Christoph Heinemann: Angela Merkel und Jürgen Rüttgers sehen sich heute wieder, am Rhein, beim 4. Zukunftskongress der nordrhein-westfälischen CDU in Düsseldorf. Was Zukunft ist, weiß der Ministerpräsident gut, schließlich bekleidete Jürgen Rüttgers unter Helmut Kohl das Amt eines Zukunftsministers, und der Kongress ist heuer. Grün, geehrt und mit einem Preis ausgezeichnet wird Frank Asbeck, der Chef der SolarWorld AG in Bonn. Gastrednerin ist die Bundeskanzlerin, die über künftige Wachstumschancen Deutschlands und, Hommage an die Gastgeber, Nordrhein-Westfalens sprechen wird.
Am Telefon ist Jürgen Rüttgers (CDU), der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
Jürgen Rüttgers: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Rüttgers, über Wachstumschancen hat man von Ihnen jetzt länger nichts mehr gehört, welche Möglichkeiten sehen Sie für die Nation und für Ihr Land?
Rüttgers: Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg. Wir haben im letzten Jahr das erste Mal seit langer, langer Zeit eine Wachstumsrate gehabt, die über dem Bundesdurchschnitt lag. Das freut uns natürlich sehr, und dahinter steckt ja auch eine spannende politische Erfahrung. Dieses Wachstum ist erbracht worden von den Industrieunternehmen in Nordrhein-Westfalen, und Sie erinnern sich ja, es ist noch gar nicht so lange her, da wurde behauptet, Geld könne man nur mit Geld verdienen, sprich in der Finanzindustrie. Wir beweisen jetzt, dass die klassische Industrie nicht nur Deutschlands Stärke war, sondern auch Deutschlands Stärke in Zukunft ist - allerdings sehr innovativ, mit neuen Produkten, mit neuen Verfahren, mit exzellent ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Heinemann: In welchen Branchen?
Rüttgers: Das fängt beim Stahl an, das geht über die Industriebereiche etwa im Maschinenbau, in der Automobilzulieferung. Für uns sind besonders wichtig die Energie, die Werkstoffe und die Logistik.
Heinemann: Welche ist für Sie die zentrale Zukunftsaufgabe?
Rüttgers: Ich glaube, dass der Kongress das Signal gibt: Wir brauchen in Deutschland mehr Wachstum. Wir haben ja in der internationalen Situation eine Phase, in der mehr als zwei Milliarden Menschen in die Marktwirtschaft eingetreten sind, insofern gibt es eine Grundwelle. Wir profitieren davon in Deutschland, das haben wir in den letzten Jahren gemerkt. Wir haben jetzt Prognosen von den Wissenschaftlern, die von einer leichten Abschwächung des Wachstums sprechen, ich glaube, da können wir aber noch zulegen, weil das dann auch wichtig ist, damit wir die Probleme lösen können. Probleme heißen, wir müssen noch mehr investieren in Bildung, noch mehr investieren in Forschung und Technologie, investieren in die modernste Umweltschutztechnologie, die wir haben. Deshalb ist es auch schön, dass wir Förderpreisträger haben mit Firmen aus Aachen, Solitem, und mit den Schmitz-Werken in Emsdetten, die im Bereich der Werkstoffe wie im Bereich der erneuerbaren Energien zeigen, dass auch kleine und mittlere Betriebe da weltweit mithalten können.
Heinemann: Sie haben die Bildung angesprochen. In Nordrhein-Westfalen hat man gelegentlich den Eindruck, dass Bildungspolitik darin besteht, dass man eine achtjährige gymnasiale Lehrzeit oder Gymnasialzeit beschließt und dann die Lehrer und die Schüler mit gewaltigen Stoffmengen und leeren Mägen allein lässt.
Rüttgers: Das ist ja nicht richtig. Wir sind sicherlich auch im Vergleich zu anderen Bundesländern bei der Umstellung sehr zurückhaltend und sehr überlegt vorgegangen. Bei uns gibt es ja bereits die neuen Lehrpläne, so dass weniger Stoff in den Gymnasien vermittelt werden kann, zielgerichteter vermittelt werden kann, und wir investieren ja massiv auch in Ganztagsschulen, massiv in den Ausbau eines Mensasystems. Wir haben klare Vereinbarungen mit den Lehrerverbänden und den Elternverbänden, dass etwa Kinder in der Klasse 5 und 6 nur einen Nachmittag allenfalls noch in der Schule sind, dann allerdings auch keine Hausaufgaben machen müssen. In den Klassen 7 bis 8 sind das dann zwei Nachmittage in der Woche, so dass auch sichergestellt ist, dass sie noch Freizeit zum Spielen nachmittags haben, dass sie in den Sportvereinen und anderswo auch weiter Mitglied sein können.
