf dem Programm und die Gettohymne auf Jiddisch "Zog nit ken mol". Gemeinsam gesungen von den Chören des National- und des Jüdischen Theaters in Warschau.

    Letzteres wird von Golda Tencer geleitet, die sich freut, dass dieses, ihr Konzertprojekt aufgegangen ist und die Feiern eine vorzeigbare Dimension angenommen haben.

    "Es werden 4000 Gäste erwartet. Aus meiner Generation der sogenannten 'März '68' aber nur 200. Und selbst das ist schon viel. Die Generation meines Vaters existiert nicht mehr. Mein Vater war im Getto, dann in Auschwitz und in Mauthausen. Ich bin schon 40 Jahre in Jüdischem Theater. Wir haben immer Veranstaltungen aus diesem Anlass vorbereitet. Früher allerdings nur im Theater. Als ich noch in der Schule war, das war in Lodz, fuhren wir jedes Jahr an diesem Tag nach Warschau."

    Eine Golda Tencer gab es schon einmal. Keine Künstlerin. Die erste Tochter ihres Vaters aus erster Ehe. Sie wurden in Auschwitz umgebracht, überlebt haben ein Bruder und der Vater, der eine neue Familie gründete und wieder eine Tochter Golda haben wollte.

    Die zweite Golda, Sängerin und Schauspielerin, erlebte die polnischen Studentenunruhen 1968, auf die die Kommunisten mit der Ausweisung von Juden reagierten. Golda verließ das Land nur ihrem Vater zuliebe nicht.

    "Schlecht fühle ich mich, dass ich blieb. Es sind 40 Jahren vergangen. Ich habe eine Tafel an dem Gdansker Bahnhof anbringen lassen, er war Symbol aller Bahnhöfe, wohin wir unsere Familien begleiteten. Mein Bruder ist damals weggefahren. Der Schmerz blieb mit mir bis heute. Ich habe damit nicht abgeschlossen."

    Das bei dem polnischen Dichter Czeslaw Milosz thematisierte Alleinsein der Opfer kennt Golda Tencer auch von sich. Sie bekämpfte es mit Aktionismus. Sie widmet ihr Schaffen dem jüdischen Leben in Polen, macht es sichtbar:

    "Ich habe 9000 Fotos zusammengetragen, das ist mein großes Projekt. Die Sammlung war inzwischen an mehr als 50 Orten. Gerade ist sie in Ostpolen in Bialystok. Sie war in Chicago, Detroit, New York und so weiter. Mir geht es um die einfachen jüdischen Leute, über die die Geschichte keine Auskunft gibt, Nicht um die großen Wissenschafter, Künstler. Die einfachen Menschen."
    Golda Tencer gibt den Juden in Polen ein Gesicht. Dass so viele die Veranstaltungen zum 70. Jahrestag besuchen, lässt sie hoffen, dass sich etwas geändert hat im Zusammenleben der Menschen.