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Jüdisches Magazin "Jalta"
Intellektuell, jüdisch, progressiv

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland verändert sich. Eine neue Generation stellt andere Fragen und definiert jüdisches Selbstverständnis für sich neu. Sie will nicht mehr nur als Teil eines Opferkollektivs angesprochen werden. Das jüdische Magazin "Jalta" will ihr eine Stimme geben.

Von Carsten Dippel | 04.04.2018
    Die Blattmacher von dem neuen Magazin "Jalta".
    Die Macher des jüdischen Debattenmagazins "Jalta" (Deutschlandradio / Igal Avidan)
    "Wir wollen Positionen beziehen. Wir wollen auf keinen Fall für alle da sein. Das ist nicht die Idee von einem Debattenheft. Das ist auch nicht die Idee von Kunst", sagt der Autor und Lyriker Max Czollek, einer der Herausgeber von "Jalta".
    Das Magazin hat den Untertitel "Positionen zur jüdischen Gegenwart": Es versteht sich als intellektuell, jüdisch, progressiv.
    "Es geht ja auch darum, Dinge zuzuspitzen und Einseitigkeiten auch auszuhalten und verschiedene Artikel so weit zu treiben, dass sie wehtun. Es ist auf jeden Fall auch ein Kommentar und ein Versuch, in eine Leerstelle hineinzugehen, die wir in Deutschland im Raum der Publizistik gesehen haben."
    Max Czollek
    Autor und Lyriker Max Czollek, einer der Herausgeber von "Jalta" (privat)
    Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verändert. Mittlerweile verschafft sich die dritte Generation nach der Shoah - eine bunte, dynamische Generation - immer mehr Gehör. Hierin sieht Max Czollek die Leerstelle begründet, von der er spricht. Denn es gebe mehr als das offizielle, eher konservativ und religiös geprägte Judentum. Die junge jüdische Generation stelle andere Fragen, definiere das jüdische Selbstverständnis für sich neu. Losgelöst von Positionen zum Antisemitismus, zur Shoah und Israel.
    Gespräch zwischen den Generationen
    Die Macher des neuen Magazins, das vor gut einem Jahr erstmals erschien, gehören überwiegend dieser neuen Generation an. "Jalta" versteht sich jedoch nicht als Anti-Projekt zu anderen jüdischen Zeitungen oder Magazinen, sondern sucht das Gespräch zwischen den Generationen.
    Max Czollek: "Und zwar nicht wegen einer Veränderung im Judentum so sehr, wie einer Veränderung in öffentlichen Diskursen in Deutschland. Wir reden heute einfach anders über Minderheiten z.B., wir sind inspiriert und beeinflusst von anderen Minderheitendiskursen, die uns wiederum gestärkt haben darin, eine Kritik an unserer eigenen Funktionalisierung als Minderheiten vorzunehmen."
    Der Titel "Jalta" ist eine bewusste Anspielung: Einerseits auf die Konferenz von Jalta, jenem Badeort auf der Krim, wo im Februar 1945 Churchill, Roosevelt und Stalin die Welt neu ordneten. Andererseits erinnert er an die Frau eines Rabbiners, von der der Talmud berichtet. Jene Jalta habe aus Ärger über das Gebaren ihres Mannes sämtliche Tonkrüge im Haus zerschlagen. Jalta ist also ein symbolischer Ort und eine nicht minder symbolische Figur des jüdisch-feministischen Diskurses.
    "Es geht bei Jalta wirklich darum, einen Raum zu generieren für eine intellektuelle, kritische Perspektive innerhalb einer jüdischen Gemeinschaft. Und dabei die Vielfalt, die es heute schon gibt, sowohl die sowjetische Perspektive als auch die israelische Perspektive, als auch US-amerikanische usw. als Ressourcen zu verstehen, um wegzukommen von dieser reinen Performance des Jüdischen für Deutsche."