Heinemann: Herr Rüttgers, in den letzten Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, Zukunft wäre für Sie vor allem die Entwicklung der Renten.
Rüttgers: Wir haben eine Debatte gehabt innerhalb der Union, und es ging ja im Kern um die Frage, ob diejenigen, die jetzt arbeiten, die jetzt 45, 50, 55 Jahre alt sind, die zum Teil unterbrochene Berufsbiografien haben wie etwa viele Frauen oder die kleinselbstständig sind - wenn Sie an Ich-AGs denken, wenn Sie an die outgesourcten kleinen Unternehmen denken -, dass die dann auch im Alter, nachdem sie ein Leben lang hart gearbeitet haben, nicht in Altersarmut verfallen. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, am Montag da eine klare Ansage durch eine Übereinkunft zu bekommen. Die CDU wird das in ihrem Wahlprogramm behandeln, wird sagen, was in der nächsten Legislaturperiode da gemacht wird. Es ist ja ein Thema, das erst in Zukunft auf uns zukommt in großem Umfang, aber was man jetzt schon klar benennen kann, und deshalb ist es auch gut, wenn Politik etwas tut und jetzt schon etwas tut und nicht abwartet, bis das Problem erst richtig aufgetreten ist.
Heinemann: Das CDU-Präsidium sagt aber auch ganz klar, es wird keine Mindestrente geben und es sagt ja zum Äquivalenzprinzip, also zum Grundsatz: Wer mehr zahlt, bekommt auch mehr heraus. Das hatten Sie ja infragegestellt.
Rüttgers: Das ist auch richtig so. Das habe ich nicht infragegestellt, das war völlig klar, dass die Prinzipien der solidarischen Rente erhalten werden sollen. Gerade wir in Nordrhein-Westfalen kämpfen ja auch in den letzten Jahren für diese Rente, die von anderen bereits für tot erklärt worden ist. Aber wenn ich weiß, dass es Menschen gibt, die so wenig verdienen, dass sie überhaupt keine Chance bekommen, etwa eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen, wenn da Altersarmut droht, dann muss Politik ja antworten. Wir haben klar gesagt in dem Beschluss, dass die CDU eine Rente für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet haben, will, die oberhalb der Armutsgrenze liegt, und wir haben gesagt, wir wollen auch Kleinstverdiener und Kleinstselbstständige in die Lage versetzen, dass sie vorsorgen können, was heute nicht geht. Wenn Sie etwa selbstständig sind mit wenig Einkommen, dann dürfen Sie überhaupt nicht die Riesterförderung in Anspruch nehmen, wenn Sie nicht in der Rentenversicherung sind.
Heinemann: Das heißt, Sie können mit dem Beschluss des Präsidiums, das heißt, der sagt, eine bedarfsabhängige, steuerfinanzierte Aufstockung von kleinen Renten, damit können Sie leben?
Rüttgers: Steuerfinanziert hatte ich ja selber gesagt und war am Anfang in der Debatte dafür kritisiert worden. Das ist aber das Einzige, was Sie ordnungspolitisch richtig als Weg einschlagen können, denn wenn Sie das mit Beiträgen bezahlen, dann geht es ja zu Lasten der jungen Arbeitnehmer, der jungen Menschen im Land. Das kann ja nicht richtig sein. Wenn der Staat ohne Beitragszahler und Zahlungen etwas verändern will, dann muss er das mit Steuergeldern machen, das ist auch richtig so.
Heinemann: Sie wollen Nordrhein-Westfalen demografiefest machen, haben Sie der "Süddeutschen Zeitung" in dieser Woche mitgeteilt. Was bedeutet das?
Rüttgers: Wir diskutieren ja seit vielen, vielen Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, über das Thema Demografie. Es gibt alles an Studien, was man haben muss, alles an Berechnungen, was man haben muss, um zu wissen, dass in den kommenden Jahren die Bevölkerung kleiner wird, sie wird bunter, wir werden weniger und älter. Und wenn man das weiß, dann wird es nach unserer Auffassung Zeit, dass wir daraus die Konsequenzen ziehen.