    Neue Generation mit neuen Akzenten
    Die junge jüdische Generation will neue Akzente setzen. So wie es Micha Brumlik immer wollte. Brumlik ist inzwischen 70 Jahre alt und Senior Professor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Er, der noch ganz andere Schlachten in diesem Lande geschlagen hat, war Mitbegründer von "Babylon", einem Vorgänger des jetzigen "Jalta"-Magazins. Babylon entstand in Frankfurt am Main und war verwurzelt in der alten Bundesrepublik. Brumlik erinnert daran, wovon junge jüdische Intellektuelle damals beseelt waren:
    "Die meisten von uns waren damals sehr stark von der kritischen Theorie der Frankfurter Schule beeinflusst und wir haben versucht, aus dieser Perspektive zu allen möglichen Vorgängen, die mit dem Judentum zu tun hatten, Stellung zu nehmen."
    Micha Brumlik, ehemaliger Leiter des Fritz-Bauer-Instituts, spricht gestikulierend in ein Mikrofon.
    Micha Brumlik, Mitherausgeber des neuen Debattenmagazins Jalta (imago / IPON)
    Brumlik hat sich als Mitherausgeber hinter das neue Debattenheft Jalta gestellt. Die anderen Mitstreiter der alten Babylon-Mannschaft hatten kein Interesse. Das Argument der alten Weggefährten: Es sei doch alles diskutiert. Dem widerspricht Brumlik: Die Zeiten hätten sich geändert, die heutige jüdische Generation stelle neue Fragen.
    "Mein Eindruck ist, dass für viele der jüngeren Kolleginnen und Kollegen ganz wichtig ist, nicht mehr vor allem als Angehörige eines Opferkollektivs angesprochen zu werden, sondern eben als Angehörige einer radikal demokratischen Minderheit."
    Dieses bewusste Einnehmen eines Minderheitsstatus habe ihn überrascht, sagt Brumlik.
    "Offenbar ist es bei diesen Kolleginnen und Kollegen so, dass sie einen gewaltigen Konformitätsdruck in diesem Land verspüren und dass es darauf ankommt, diesen Konformitätsdruck aufzulockern und deswegen ein bewusstes Bekenntnis zu einer Minderheitenposition. Da habe ich nicht den Eindruck, dass sie sehr wesentlich sich gegen den Konformitätsdruck der Gemeinden aufbäumen, sondern mehr gegen einen gewissen Konformitätsdruck der politischen Alltagskultur in der Bundesrepublik Deutschland."
    Gegen den Konformitätsdruck der politischen Kultur
    Den Konformitätsdruck, von dem Micha Brumlik spricht, erlebt auch Marina Chernivsky, die das Kompetenzzentrum der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland leitet. Sie ist in Lemberg geboren, in Israel aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Auch sie zählt zu den Herausgebern von Jalta. In ihrer Arbeit gehe es darum, wie Migration gestaltet werden soll, wie sich das Selbstbild der deutschen Gesellschaft entwickelt, was gegen Rassismus und Antisemitismus zu tun sei.
    "All diese Fragen hängen sehr, sehr eng miteinander zusammen sowohl in meiner Arbeit als auch in meiner Biographie zum Teil. Und Jalta ist, glaube ich, so ein Ort, wo all das Eingang findet und sich verschränkt. So eine gewisse Verwobenheit zwischen der Wirklichkeit, die wir leben und bewältigen tagtäglich und bearbeiten und einer Wirklichkeit, die wir mit Jalta durch Jalta schaffen. So ein Diskursfeld, welches uns gehört und welches wir auch selbst bestimmen können, Themen und Fragen einbringen können, die uns wirklich sehr beschäftigen als jüdische Deutsche, deutsche Juden oder einfach Juden in Deutschland, mit all den anderen Identitäten, die wir auch noch mitbringen."
    "Jalta" versammelt Beiträge, die mal essayistisch, mal künstlerisch, mal akademisch angelegt sind. Das Magazin erscheint zweimal im Jahr. Im April kommt das dritte Heft zum Thema "Allianzen". Es sollen Möglichkeiten erkundet werden, wie Bündnisse im Diskurs um Migration und Minderheiten geschmiedet werden können. Ein viertes Heft zur "Gegenwartsbewältigung" ist geplant. Nach den beiden ersten Ausgaben zeichnete sich ein großes Interesse gerade von jüdischer Seite ab, so Max Czollek.
    "Ich unterschätze das manchmal fast, wie sehr die Leute diese kritische Instrumentarien auch brauchen. Also ich glaube, wir machen eine sehr wichtige Arbeit für eine jüdische Community."