Heinemann: Welche?
Rüttgers: Ich will es mal an einem Beispiel sagen: Wir werden, wenn weniger Kinder da sind, uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir in Zukunft etwa im ländlichen Raum weiterführende Schulen in der Fläche erhalten können, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien. Unsere Antwort in Nordrhein-Westfalen: Wir lassen dann auch kleinere Schulen zu, die nicht so groß sind, wie sie in den letzten Jahren konzipiert worden sind, notfalls auch einzügige Schulen. Das ist teurer, ist uns aber wichtiger, weil wir im Bildungssystem eine wohnortnahe, individuelle Förderung haben wollen, die durchlässig ist und jedem Kind eine Chance gibt.
Heinemann: Wäre eine natalistische Politik, eine gezielte Geburtenförderung, nicht ein besseres Rezept für die Demografiefestigkeit?
Rüttgers: Das eine tun und das andere nicht lassen. Ich glaube, dass es schon richtig ist, dass wir uns auch um Bevölkerungspolitik kümmern. Wir müssen versuchen, dass wieder mehr Kinder geboren werden. Dafür müssen Sie aber eine Kernaufgabe lösen, Sie müssen ein besseres Betreuungsangebot zur Verfügung stellen. Als wir vor zweieinhalb Jahren die Regierung in Nordrhein-Westfalen übernommen haben, gab es nur Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren von 2,8 Prozent. Das haben wir bereits vervierfacht, das wollen wir in dieser Legislaturperiode noch weiter nach oben nehmen. Dazu gehört der Ausbau des Ganztagsschulwesens. Ich habe gerade noch vor ein paar Tagen ein Millionenprogramm zur Verfügung gestellt, wo wir nicht nur in den Grundschulen - da sind wir schon weit vorangekommen -, nicht nur in den Hauptschulen, sondern jetzt auch in den Gymnasien und in den Realschulen flächendeckend im Land Ganztagsschulen zur Verfügung stellen.
Heinemann: Herr Rüttgers, Ihr Rentenvorschlag hat viele in der Partei, in Ihrer Partei, verärgert. Mit welchen Forderungen wollen Sie Ihren Parteifreunden als nächstes auf die Nerven gehen?
Rüttgers: Wir sind zurzeit dabei, das Thema Demografie zu diskutieren. Wir sind dabei, auf einem Parteitag, der in wenigen Wochen stattfindet, ein umfassendes Programm vorzulegen und zu diskutieren. Dazu gehört der Kampf gegen die Altersarmut, dazu gehört aber auch das gerade angesprochene Thema, was können wir für Kinder tun? Was können wir dafür tun, dass Menschen sich für Kinder entscheiden können? Das ist ja gerade für junge Frauen schwierig, wenn sie im Beruf sind. Dazu gehört das Thema, dass unsere Städte sich ja verändern werden. Wir werden in wenigen Jahren, das ist das vierte Thema, im Bereich der jungen Leute in den Großstädten Nordrhein-Westfalens 40, 50 Prozent der jungen Leute mit Migrationshintergrund haben. Auch da brauchen wir noch bessere Antworten. Das heißt, das ist der Versuch eines integrierten Politikansatzes.
Heinemann: Kurz zum Schluss, wer definiert eigentlich in Deutschland was links ist, Oskar Lafontaine oder Jürgen Rüttgers?
Rüttgers: Das ist eine gute Frage, weil, wie Heiner Geißler mal gesagt hat, links oder rechts eigentlich in diesen Zeiten eine Frage der Gesäßgeografie in den Parlamenten ist. Ich glaube, dass man heute - und das ist der neue Ansatz, den wir haben - feststellen muss, das Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik nicht nur keine Gegensätze sind, sondern dass Wirtschaftspolitik immer Sozialpolitik ist und Sozialpolitik auch immer gleichzeitig Wirtschaftspolitik. Wenn man das mal zugrunde legt als Ausgangspunkt der Debatte, dann kommt man auch zu anderen Ergebnissen. Wer in Bildung investiert, investiert heute in Wirtschaftswachstum, das ist durch neue Studien gerade noch einmal ausdrücklich nachgewiesen worden, der investiert in eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, investiert in Wirtschaftswachstum. Insofern ist die Debatte, die etwa von der Linken da geführt wird, als ob Sozialpolitik in erster Linie mehr Transferstatus, mehr Umverteilung sind, eine Debatte aus dem letzten Jahrtausend.
Heinemann: Jürgen Rüttgers (CDU), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Am Telefon ist Jürgen Rüttgers (CDU), der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
Jürgen Rüttgers: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Rüttgers, über Wachstumschancen hat man von Ihnen jetzt länger nichts mehr gehört, welche Möglichkeiten sehen Sie für die Nation und für Ihr Land?
Rüttgers: Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg. Wir haben im letzten Jahr das erste Mal seit langer, langer Zeit eine Wachstumsrate gehabt, die über dem Bundesdurchschnitt lag. Das freut uns natürlich sehr, und dahinter steckt ja auch eine spannende politische Erfahrung. Dieses Wachstum ist erbracht worden von den Industrieunternehmen in Nordrhein-Westfalen, und Sie erinnern sich ja, es ist noch gar nicht so lange her, da wurde behauptet, Geld könne man nur mit Geld verdienen, sprich in der Finanzindustrie. Wir beweisen jetzt, dass die klassische Industrie nicht nur Deutschlands Stärke war, sondern auch Deutschlands Stärke in Zukunft ist - allerdings sehr innovativ, mit neuen Produkten, mit neuen Verfahren, mit exzellent ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Heinemann: In welchen Branchen?
Rüttgers: Das fängt beim Stahl an, das geht über die Industriebereiche etwa im Maschinenbau, in der Automobilzulieferung. Für uns sind besonders wichtig die Energie, die Werkstoffe und die Logistik.
Heinemann: Welche ist für Sie die zentrale Zukunftsaufgabe?
Rüttgers: Ich glaube, dass der Kongress das Signal gibt: Wir brauchen in Deutschland mehr Wachstum. Wir haben ja in der internationalen Situation eine Phase, in der mehr als zwei Milliarden Menschen in die Marktwirtschaft eingetreten sind, insofern gibt es eine Grundwelle. Wir profitieren davon in Deutschland, das haben wir in den letzten Jahren gemerkt. Wir haben jetzt Prognosen von den Wissenschaftlern, die von einer leichten Abschwächung des Wachstums sprechen, ich glaube, da können wir aber noch zulegen, weil das dann auch wichtig ist, damit wir die Probleme lösen können. Probleme heißen, wir müssen noch mehr investieren in Bildung, noch mehr investieren in Forschung und Technologie, investieren in die modernste Umweltschutztechnologie, die wir haben. Deshalb ist es auch schön, dass wir Förderpreisträger haben mit Firmen aus Aachen, Solitem, und mit den Schmitz-Werken in Emsdetten, die im Bereich der Werkstoffe wie im Bereich der erneuerbaren Energien zeigen, dass auch kleine und mittlere Betriebe da weltweit mithalten können.
Heinemann: Sie haben die Bildung angesprochen. In Nordrhein-Westfalen hat man gelegentlich den Eindruck, dass Bildungspolitik darin besteht, dass man eine achtjährige gymnasiale Lehrzeit oder Gymnasialzeit beschließt und dann die Lehrer und die Schüler mit gewaltigen Stoffmengen und leeren Mägen allein lässt.
Rüttgers: Das ist ja nicht richtig. Wir sind sicherlich auch im Vergleich zu anderen Bundesländern bei der Umstellung sehr zurückhaltend und sehr überlegt vorgegangen. Bei uns gibt es ja bereits die neuen Lehrpläne, so dass weniger Stoff in den Gymnasien vermittelt werden kann, zielgerichteter vermittelt werden kann, und wir investieren ja massiv auch in Ganztagsschulen, massiv in den Ausbau eines Mensasystems. Wir haben klare Vereinbarungen mit den Lehrerverbänden und den Elternverbänden, dass etwa Kinder in der Klasse 5 und 6 nur einen Nachmittag allenfalls noch in der Schule sind, dann allerdings auch keine Hausaufgaben machen müssen. In den Klassen 7 bis 8 sind das dann zwei Nachmittage in der Woche, so dass auch sichergestellt ist, dass sie noch Freizeit zum Spielen nachmittags haben, dass sie in den Sportvereinen und anderswo auch weiter Mitglied sein können.
Heinemann: Herr Rüttgers, in den letzten Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, Zukunft wäre für Sie vor allem die Entwicklung der Renten.
Rüttgers: Wir haben eine Debatte gehabt innerhalb der Union, und es ging ja im Kern um die Frage, ob diejenigen, die jetzt arbeiten, die jetzt 45, 50, 55 Jahre alt sind, die zum Teil unterbrochene Berufsbiografien haben wie etwa viele Frauen oder die kleinselbstständig sind - wenn Sie an Ich-AGs denken, wenn Sie an die outgesourcten kleinen Unternehmen denken -, dass die dann auch im Alter, nachdem sie ein Leben lang hart gearbeitet haben, nicht in Altersarmut verfallen. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, am Montag da eine klare Ansage durch eine Übereinkunft zu bekommen. Die CDU wird das in ihrem Wahlprogramm behandeln, wird sagen, was in der nächsten Legislaturperiode da gemacht wird. Es ist ja ein Thema, das erst in Zukunft auf uns zukommt in großem Umfang, aber was man jetzt schon klar benennen kann, und deshalb ist es auch gut, wenn Politik etwas tut und jetzt schon etwas tut und nicht abwartet, bis das Problem erst richtig aufgetreten ist.
Heinemann: Das CDU-Präsidium sagt aber auch ganz klar, es wird keine Mindestrente geben und es sagt ja zum Äquivalenzprinzip, also zum Grundsatz: Wer mehr zahlt, bekommt auch mehr heraus. Das hatten Sie ja infragegestellt.
Rüttgers: Das ist auch richtig so. Das habe ich nicht infragegestellt, das war völlig klar, dass die Prinzipien der solidarischen Rente erhalten werden sollen. Gerade wir in Nordrhein-Westfalen kämpfen ja auch in den letzten Jahren für diese Rente, die von anderen bereits für tot erklärt worden ist. Aber wenn ich weiß, dass es Menschen gibt, die so wenig verdienen, dass sie überhaupt keine Chance bekommen, etwa eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen, wenn da Altersarmut droht, dann muss Politik ja antworten. Wir haben klar gesagt in dem Beschluss, dass die CDU eine Rente für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet haben, will, die oberhalb der Armutsgrenze liegt, und wir haben gesagt, wir wollen auch Kleinstverdiener und Kleinstselbstständige in die Lage versetzen, dass sie vorsorgen können, was heute nicht geht. Wenn Sie etwa selbstständig sind mit wenig Einkommen, dann dürfen Sie überhaupt nicht die Riesterförderung in Anspruch nehmen, wenn Sie nicht in der Rentenversicherung sind.
Heinemann: Das heißt, Sie können mit dem Beschluss des Präsidiums, das heißt, der sagt, eine bedarfsabhängige, steuerfinanzierte Aufstockung von kleinen Renten, damit können Sie leben?
Rüttgers: Steuerfinanziert hatte ich ja selber gesagt und war am Anfang in der Debatte dafür kritisiert worden. Das ist aber das Einzige, was Sie ordnungspolitisch richtig als Weg einschlagen können, denn wenn Sie das mit Beiträgen bezahlen, dann geht es ja zu Lasten der jungen Arbeitnehmer, der jungen Menschen im Land. Das kann ja nicht richtig sein. Wenn der Staat ohne Beitragszahler und Zahlungen etwas verändern will, dann muss er das mit Steuergeldern machen, das ist auch richtig so.
Heinemann: Sie wollen Nordrhein-Westfalen demografiefest machen, haben Sie der "Süddeutschen Zeitung" in dieser Woche mitgeteilt. Was bedeutet das?
Rüttgers: Wir diskutieren ja seit vielen, vielen Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, über das Thema Demografie. Es gibt alles an Studien, was man haben muss, alles an Berechnungen, was man haben muss, um zu wissen, dass in den kommenden Jahren die Bevölkerung kleiner wird, sie wird bunter, wir werden weniger und älter. Und wenn man das weiß, dann wird es nach unserer Auffassung Zeit, dass wir daraus die Konsequenzen ziehen.
Heinemann: Welche?
Rüttgers: Ich will es mal an einem Beispiel sagen: Wir werden, wenn weniger Kinder da sind, uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir in Zukunft etwa im ländlichen Raum weiterführende Schulen in der Fläche erhalten können, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien. Unsere Antwort in Nordrhein-Westfalen: Wir lassen dann auch kleinere Schulen zu, die nicht so groß sind, wie sie in den letzten Jahren konzipiert worden sind, notfalls auch einzügige Schulen. Das ist teurer, ist uns aber wichtiger, weil wir im Bildungssystem eine wohnortnahe, individuelle Förderung haben wollen, die durchlässig ist und jedem Kind eine Chance gibt.
Heinemann: Wäre eine natalistische Politik, eine gezielte Geburtenförderung, nicht ein besseres Rezept für die Demografiefestigkeit?
Rüttgers: Das eine tun und das andere nicht lassen. Ich glaube, dass es schon richtig ist, dass wir uns auch um Bevölkerungspolitik kümmern. Wir müssen versuchen, dass wieder mehr Kinder geboren werden. Dafür müssen Sie aber eine Kernaufgabe lösen, Sie müssen ein besseres Betreuungsangebot zur Verfügung stellen. Als wir vor zweieinhalb Jahren die Regierung in Nordrhein-Westfalen übernommen haben, gab es nur Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren von 2,8 Prozent. Das haben wir bereits vervierfacht, das wollen wir in dieser Legislaturperiode noch weiter nach oben nehmen. Dazu gehört der Ausbau des Ganztagsschulwesens. Ich habe gerade noch vor ein paar Tagen ein Millionenprogramm zur Verfügung gestellt, wo wir nicht nur in den Grundschulen - da sind wir schon weit vorangekommen -, nicht nur in den Hauptschulen, sondern jetzt auch in den Gymnasien und in den Realschulen flächendeckend im Land Ganztagsschulen zur Verfügung stellen.
Heinemann: Herr Rüttgers, Ihr Rentenvorschlag hat viele in der Partei, in Ihrer Partei, verärgert. Mit welchen Forderungen wollen Sie Ihren Parteifreunden als nächstes auf die Nerven gehen?
Rüttgers: Wir sind zurzeit dabei, das Thema Demografie zu diskutieren. Wir sind dabei, auf einem Parteitag, der in wenigen Wochen stattfindet, ein umfassendes Programm vorzulegen und zu diskutieren. Dazu gehört der Kampf gegen die Altersarmut, dazu gehört aber auch das gerade angesprochene Thema, was können wir für Kinder tun? Was können wir dafür tun, dass Menschen sich für Kinder entscheiden können? Das ist ja gerade für junge Frauen schwierig, wenn sie im Beruf sind. Dazu gehört das Thema, dass unsere Städte sich ja verändern werden. Wir werden in wenigen Jahren, das ist das vierte Thema, im Bereich der jungen Leute in den Großstädten Nordrhein-Westfalens 40, 50 Prozent der jungen Leute mit Migrationshintergrund haben. Auch da brauchen wir noch bessere Antworten. Das heißt, das ist der Versuch eines integrierten Politikansatzes.
Heinemann: Kurz zum Schluss, wer definiert eigentlich in Deutschland was links ist, Oskar Lafontaine oder Jürgen Rüttgers?
Rüttgers: Das ist eine gute Frage, weil, wie Heiner Geißler mal gesagt hat, links oder rechts eigentlich in diesen Zeiten eine Frage der Gesäßgeografie in den Parlamenten ist. Ich glaube, dass man heute - und das ist der neue Ansatz, den wir haben - feststellen muss, das Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik nicht nur keine Gegensätze sind, sondern dass Wirtschaftspolitik immer Sozialpolitik ist und Sozialpolitik auch immer gleichzeitig Wirtschaftspolitik. Wenn man das mal zugrunde legt als Ausgangspunkt der Debatte, dann kommt man auch zu anderen Ergebnissen. Wer in Bildung investiert, investiert heute in Wirtschaftswachstum, das ist durch neue Studien gerade noch einmal ausdrücklich nachgewiesen worden, der investiert in eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, investiert in Wirtschaftswachstum. Insofern ist die Debatte, die etwa von der Linken da geführt wird, als ob Sozialpolitik in erster Linie mehr Transferstatus, mehr Umverteilung sind, eine Debatte aus dem letzten Jahrtausend.
Heinemann: Jürgen Rüttgers (CDU), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!